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Beitrag vom 27.04.2010
Terre Des Femmes - Expertinnenforum zum Mythos Jungfräulichkeit
Eva Jackolis
Unter dem Titel "Mythos Jungfräulichkeit versus sexuelle Selbstbestimmung" lud am 23. April 2010 die Frauenrechtsorganisation zu einer Veranstaltung. Der Film "The Burden of Virginity"...
... der usbekischen Künstlerin Umida Akhmedova wurde als Auftakt des Expertinnenforums gezeigt.
Ein Schatten verdeckt ihr Gesicht. "Die Schwiegermutter wollte ein ganzes Meer von Blut", sagt die Mutter der Tochter, die nach der Hochzeitsnacht zurückgebracht wurde, weil das Laken weiß blieb. Ob sie ihre Tochter daraufhin verstoßen hätte, will ihre Gesprächspartnerin wissen.
In "The Burden of Virginity" dokumentiert Umida Akhmedova welche Vorstellungen über weibliche Jungfräulichkeit in den Köpfen der usbekischen Frauen und Männer verankert sind.
Eine ältere Frau erzählt von einem Brauch, der während der Hochzeitsnacht stattfindet. Im Nebenzimmer des Hochzeitsgemachs warten zwanzig Frauen. Regelmäßig klopfen diese an die Trennwand und vergewissern sich durch ein lautes "Seid ihr fertig?", ob das Paar bereits erschöpft nebeneinander liegt. Manchmal stehen einzelne Frauen einfach auf und öffnen die Tür zum Zimmer des Brautpaares. Sobald das Paar den Akt vollbracht hat, wird auf dem Laken nach den blutigen Spuren der Jungfräulichkeit gesucht, oder die Braut wird von einer "Zeugin" gewaschen.
Frauenhandel, Genitalverstümmelung und Jungfräulichkeit – die Konferenz
Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion im Konferenzraum des Deutschen Gewerkschaftsbundes:
Ekin Deligöz, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende vom Bündnis 90 /Die Grünen Dr. med. Jutta Pliefke, Gynäkologin und Beraterin bei pro familia Berlin und Sibylle Schreiber, Referentin von Terre Des Femmes.
Die Veranstaltung wurde von der Journalistin Anke Wolf-Graaf moderiert
Sibylle Schreiber erläuterte dem überwiegend weiblichen Publikum, dass weibliche "Jungfräulichkeit" ein Phänomen patriarchalischer Strukturen sei, genauer: eine Norm, mit der die sexuelle und körperliche Selbstbestimmtheit der Frau kontrolliert werden kann. In solchen Strukturen versteht sich der Mann als Eigentümer der Frau und bestimmt über ihren Körper.
Weibliche "Jungfräulichkeit" werde laut Schreiber in den verschiedensten Zusammenhängen instrumentalisiert. So erzielten im organisierten Handel mit Frauen Jungfrauen die höchsten Preise. Zudem werde versucht, weibliche Genitalverstümmelung zum "Schutz der Jungfräulichkeit" zu legitimieren.
Wenn weibliche "Jungfräulichkeit" mit einem intakten Hymen gleichgesetzt wird, dann wird von den Frauen (und auch von den Männern) in der Hochzeitsnacht erwartet, "Blut auf das Laken zu bringen", sagte Dr. med. Jutta Pliefke von pro familia Berlin. Aber die weibliche Anatomie zeigt, dass ein unbeflecktes Laken die "Jungfräulichkeit" der Frau nicht in Frage stellen muss.
Das Hymen
Zunächst ist das Hymen, auch Jungfernhäutchen genannt, eine Schleimhaut, die den Scheideneingang säumt, erklärte Pliefke. Bei jedem Mädchen kann der Saum breiter oder schmaler, fester oder weicher, glatt oder geriffelt ausfallen. Das Hymen ist also kein Häutchen und muss normalerweise auch nicht "durchbrochen" werden. Viele Mädchen werden sogar ohne Hymen geboren. Über 50% der Frauen bluten nicht, wenn sie zum ersten Mal Geschlechtsverkehr haben. Und dass Blut fließt, kann ohnehin nicht erwartet werden, da in den meisten Fällen das Gewebe lediglich einreißt.
Aus medizinischer Sicht kann also eine Frau auch noch Jungfrau sein, wenn das Laken blütenweiß bleibt. Dennoch sehen sich viele Mädchen und Frauen dazu verpflichtet, ihre Jungfräulichkeit durch Bluten zu beweisen. "Die Hochzeitsnacht wird zur Paniknacht.", kommentierte die ehemalige frauTV-Moderatorin Anke Wolf-Graaf.
Die Situation in Deutschland
In Deutschland sind laut Schreiber vor allem junge Frauen und Mädchen mit Migrationshintergrund betroffen. Viele junge Menschen suchen vor der Ehe nach anderen Formen der Sexualität, wobei laut Pliefke Analsex als Praxis nicht untypisch sei. Einen anderen Weg wählen die Frauen, die bereits mit Männern geschlafen haben: sie wenden sich an GynäkologInnen, um ihr Hymen wiederherstellen zu lassen. Nach Recherchen von Wolf-Graaf kostet eine Hymenrekonstruktion zwischen 200 und 4.000 Euro.
Pliefke erläuterte, dass bei einem solchen medizinischen Eingriff der Saum in den meisten Fällen gerafft wird. Trotzdem kann es sein, dass eine Frau beim Geschlechtsverkehr nicht bluten wird.
Die Frauen und Mädchen bezahlen für den medizinischen Eingriff, da sie befürchten, dass die Ehe annulliert wird, oder dass sie verstoßen und verleumdet werden. "Im schlimmsten Fall droht ihnen der Ehrenmord", sagte Schreiber, da die Jungfräulichkeit der Töchter sehr eng mit der Ehre der Familie verbunden ist.
Aufklärung
Terres Des Femmes und pro familia Berlin wollen durch gezielte Aufklärung den Mythos der "blutenden Jungfrau" dekonstruieren. Neben den Beratungsangeboten sollen die SchülerInnen auch in Biologie über das Hymen unterrichtet werden – bis jetzt existiert laut Wolf-Graaf kein Biologiebuch, in dem das Hymen abgebildet ist. "Wir können die Aufklärung nicht der Bravo überlassen", betonte die Politikerin Ekin Deligöz.
Im Film hat die usbekische Mutter ihre Tochter nicht verstoßen: "Meine Kinder sind mir wichtiger als das alles." Die nächste Einstellung zeigt ein lachendes Mädchen. Das Mädchen hüpft vor einer grauen Betonwand hoch und runter, und die Kamera hält ihre Bewegung in Zeitlupe fest.
Weitere Informationen finden Sie unter:
Terres Des Femmes www.frauenrechte.de
Informationen zur Zwangsheirat www.zwangsheirat.de
pro familia Deutschland www.profamilia.de
Weitere Informationen zu Umida Akhmedova: Die usbekische Künstlerin wurde am 21. Oktober 1955 in Parkent geboren. Sie arbeitet als Fotojournalistin für die New York Times, das Wall Street Journal und die kanadische Zeitung Globe and Mail.
Im Februar 2010 wurde Akhmedova der Verleumdung und Beleidigung des usbekischen Volkes für schuldig befunden. Die dafür vorgesehene Strafe von bis zu drei Jahren Gefängnis musste sie nicht antreten, da das Gericht Amnestie aussprach. Als Begründung wurde der achtzehnte Feiertag der usbekischen Unabhängigkeit angegeben.
Die Anklage des Gerichts bezog sich vor allem auf den 100-seitigen Bildband "Woman and Man: From Dawn Till Night" und auf den Dokumentarfilm "The Burden of Virginity". Gefördert von der Schweizer Botschaft wurde der Bildband im Jahr 2007 veröffentlicht.
Ãœber den Gerichtsprozess:
Darstellung im Guardian www.guardian.co.uk
Bericht von Reporters Sans Frontières http://en.rsf.org
Fotos von Umida Akhmedova für Associate Press: www.apimages.com
Dokumentation "The Burden of Virginity", 2. Teil: video.google.com
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