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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 06.11.2009


Amadeu Antonio Stiftung - bundesweite Aktionswochen gegen Antisemitismus 2009
Lisa Erdmann

Die Stiftung koordiniert seit 2004 die bundesweiten Aktionswochen gegen Antisemitismus. Ziel der Wochen um den 9. November 2009 ist es, auf historischen und aktuellen Antisemitismus hinzuweisen,...




...durch eine Vielzahl von Veranstaltungen über das Thema aufzuklären und öffentliche Diskussionen anzuregen.

Was 2004 in einem eher kleinen Rahmen von 50 Veranstaltungen begann, entwickelte sich zur größten Kampagne gegen Antisemitismus in Deutschland. Auch die diesjährigen Aktionswochen rund um den 09. November 2009 wollen mit über 120 Partnerorganisationen und ca. 250 Veranstaltungen das Thema Antisemitismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen thematisieren und gegen antisemitische Vorfälle in der Bevölkerung vorgehen. Ziel ist es, einen öffentlichen Meinungsaustausch der EinwohnerInnen einzelner Gemeinden und Städte anzuregen.

"20 Jahre nach dem Mauerfall ist es wichtig, den aktuellen Antisemitismus in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Der nicht aufgearbeitete Antisemitismus in Ostdeutschland trifft auf einen neuen, gesamtdeutschen und globalisierten Antisemitismus, der sich jugendkulturell Bahn bricht und verschwörungstheoretisch nährt. [...] Deshalb sind wir froh, dass die Aktionswochen heute zum sechsten Mal bundesweit stattfinden um eine verstärkte Auseinandersetzung mit Antisemitismus zu ermöglichen" so Anetta Kahane, Vorsitzende der Stiftung, am 5. November 2009.

Anetta Kahane wies darauf hin, dass die Aktionswochen von der Zivilgesellschaft getragen werden und sie sich mehr Engagement von staatlichen Stellen wünsche. In diesem Zusammenhang kritisierte sie auch die mangelnde Umsetzung des 9. November-Beschlusses des Deutschen Bundestages zur Bekämpfung des Antisemitismus vor einem Jahr: "Es sollte ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus sein. Doch es bleibt ein Zeichen ohne Folgen. Bis jetzt hat sich gerade mal ein Gremium konstituiert, mehr ist nicht passiert. Es ist peinlich, dass Bundestag und Bundesregierung so lange brauchen, um das Beschlossene zu verwirklichen.", so Kahane.

Die Aktionswochen 2009 in Berlin

Die Aktionswochen gegen Antisemitismus finden in 75 Orten mit 231 Veranstaltungen in allen Bundesländern statt. Beteiligte Initiativen setzen sich in Gedenkveranstaltungen, Theater- und Filmaufführungen, ZeitzeugInnengesprächen und Lesungen mit historischem und aktuellem Antisemitismus auseinander.

So findet im Berlin unter anderem am Montag, dem 9. November eine Führung durchs Jüdische Museum zum 71. Jahrestag des Novemberpogroms 1938 statt. Am Donnerstag, dem 12. November, lädt das Interkulturelle Netzwerk JOLIBA e.V. zu einer Filmvorführung, Lesung und einer Ausstellung zu Johanna Krause "Zweimal verfolgt. Eine Dresdner Jüdin erzählt" ein. Vom Sportverein Roter Stern Nordost Berlin e.V. wird es am Freitag, dem 13. November einen Vortrag zu "Antisemitismus im ostdeutschen Fußball" geben.

Eine Liste mit allen Veranstaltungen finden Sie unter: www.aktionswochen-gegen-antisemitismus.de

Jan Jetter von der "Arbeitsgemeinschaft freier Jugendverbände aus Hamburg", der sich im Rahmen der Aktionswochen engagiert, stellte seine verschiednen Aktionen auf der Pressekonferenz vor und berichtete aus der Arbeit: "Moderne Formen des Antisemitismus, kriegen wir tagtäglich mit. So zum Beispiel durch Vergleiche von Israel und Nationalsozialismus. Das wollen wir in keinem Fall hinnehmen und thematisieren das mit Jugendlichen in unserer Arbeit."

Die Aktionswochen gehen am 30. November im Centrum Judaicum mit einer Perspektivdiskussion zu Ende. VertreterInnen der neuen Regierungsparteien diskutieren gemeinsam mit ExpertInnen, was im Kampf gegen Antisemitismus zu tun ist. Sie wird von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, dem Jüdischen Forum gegen Antisemitismus und der Amadeu Antonio Stiftung ausgerichtet.

Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft

Dirk von Lowtzow, Sänger der Band Tocotronic, hält vielfältiges Engagement gegen alle Formen von Antisemitismus, wie bei den Aktionswochen gegen Antisemitismus, für unverzichtbar: "Es zeigt sich doch immer wieder, dass Antisemitismus sich stark in der Mitte der Gesellschaft verortet und eben nicht nur ein Problem des Islamismus oder Rechtsextremismus ist." Kritisch gegenüber dem eigenen Lager äußerte sich die Bundesvorsitzende der Jusos, Franziska Drohsel: "Antisemitismus ist kein Problem von Stiefelnazis. Verkürzte Kapitalismuskritik und verschwörungstheoretische Ansätze gepaart mit antisemitischen Klischees finden sich durchaus auch in Teilen der Linken."

Auch Claudia Schmid, Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes wies darauf hin, "dass kaum ein Deliktsfeld über ein so breit gefächertes Täterpotenzial verfüge." Und: "Menschen, die Juden verachten, hassen und auch gewaltbereit sind, haben nicht alle einen kahl rasierten Kopf und tragen Springerstiefel. Der Antisemitismus hat viele Gesichter: Er wird manchmal propagiert in kleinen radikalen Hinterhofmoscheen, bei Treffen von Alt- und Neonazis, in den Liedstrophen radikaler Nazi-Rock-Bands."

Auch politisch wird Antisemitismus genutzt. Doch nur weil die rechtsextremistische Szene Antisemitismus nicht immer offen zeigt, so ist er doch laut Schmid Bestandteil jeder rechtsextremistischen Ideologie. Aber es gebe auch andere Hetze, deren Protagonisten teilweise nicht belangbar sind, weil sie von arabischen Ländern aus operierten, in denen der Hass auf Israel, auf alle Juden, Teil der allgegenwärtigen Lebenseinstellung ist und von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Aktueller Antisemitismus in Deutschland

Antisemitismus ist nicht nur eine Bedrohung für Jüdinnen und Juden, sondern auch für die Demokratie. Diesen Konsens gilt es immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Das zeigen gerade die jüngsten antisemitischen Übergriffe, wie beispielsweise in Hamburg Ende Oktober 2009: dort konnte ein Film von Claude Lanzmann über Israel nicht gezeigt werden, weil linke Demonstranten den Eingang zum Kino blockierten und BesucherInnen mit Gewalt und Beschimpfungen wie "Judenschweine" von der Vorführung fern hielten.

Auch finden sich wieder verstärkt antisemitische Schmierereien an Häuserwänden in deutschen Städten: Beispiel Eschwege. Dort wurde im Oktober an eine Hauswand in Großbuchstaben "Jude" und "Huso" (für Hurensohn) gesprüht.

Auch die Schändung von "Stolpersteinen" ist an der Tagesordnung, wie beispielsweise im August in Berlin Pankow oder im September in Bremen. Sogar Beleidigung oder Bedrohung jüdischer Menschen sind keine Seltenheit: Ende August wurde ein jüdischer Mann und sein Begleiter in Berlin Zehlendorf mit Bierflaschen beworfen und beschimpft und eine Gruppe von Jugendlichen aus Israel in Waren an der Müritz vor wenigen Tagen angegriffen

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Hierfür unterstützt sie lokale Initiativen und Projekte in den Bereichen Jugend und Schule, Opferschutz und Opferhilfe, alternative Jugendkultur und Kommunale Netzwerke. Die von der Amadeu Antonio Stiftung koordinierten Aktionswochen gegen Antisemitismus sind ganz bewusst nicht auf klassische Gedenkarbeit beschränkt. Sie sollen möglichst vielseitig sein, um eine breite Masse von Menschen erreichen zu können.

Anette Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, beschreibt die Notwendigkeit der Aktionswochen folgendermaßen: "Die Aktionswochen können eigentlich nur wieder und wieder versuchen, im Mainstream eine möglichst breit getragene Sensibilisierung auszulösen und zu verfestigen. Es geht darum, die wahrhaft menschenfeindliche Motivation von Antisemiten schonungslos zu demaskieren."

Weitere Infos unter: www.amadeu-antonio-stiftung.de

Kontakt:
Fon: 030/240 886 13 (Dr. Andrés Nader oder Claire Keruzec)
netzwerke@amadeu-antonio-stiftung.de

Weitere Infos zu den einzelnen Veranstaltungen der Aktionswochen gegen Antisemitismus finden Sie unter: www.aktionswochen-gegen-antisemitismus.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Feindbild Judentum - Antisemitismus in Europa". Herausgegeben von Lars Rensmann und Julius Schoeps

"Neuester Antisemitismus-Skandal in Berlin" von Benjamin Weinthal

Antisemitismus in Deutschland

Antisemitistische Realitäten im Deutschland von heute

Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus

Sachverständigenanhörung zu Antisemitismus im Innenausschuss des Deutschen Bundestags

"Neu-alter Judenhass", herausgegeben von Klaus Faber, Julius H. Schoeps und Sacha Stawski.



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Beitrag vom 06.11.2009

Lisa Erdmann