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Beitrag vom 18.03.2009
Verhindern - Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes im Frühjahr 2009
AVIVA-Redaktion
Mit einem offenem Brief wenden sich zwölf Verbände an die Mitglieder der Bundestagsausschüsse Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gesundheit und Recht und gegen eine Gesetzesänderung.
Der §218
Nach deutschem Gesetz ist ein Schwangerschaftsabbruch eine Straftat gegen das Leben. Allerdings wird hierzulande ebenso das freie Entscheidungsrecht der Frau geachtet und so wird eine Abtreibung nach § 218a StGB nicht unter Strafe gestellt, wenn die Schwangere eine Bescheinigung über eine Beratung vorweisen kann, die mindestens drei Tage vor Abbruchstermin stattgefunden hat und der Zeitpunkt der Empfängnis nicht länger als zwölf Wochen zurückliegt. Erfährt die Frau jedoch im weiteren Verlauf ihrer Schwangerschaft von möglichen Behinderungen oder Gendefekten ihres ungeborenen Kindes, besteht seit der Novellierung des §218 von 1995 rein rechtlich die Möglichkeit, eine Spätabtreibung vornehmen zu lassen, der keine Frist gesetzt ist.
Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD reichten am 26. November 2008 einen Entwurf zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ein. Demnach soll es für ÄrztInnen eine Pflicht geben, Schwangere über medizinische und psychosoziale Aspekte zu beraten. Weiterhin sehen die Änderungsvorschläge eine gesetzlich festgelegte Bedenkzeit von drei Tagen zwischen Beratungsgespräch und der nächsten Behandlung vor. Kommen die ÄrztInnen der Beratungspflicht nicht nach, so steht ihnen ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro ins Haus. Darüber hinaus sollen alle Fälle der Spätabtreibung unter Wahrung der Anonymität der Schwangeren an das statistische Bundesamt gesandt werden. Selbiges erfasste im Jahr 2007 631 Schwangerschaftsabbrüche nach der 20. Woche. Im gleichen Jahr wurde laut Statistik insgesamt 116.871 mal abgetrieben. (Mehr Infos unter: Ärztliche Beratungspflicht bei medizinischer Indikation)
Zwölf Verbände haben sich im Februar 2009 in einem Offenen Brief an die Mitglieder der Bundestagsausschusses gewandt, da diese derzeit über verschiedene Vorschläge einer gesetzlichen Neuregelung für den Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation beraten.
Soll die ganze § 218-Reform rückgängig gemacht werden?
Insbesondere der Entwurf der Konservativen mit Renate Schmidt (Volker Kauder, Renate Schmidt, Johannes Singhammer, Hubert Hüppe u. a., BT-Dr. 16/11106 vom 26.11.2008, "Vermeidung von Spätabtreibungen – Hilfen für Eltern und Kinder") ist aus feministischer Sicht äußerst bedenklich.
Geschwungen wird die typisch konservative Moralkeule, dabei geht es seltsamerweise konkret nur um "46 Fälle von strittigen Spätabtreibungen im Jahr". EMMA fragt sich zurecht: "Geht es also in dem CDU/CSU-Antrag (211 Stimmen), dem der FDP (37 Stimmen) sowie dem rotgrünen von Griese (48 Stimmen) wirklich nur um die Verschärfung bei Spätabtreibungen? Oder um die gesamte "medizinische Indikation"? Solche Abtreibungen nach der "medizinischen Indikation" gibt es jährlich rund 3.000. Dazu gehört zum Beispiel auch eine 13-jährige Schwangere oder eine Vergewaltigte. Der Singhammer-Entwurf, der mit 211 (von insgesamt 612 Abgeordneten) die meisten Stimmen hat, soll Ende April/Anfang Mai in die zweite und dritte Lesung gehen und könnte dann schnell Gesetz werden, so EMMA weiter.
Glücklicherweise schalten sich weitere GegnerInnen der Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ein. AVIVA-Berlin begrüßt das gemeinsame Statement der zwölf Verbände, das Sie im Folgenden nachlesen können:
Offener Brief von zwölf Verbänden
An die Mitglieder der Bundestagsausschüsse Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Gesundheit und Recht
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit diesem gemeinsamen Statement zu Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation auf Wunsch einer Frau sprechen sich die Verbände für eine qualifizierte freiwillige Beratung und gegen eine Gesetzesänderung aus.
In den Bundestagsausschüssen für Familie, Senioren Frauen und Jugend sowie im Rechts- und Gesundheitsausschuss wird über verschiedene Vorschläge einer gesetzlichen Neuregelung für den Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation beraten. Wir fordern die beteiligten Politiker und Politikerinnen auf, ihre Positionen noch einmal zu überdenken.
Eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes wird die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation nicht senken. Darauf weisen die unterzeichnenden Verbände mit Nachdruck hin.
Die Auffassung, eine per Gesetz festgeschriebene Pflichtberatung durch Ärzte und Ärztinnen, eine genaue Erfassung der Daten der Schwangeren zur Weitergabe an die jeweilige Landesbehörde und eine staatlich vorgeschriebene Wartezeit von drei Tagen könne etwas an der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im späten Stadium ändern, unterstellt betroffenen Frauen und Paaren, sie würden sich leichtfertig für diesen Weg entscheiden.
Zu pränatalen Untersuchungen müssen Frauen auch "Nein" sagen können. Wenn sie jedoch einen "auffälligen" Befund erhalten, versuchen sie, eine für sich selbst tragbare und für die ganze Familie verantwortungsvolle Entscheidung zu treffen. Ihnen muss auf freiwilliger Basis ein qualifiziertes psycho-soziales Beratungsangebot zur Unterstützung bekannt sein und unbürokratisch zur Verfügung stehen. Sie brauchen in jeden Fall Verständnis, Empathie, Trost und Informationen für ihre Entscheidung. Was sie nicht brauchen, sind von Bußgeld bedrohte Ärzte und Ärztinnen, die gezwungen sind, sie nach staatlicher Vorschrift beraten zu müssen. Sie brauchen auch keine gesetzlich verpflichtende Wartezeit. Ausschlaggebend für die Wartezeit muss einzig und allein der Gesundheitszustand der Frau sein.
Die offizielle Schwangerschaftsabbruch-Statistik 2004 für Holland weist 1.156 Frauen aus Deutschland aus. Mehr als die Hälfte der Frauen ließen in Holland nach der 14. Woche ihr Schwangerschaft abbrechen. Künftig erschwerende Bedingungen für Frauen in Deutschland, werden zu höheren Abbruchzahlen im Ausland führen und damit zu höheren Kosten für die Betroffenen. Diese Bedenken geben die unterzeichnenden Verbände an die verantwortlichen PolitikerInnen weiter.
Die Annahme eines kranken oder behinderten Kindes wird vor allem dann gelingen können, wenn sich Frauen und Paare psychisch und physisch fähig dazu fühlen und dazu auch ökonomisch in der Lage sehen. Menschen und Kinder mit Behinderung und diejenigen, die sie betreuen, brauchen unser aller Unterstützung, aber vor allem auch bessere und gezieltere staatliche Förderung als bisher. Sie brauchen eine Gesellschaft, die sie integriert und in der Teilhabe selbstverständlich ist.
Die Verbände äußern massive datenschutzrechtliche Bedenken gegen die im Antrag der CDU-CSU-Fraktion geforderte Prüfung der ärztlichen Dokumentation durch eine Landesbehörde. Wegen der Seltenheit der Fälle in einer Region droht die Gefahr, dass die Anonymität und die sozialen Daten der betroffenen Frau – ihres Partners und möglicherweise auch ihrer Familie – nicht mehr gewährleistet sind.
Die unterzeichnenden Verbände sprechen sich gegen jede Verschärfung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes aus.
Im Februar 2009
Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen – ASF, Bundesvorstand
AWO Bundesverband e.V.
Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen
Familienplanungszentrum Balance e.V.
GEW Bundesvorstand
Humanistischer Verband Deutschlands, Bundesverband
IG Metall, Vorstand
NAKOS – Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen
pro familia-Bundesverband
Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), Bundesverband e.V.
Ver.di, Bundesverwaltung
Zukunftsforum Familie e.V.
Kontakt für Rückfragen:
pro familia-Bundesverband
Regine Wlassitschau
Stresemannallee 3
60596 Frankfurt
Tel.: 069 / 63 90 02
Fax: 069 / 63 98 52
www.profamilia.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Ärztliche Beratungspflicht bei medizinischer Indikation
Quelle: pro familia-Bundesverband