Zur aktuellen Situation ukrainischer Bibliotheken und Bibliothekare: Zusammenarbeit und Unterstützung - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 14.05.2022


Zur aktuellen Situation ukrainischer Bibliotheken und Bibliothekare: Zusammenarbeit und Unterstützung
Bärbel Gerdes

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine richtet sich gerade auch gegen kulturelle und zivile Ziele. Museen, Bibliotheken, Theater, Denkmale – das kulturelle Erbe der Ukraine ist bedroht. Am 11. Mai 2022 berichteten ukrainische Bibliothekarinnen und Bibliothekare über ihre derzeitige Situation und das der Bibliotheken in ihrem Land.




Der Deutsche Bibliotheksverband, der Ukrainische Bibliothekverband und das Goethe Institut in der Ukraine luden am 11. Mai 2022 gemeinsam zu einer Online-Veranstaltung über die aktuelle Situation ukrainischer Bibliotheken ein. Mehr als 100 Bibliothekarinnen und Bibliothekare nahmen daran teil. Die Teilnehmenden kamen u.a. aus Brüssel, Den Haag, Hannover, Kiew, Berlin, Charkiw, Odessa, München, Mykolajiw und Sumy.

Die ukrainischen KollegInnen, die in unterschiedlichen ukrainischen Bibliotheken arbeiten, informierten über ihre Arbeit unter Kriegsbedingungen und dem Kampf gegen Desinformation.
Gleich zu Beginn stellte eine ukrainische Kollegin aus Kiew klar, dass der gegenwärtige Krieg nicht Putins Krieg sei, sondern der aller Russen und Russinnen. Auch russische BibliothekarInnen beteiligten sich an Desinformation, Brainwashing und Manipulation.

Dies ist besonders schmerzhaft, sollen Bibliotheken doch – zumindest im westlichen Verständnis - Orte der Meinungs- und Informationsfreiheit sein und ausgewogene Informationen zur Verfügung stellen, damit alle sich eine eigene Meinung bilden können. Sie werden deshalb auch als Orte gelebter Demokratie verstanden und sind es bestenfalls auch.

Die ukrainischen Bibliotheken haben alle Verbindungen zu russischen Bibliotheken und Institutionen sowie Verbänden gekappt.

Kolleginnen sind bei Angriffen ums Leben gekommen. Viele Bibliotheken, darunter auch viele Schulbibliotheken, sind zerstört oder beschädigt. Auf der Website Recorded War Crimes werden diese Zerstörungen unter Angabe des Ortes, des Datums und mit Fotos gesammelt. Diese können dann dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag als Beweis dienen.

Das kulturelle Erbe der Ukraine ist in Gefahr. Es ist wichtig, dieses zu bewahren und sie vor der Auslöschung zu schützen. Fotos zeigten neben zerbombten Bibliotheksgebäuden auch zerstörte Regale mit offensichtlichem Altbestand.

Auch Blue Shield Deutschland, das deutsche Nationalkomitee von Blue Shield International, sammelt diese Informationen. Blue Shield ist ein eingetragener und gemeinnütziger Verein mit Sitz in Berlin, der sich auf nationaler und internationaler Ebene für den Schutz von materiellem und immateriellem Kulturerbe einsetzt. Dabei wird dem Kulturgutschutz in Konflikt-, Katastrophen- und Notfallsituationen besondere Bedeutung beigemessen. Blue Shield Deutschland hat seit dem 1. März 2022 eine Monitoring-Gruppe mit dem Ziel eingerichtet, Meldungen zu kriegsbedingten Schäden und Verlusten von Kulturgut in der Ukraine zu sammeln, zu strukturieren und so weit wie möglich zu verifizieren.

Die Bibliotheken versuchen, zumindest stundenweise geöffnet zu haben, um den Zugang zu Literatur zu gewährleisten und Ausleihen und Rücknahmen zu ermöglichen. Kinderbüchereien werden in Kellern und Schutzräumen aufgebaut und Angebote für Kinder eingerichtet. In den Kinderbüchereien werden Spielsachen zur Verfügung gestellt, Hunde werden zum Streicheln eingeladen, es werden Yogakurse und psychologische Unterstützung angeboten.

Die Bibliotheken in Gebieten, die noch nicht direkt von Bomben betroffen sind, arbeiten weiter, unterstützen jedoch auf vielfältige Weise die anderen Bibliotheken und den Kampf.
Sie versorgen die Bevölkerung mit aktuellen Informationen. Täglich werden nationale und internationale Medien ausgewertet, um die Menschen über den Kriegsverlauf und über die Reaktionen der Welt sowie über militärische Ziele und Angriffe auf die Infrastruktur zu informieren.

Digitale Angebote werden ausgeweitet. Es finden virtuelle Buchausstellungen zu aktuellen Themen statt.
Der Kontakt der Bibliotheken innerhalb des Landes, insbesondere der zu den vom Krieg und von Besetzung betroffenen Gebieten, wird via Mail aufrechterhalten. Soziale Medien sind wichtig, um die Verbindung zu den NutzerInnen nicht abreißen zu lassen.
Universitätsbibliotheken versuchen weiterhin Studierende mit Literatur und Informationen zu versorgen.
Besonders wichtig ist, dass ukrainische Kinder, die geflüchtet sind, weiterhin Zugang zu ukrainischen Büchern haben. Für sie werden ukrainische Kinderbücher in andere Länder verschickt. Das Goethe-Institut Ukraine hat Buchsets zusammengestellt, die dort bezogen werden können.

Darüber hinaus werden Bibliotheksräume zu Freiwilligenzentren umgebaut, in denen Tarnnetze geknüpft und Kleider, Geld, Decken, Essen etc. für die Armee gesammelt werden. Es wird gekocht und genäht. In den Bibliothekshöfen werden sogenannte Victory Gardens angelegt, ein Projekt, zu dem Präsident Selenski aufgerufen hat: dort wird Gemüse angebaut, um wiederum Bortsch zu kochen.

In allen Bibliotheken werden geflüchtete Menschen aus anderen Regionen willkommen geheißen.
Da die Bibliotheken in Charkiw, Luhansk, Donez und in Vororten von Kiew zerstört wurden, mussten die BibliothekarInnen mit ihren Familien fliehen. Für sie wurde ein Hilfsfond eingerichtet. Bibliotheken in sichereren Gebieten nehmen geflüchtete KollegInnen auf.

Deutsche Bibliotheken unterstützen ukrainische auf vielfältige Weise. Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, hat das Netzwerk Kulturgutschutz Ukraine ins Leben gerufen, an dem auch der dbv beteiligt ist. In ihm sollen Hilfsbedarfe und –angebote gesammelt und koordiniert werden. Das Netzwerk liefert beispielsweise Material zum Schutz kultureller Güter (wasserdichte Behälter, Archivboxen etc.) in die Ukraine. Die Transporte sind schwierig, da sich die Zollbedingungen immer noch an Friedenszeiten orientieren und der Verwaltungsakt dadurch sehr groß ist.

Die Website des dbv listet eine große Zahl von Maßnahmen für geflüchtete Menschen aus der Ukraine auf, die deutsche Bibliotheken anbieten. Sie reichen von Stipendien und Jobangeboten für ukrainische BibliothekarInnen bis zu Informationsangeboten in ukrainischer Sprache sowie Zugang zu Arbeitsplätzen und Datenbanken.
Der Blog bibliothekarisch.de hat eine Linksammlung von Kinderbüchern in ukrainischer Sprache erstellt, die kostenlos herunterladbar sind.
Um sich über unabhängige Medien zu informieren, haben KollegInnen der Stadtbibliothek München einen Überblick unabhängiger und öffentlich-rechtlicher Medien aus der Ukraine, Russland und Belarus sowie seröse Informationsquellen zur aktuellen Situation zusammengestellt.

Die ukrainischen BibliothekarInnen begrüßten, dass sich die Zusammenarbeit mit deutschen Bibliotheken stark intensiviert habe.

Kritisch wird jedoch die Haltung der IFLA gesehen. Die International Federation of Library Associations and Institutions hatte sich zwar bereits am 1. März 2022 mit einem Statement an die Öffentlichkeit gewandt, in dem sie ihre Solidarität mit den KollegInnen aus der Ukraine bekräftigt – es werden jedoch lediglich all violent actions verurteilt. In einem weiteren Papier vom 21. März 2022 berichtet die IFLA über die Prüfung des Ausschlusses russischer IFLA-Mitglieder sie stellte fest, dass dafür die Voraussetzungen nicht gegeben seien.


Text und Foto: Bärbel Gerdes


Public Affairs

Beitrag vom 14.05.2022

Bärbel Gerdes