Sea Watch-Kapitänin Carola Rackete. Festnahme und Freilassung. Warum Seenotrettung kein Verbrechen sein darf - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 01.07.2019


Sea Watch-Kapitänin Carola Rackete. Festnahme und Freilassung. Warum Seenotrettung kein Verbrechen sein darf
Saskia Balser

40 Migrant*innen konnten durch das selbstlose Handeln der "Sea Watch 3"-Kapitänin Carola Rackete gerettet werden – Trotzdem drohte ihr eine lange Haftstrafe. Moralische und finanzielle Unterstützung bekommt sie vor der Verhaftung und nach der Freilassung von vielen Seiten, auch AVIVA ruft an dieser Stelle zu Solidarität auf und liefert aktualisierte Infos zu den laufenden Petitionen! #freecarola. #arrestsalvini




NEWS vom 11. Juli 2019Carola Rackete verklagt Innenminister Matteo Salvini

Die Kapitänin des Rettungsschiffes "Sea Watch 3" beschuldigt Salvini der Verleumdung vor allem via Twitter und Facebook und fordert deshalb die Schließung seiner Accounts. Damit tritt sie ihm mutig entgegen und wehrt sich gegen die "Botschaft des Hasses", die von Salvini ausgeht. Dieser kommentiert die Klage gewohnt herablassend auf Twitter: "Die deutsche Kommunistin, die, die das Boot der Finanzpolizei gerammt hat, hat die Staatsanwaltschaft aufgefordert, meine Seiten auf Facebook und Twitter zu sperren. Es gibt keine Grenze der Lächerlichkeit. Kann ich also Instagram benutzen???" In der Klage sind alle Beschimpfungen und Angriffe Salvinis gegenüber Rackete und Sea-Watch versammelt. So nennt er die Organisation beispielsweise "illegal und gesetzlos" und deren Mitglieder "Komplizen von Schleppern und Menschenhändlern". Sich derartigem Hass entgegenzusetzen erfordert großen Mut Racketes, die ein starkes Zeichen setzt und weiterhin Unterstützung von außen braucht und verdient. Da ihre angesetzte Anhörung aufgrund eines Streiks der Strafverteidiger*innen verschoben wurde, ist Rackete noch immer nicht von allen Anklagepunkten freigesprochen.



NEWS vom 3. Juli 2019Kapitänin Rackete ist frei! Innenminister Salvini will sie des Landes verweisen

Eine Untersuchungsrichterin der sizilianischen Stadt Agrigent, Alessandra Vella, hat am 2. Juli den Haftbefehl für Carola Rackete nicht bestätigt. Sie begründete dies damit, dass die Rettung von Flüchtlingen, "das höhere Recht" sei. Die Sea Watch-Kapitänin kommentiert ihre Freilassung mit den Worten: "Ich war erleichtert über die Entscheidung der Richterin, die ich als großen Sieg für die Solidarität mit allen Migrant*innen, einschließlich Flüchtenden und Asylsuchenden, und gegen die Kriminalisierung von Helfer*innen in vielen Ländern Europas betrachte" Rackete wird dennoch aus Italien ausgewiesen, frühestens am 9. Juli wird der Ausweisungsbefehl durch die Justizbehörden bestätigt. Am gleichen Tag wird auch eine Anhörung der italienischen Staatsanwaltschaft wegen Beihilfe zu illegaler Migration stattfinden. Bis dahin ist Rackete aus Sicherheitsgründen untergetaucht, da Drohungen gegen sie vorliegen, wie ein Sprecher von Sea-Watch mitteilte. Innenminister Matteo Salvini ist empört über die Freisprechung, er habe mit härteren Strafen gerechnet und droht jetzt sogar mit einer Justizreform: "Denn das ist kein Urteil, das Italien gut tut, es ist kein Urteil, das für Italien spricht."



Mehr als zwei Wochen war das Rettungsschiff der deutschen Hilfsorganisation "Sea Watch" auf dem Mittelmeer unterwegs. 53 Geflüchtete wurden an der Küste Libyens am 12. Juni 2019 aufgenommen, die von diesem Zeitpunkt an zusammen mit 22 Besatzungsmitgliedern auf der Suche nach einem sicheren Hafen waren. Kapitänin Carola Rackete wartete tagelang vergebens auf die Genehmigung, in Italien an Land gehen zu dürfen. Lediglich 13 der Geflüchteten wurden aus medizinischen Gründen in Italien aufgenommen. In der Nacht des 29. Juni traf Rackete dann die folgenschwere Entscheidung, ohne Erlaubnis in Lampedusa anzulegen und den erschöpften Passagieren, bei denen sie teils sogar Suizide befürchtete, Zugang zu festem Boden unter den Füßen zu ermöglichen.

Bevor die 31-jährige Carola Rackete zu Sea-Watch ging, hatte sie sich bereits für Greenpeace und das Meeresforschungsinstitut Alfred-Wegener-Institut eingesetzt. Ihren Entschluss von Samstagnacht begründete die Aktivistin in einem Video der Sea-Watch: "Obwohl die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen mich eingeleitet hat, hat sie auch gleichzeitig bekannt gegeben, dass sie uns nicht helfen wird, die Geretteten von Bord zu holen. Das heißt, nach wie vor warten wir auf eine Lösung, die sich leider nicht abzeichnet. Deswegen habe ich mich jetzt entschlossen, selbstständig im Hafen anzulegen."

Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Verletzung des Seerechts – diese und weitere Anklagen werden gegen Rackete erhoben und das, obwohl sie vielen Menschen das Leben gerettet hat. Der italienische Innenminister Matteo Salvini äußert sich dazu auf Twitter sehr drastisch: "Verbrecherische Kapitänin festgenommen, Piratenschiff beschlagnahmt."

Das Verhalten der italienischen Justiz und die Festnahme haben in Deutschland für viel Empörung gesorgt, besonders Unterstützer*innen der Kapitänin erheben ihre Stimme. Unter dem Hashtag #freecarola verkünden auf Twitter Hunderttausende Nutzer*innen ihre Solidarität mit Rackete und rufen zu Spenden für Sea Watch und deren Kapitänin auf. Auf Change.org wurde eine Petition ins Leben gerufen, die Racketes Freilassung fordert und auch die Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf haben eine Spendenaktion gestartet, die die Rechtskosten der Seenotretter*innen decken soll. In einem Youtube-Video erklären die beiden: "Wer Menschenleben rettet, ist kein Verbrecher". Auch Außenminister Maas (SPD) spricht sich auf Twitter gegen die Kriminalisierung Racketes aus: "Menschenleben zu retten ist eine humanitäre Verpflichtung. Seenotrettung darf nicht kriminalisiert werden. Es ist an der italienischen Justiz, die Vorwürfe schnell zu klären. #Seawatch"

Neben der SPD appellieren auch die Linke und die Grünen an die italienische Regierung und Heinrich Bedford-Strohm von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) spricht von einer "Schande für Europa". Er beklagt weiter: "Dass Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete heute Nacht beim Anlegen im Hafen von Lampedusa tatsächlich festgenommen wurde, macht mich traurig und zornig. Eine junge Frau wird in einem europäischen Land verhaftet, weil sie Menschenleben gerettet hat und die geretteten Menschen sicher an Land bringen will."

Der außenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Bijan Djir-Sarai dagegen verkündet der "Welt", dass er die Festnahme Racketes für gerechtfertigt halte: "Sie wird trotz edler Motive für diese illegale Aktion die Verantwortung übernehmen müssen. Die Rechtsstaatlichkeit ist außerordentlich gefährdet, wenn unter Berufung auf gesinnungsethische Motive Gesetze gebrochen werden."

Die Ereignisse rund um Carola Rackete zeigen erneut die Relevanz des Themas Seenotrettung. Die Hilfeleistung von Menschen auf See sollte nicht kriminalisiert, sondern geehrt werden. Diese Meinung vertritt die Sea Watch-Kapitänin vehement, auch im Hinblick auf ihren anstehenden Prozess ist sie sich sicher: "Wenn uns die Gerichte nicht freisprechen, dann die Geschichtsbücher." Ob Rackete tatsächlich eine Haftstrafe erwartet, soll bis spätestens Dienstag, dem 2. Juli feststehen. AVIVA-Berlin wird an dieser Stelle dazu berichten.

Weitere Infos unter:

www.sea-watch.org
Sea-Watch e.V. ist eine gemeinnützige Initiative, die sich der zivilen Seenotrettung von Flüchtenden verschrieben hat.
Ihr Twitteraccount: www.twitter.com/seawatchcrew

www.seebruecke.org
Die Seebrücke sieht sich als eine internationale Bewegung, die von verschiedenen Bündnissen und Akteur*innen der Zivilgesellschaft getragen werden, die sich mit allen Menschen auf der Flucht solidarisieren. Ihr Motto "Wir bauen eine Brücke zu sicheren Häfen."

www.proasyl.de
Pro Asyl setzt sich für die Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen ein: hilft in Asylverfahren, recherchiert in Menschenrechtsverletzungen, kämpft für eine offene Gesellschaft, in der Flüchtlinge Schutz erhalten.

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Quelle Foto: Openpetition.de


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Beitrag vom 01.07.2019

AVIVA-Redaktion