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Beitrag vom 19.07.2017
Provenienzforschung und NS-Raubkunst: Tempeltanz der Seele von Fidus bleibt in der Berlinischen Galerie
AVIVA-Redaktion
Einst hing der fünfteilige Gemälde-Zyklus im Musikzimmer der jüdischen Familie Neuhäuser am Bayerischen Platz. Mehr Informationen zum Hintergrund sowie weitere Aktivitäten der Provenienzforschung an der Berlinischen Galerie und der Unterstützer, wie der Ferdinand-Möller-Stiftung und der Senatsverwaltung für Kultur und Europa...
Ein aktuelles Beispiel intensiver Provenienzforschung am Museum wurde im Rahmen eines Pressetermins am 19. Juli 2017 in Anwesenheit von Dr. Klaus Lederer, Senator für Kultur und Europa, in der Berlinischen Galerie bekanntgegeben.
Seit 2006 leistet die Berlinische Galerie einen international wegweisenden Beitrag für die Provenienzforschung. Mit Unterstützung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa erschließt und erforscht sie in ihren Künstler_innen-Archiven den Kunsthandel der Moderne, um Werke aufzuspüren, die NS verfolgungsbedingt "entzogen" wurden. Weitere wichtige Unterstützer sind die Ferdinand-Möller-Stiftung sowie das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste. In der eigenen Sammlung konnte das Museum jüngst den fünfteiligen Gemäldezyklus "Tempeltanz der Seele" von Fidus (d.i. Hugo Höppener, 1868-1948) als NS-Raubkunst identifizieren. An die recherchierten Nachfahren der früheren Eigentümer_innen in Australien und den USA wurde der Zyklus zunächst restituiert und dann erworben. Damit sei "eine gerechte und faire Lösung" für einen weiteren Verbleib in Berlin gefunden.
Der "Tempeltanz der Seele" zählte 1974 zu den ersten Erwerbungen für die noch in Gründung befindliche Berlinische Galerie. Es konnte ermittelt werden, dass der damalige Verkäufer den Zyklus zwischen 1935 und 1937 erwarb und sich dieser zuvor im Eigentum von Dr. Gabriele Neuhäuser (1911–1998) in Berlin befand. Frau Dr. Neuhäuser, ab 1938 Neuhäuser-Scott, war die Tochter des Kaufmanns Richard Neuhäuser (1882–1935), der 1910 diese Fassung des für Fidus zentralen Motivs für das Musikzimmer seiner Wohnung am Bayerischen Platz in Auftrag gegeben hatte. Nach 1933 wurde die Familie wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt. Kurz nach dem Erlass der "Nürnberger Rassengesetze" im September 1935 nahm sich Richard Neuhäuser das Leben. Der genaue Verbleib des Zyklus nach der Emigration seiner Tochter ließ sich nicht mehr rekonstruieren. Fest steht, dass Frau Dr. Neuhäuser, der 1937 die Flucht nach Australien gelang, den Zyklus in Berlin zurücklassen musste. Es ist auszuschließen, dass es ohne diese Umstände zu einem Verkauf gekommen wäre.
Die Berlinische Galerie dankt den Töchtern von Frau Dr. Neuhäuser-Scott, Lesley Dalziel und Rayna Patton, für ihre Bereitschaft, den "Tempeltanz der Seele" in der Sammlung der Berlinischen Galerie zu belassen.
Der Kunsthandel der Moderne in Berlin – weitere Aktivitäten der Provenienzforschung an der Berlinischen Galerie
Dank Unterstützung der Senatsverwaltung für Kultur und Europa etabliert die Berlinische Galerie seit 2011 einen Forschungsbereich zum Kunsthandel der Moderne in Berlin. Das Museum leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung der "Gemeinsamen Erklärung", die im Dezember 1999 von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden unterzeichnet wurde. Sie erklärten sich darin "zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" bereit. Vor 1945 in Berlin gehandelte und gesammelte Gemälde, Skulpturen und Grafiken sind heute Hauptwerke internationaler Museen. Provenienzforschung zur Ermittlung von NS-Raubkunst benötigt deshalb Klarheit über die frühen Wege dieser Werke. Wer waren die Akteure des Marktes, und welche Preise wurden gezahlt?
2006, im Anschluss an die Restitution der "Berliner Straßenszene" aus dem Brücke-Museum, wurde die wissenschaftliche Tiefenerschließung des Ferdinand-Möller-Nachlasses zum Ausgangspunkt dieser Initiative in der Berlinischen Galerie. Inzwischen liefert das Projekt Informationen zu den Wegen von mehr als 7.000 Werken, die seit den 1920er-Jahren in der Galerie von Ferdinand Möller verhandelt wurden. Seite Ende 2015 ist der Bestand auf der Website des Museums Online recherchierbar. Dieser dokumentarische Nachlass ist zu einem der gefragtesten Bestände der Künstler_innen-Archive des Hauses geworden und unterstützt Museen, die Nachfahren jüdischer Sammler und Sammlerinnen und den internationalen Kunsthandel bei ihren Provenienzrecherchen.
Ausblick – Lexikon des Kunsthandels der Moderne
Bis Ende 2017 wird die Berlinische Galerie den ersten Teil des Archivs des Wiener Kunstmarktforschers Werner J. Schweiger (1949–2011) online stellen. 2016 wurde dieser Bestand als Stiftung aus Privatbesitz übernommen. Werner J. Schweiger plante ein Lexikon des Kunsthandels der Moderne im deutschsprachigen Raum zwischen 1905 und 1937. Erhalten sind mehr als 135.000 Karteikarten sowie ausführliche Datenblätter zu rund 250 Galerien, die zurzeit für eine digitale Veröffentlichung vorbereitet werden.
Mit der nachfrageorientierten Erschließung dieses und weiterer Bestände unterstützt die Berlinische Galerie die wachsende Kunstmarktforschung an Universitäten und entwickelt sich zu einem anerkannten Ausbildungsort für die Provenienzforschung.
Weitere Informationen finden Sie unter.
www.berlinischegalerie.de/museum-berlin/forschung/provenienzforschung
www.ferdinand-moeller-stiftung.de
Mehr zum Thema:
Die Stiftung ZURÜCKGEBEN, Stiftung zur Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft gibt Menschen die Möglichkeit, Raubgut symbolisch zurückzugeben: www.stiftung-zurueckgeben.de
Rose Valland Institut Call for Papers "Verwaistes Eigentum in Europa": rosevallandinstitut.org
Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945, Fritz Bauer Institut und Hessischer Rundfunk: www.fritz-bauer-institut.de
Marianne Moesle, Falsches Erbe, SZ Magazin (46/2014)
The Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933–1945: www.lootedart.com
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste: www.kulturgutverluste.de
Matisse painting from Gurlitt´s Nazi-looted art collection returned to owners (Ein Beitrag der Deutschen Welle vom 15.05.2015)
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Rose Valland Institut: Open Call - Unrechtmäßige Besitzverhältnisse in Deutschland
Das Rose Valland Institut ist ein künstlerisches Projekt von Maria Eichhorn im Rahmen der documenta 14. Mit dem Call for Papers "Verwaistes Eigentum in Europa" trat das Institut im März 2017 erstmals an die Öffentlichkeit. Diese wird dazu aufgerufen, sich über NS-Raubgut im ererbten Besitz bewusst zu werden, zu recherchieren und Informationen dem Rose Valland Institut zu übermitteln. (2017)
Elisabeth Sandmann - Der gestohlene Klimt. Wie sich Maria Altmann die Goldene Adele zurückholte
Das Leben der Maria Altmann und ihre Beziehung zu dem von den Nazis geraubten Klimt-Gemälde "Goldene Adele" dokumentierte die Verlegerin Elisabeth Sandmann in akribischer Recherchearbeit. (2015)
Die Frau in Gold. Kinostart 4. Juni 2015. Das Buch zum Film von Elisabeth Sandmann - Der gestohlene Klimt
Das Leben der Maria Altmann und ihre Beziehung zu dem von den Nazis geraubten Klimt-Gemälde "Goldene Adele" inspirierte Regisseur Simon Curtis zu einem fesselnden Bio-Pic. Helen Mirren verkörpert die aus Österreich in die USA geflüchtete faszinierende Protagonistin. (2015)
Birgit Schwarz - Auf Befehl des Führers. Hitler und der NS-Kunstraub
Nicht erst seit dem Fall Gurlitt ist bekannt, dass Deutschland unter dem NS-Regime Schauplatz des größten Kunstraubs der Geschichte war. Wie tief Hitler jedoch wirklich in das schmutzige Geschäft mit gestohlenen Kulturgütern verstrickt war, deckt Kunsthistorikerin Birgit Schwarz in ihrem neuen Sachbuch auf. (2015)
Stefan Koldehoff - "Die Bilder sind unter uns. Das Geschäft mit der NS-Raubkunst und der Fall Gurlitt"
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Melissa Müller und Monika Tatzkow – "Verlorene Bilder, verlorene Leben" über "Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde". Im größten Kunstraub aller Zeiten enteignete das Naziregime etwa 600.000 Kunstwerke aus jüdischem Besitz. Sie wurden gestohlen, beschlagnahmt, eingezogen, zwangsverkauft oder versteigert. (2009)
Interview with Jane Chablani, Regisseurin von "Stealing Klimt"
The director of "Stealing Klimt" talks about the long lasting fight of the 90-year-old Maria Altmann against the Republic of Austria and about the victory of David against Goliath (2007)
Jani Pietsch - Ich besaß einen Garten in Schöneiche bei Berlin
Das verwaltete Verschwinden jüdischer Nachbarn und ihre schwierige Rückkehr. Eine Rekonstruktion der Berliner Politikwissenschaftlerin und Historikerin Jani Pietsch. Mit O-Tönen von Gesine Strempel (2006)
Quelle: PRESSEINFORMATION BERLINISCHE GALERIELANDESMUSEUM FÜR MODERNE KUNST, FOTOGRAFIE UND ARCHITEKTUR STIFTUNG ÖFFENTLICHEN RECHTS vom 19. Juli 2017