Was zu erwarten war: Der rot-grüne Gesetzentwurf zur Frauenquote... - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 19.04.2013


Was zu erwarten war: Der rot-grüne Gesetzentwurf zur Frauenquote...
Sabine Reichelt

...in der deutschen Wirtschaft wurde im Bundestag mehrheitlich abgelehnt, nachdem die Quotenbefürworterinnen der Koalition umgefallen sind. Frauenorganisationen zeigen sich daraufhin enttäuscht, ...




...Ursula von der Leyen äußert sich zufrieden.

"Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin", heißt es im Grundgesetz, Artikel 3, Absatz 2. "Dieser Pflicht ist der Deutsche Bundestag (am 18. April 2013) nicht nachgekommen. (Er) setzt mit seiner Entscheidung ein falsches Signal an die deutsche Wirtschaft und die Bevölkerung", ist das Urteil des Nationalen Komitees Deutschland der Frauenorganisation der Vereinten Nationen. Und wie viele andere hält auch der Deutsche Juristinnenbund (djb) eine Quote für "gesetzlich geboten", wie er in einer Stellungnahme im Januar 2013 mitteilte. Ramona Pisal, Präsidentin des djb, äußert sich in einer Pressemitteilung zum abgelehnten Vorschlag: "Der Bundestag hat eine historische Chance verpasst. Die Quote für Aufsichtsräte entsprechend der Bundesratsinitiative war ein Minimalkonsens auf breiter gesellschaftlicher Grundlage. Sie hätte die Unternehmen in keiner Weise belastet und trotzdem einen deutlichen Impuls gesetzt, der nach wie vor unverzichtbar ist. Wir brauchen einen klaren gesetzlichen Auftrag. Von selbst wird sich nichts ändern."

Der gescheiterte Entwurf

Der Vorschlag der Opposition, der die deutsche Wirtschaft dem Ziel der Gleichberechtigung ein kleines Stück näher gebracht hätte, sah vor, bis 2018 mindestens 20 Prozent aller Aufsichtsratsposten der börsennotierten deutschen Unternehmen mit Frauen zu besetzen und diese Quote bis zum Jahr 2023 auf 40 Prozent anzuheben. Der Entwurf hatte den Bundesrat bereits im September 2012 passiert, bevor er nun zur Abstimmung im Parlament bereitstand. 320 Abgeordnete stimmten mit "Nein", nur 276 mit "Ja". Leider zu wenige.

Auch einige Politikerinnen der Koalitionsparteien, wie Ursula von der Leyen, hatten zu Befürworterinnen des Entwurfs gehört, sich dann aber kurzfristig der eigenen Fraktion gebeugt. So sagte sie im Juli 2012 dem "Focus" zum Thema Quote: "Mir selbst ist (...) wichtig, dass am Ende des Weges ein klares Ziel innerhalb einer klaren Frist steht und auch Sanktionen festgeschrieben sind für den Fall, dass trotz aller Versprechen wieder nichts passiert."

Der Vorschlag der Union

Die Union hat nun versprochen, ab 2020 eine Frauenquote von 30 Prozent in ihr Wahlprogramm aufzunehmen, wenn die Flexi-Quote Kristina Schröders bis dahin nicht zum gewünschten Erfolg führen sollte. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros (BAG) wendet sich deshalb in einem offenen Brief vom 18. April 2013 an die Bundeskanzlerin und die Familienministerin und kritisiert: "Das reicht nicht aus. Das ist zu spät." Ganz anders Ursula von der Leyen, die angesichts des erreichten Kompromisses bei "Maybrit Illner" von einem "Riesenschritt voran" sprach.

Die Frauenorganisation der Vereinten Nationen weist nun zu Recht darauf hin, dass es auch Politikerinnen von Union und FDP waren, die im Jahr 2011 zu den Initiatorinnen und Erstunterzeichnerinnen der Berliner Erklärung gehörten, die sich auf der Basis des Grundgesetzes für eine gesetzliche Frauenquote ausspricht. Unter ihnen war neben der Arbeitsministerin auch Rita Pawelski (CDU). Während sich von der Leyen in der Bundestagsdebatte jedoch nicht zu Wort meldete, betonte Pawelski, "dass man manchmal das Gegenteil von dem tun muss, was man eigentlich möchte, um das zu erreichen, was man will".

Frauen in Führungspositionen in Europa

Aktuell liegt in Deutschland der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten und Vorständen der 160 DAX, MDAX, SDAX und TecDAX notierten Unternehmen bei 11,1 Prozent, wie eine Studie des Vereins FidAR - "Frauen in die Aufsichtsräte" vom 31. März 2013 zeigt. Innerhalb der letzten beiden Jahre hat sich der Anteil dabei um lediglich 4,6 Prozent erhöht. 38 der untersuchten Unternehmen haben sogar keine einzige Frau in einer Führungsposition besetzt. Und das, obwohl seit 2001 eine freiwillige Regelung in der deutsche Wirtschaft gilt, den Frauenanteil in Spitzenpositionen zu erhöhen.

Auf europäischer Ebene allerdings scheint Bewegung in die Debatte zu kommen. EU-Vizepräsidentin Viviane Reding brachte im November 2012 einen Gesetzentwurf auf den Weg, der eine Frauenquote in den Aufsichtsräten von 40 Prozent bis 2020 vorschreibt. Bei Nichteinhaltung sollen Sanktionen verhängt werden. Andere europäische Länder, wie Norwegen, Island, Spanien oder Frankreich, haben bereits eine gesetzliche Quote.

Die GegnerInnen

Harte GegnerInnen der Quote führen immer wieder das Argument ins Feld, diese würde sowohl Männer als auch Frauen diskriminieren. So meinte der Medienwissenschaftler Norbert Bolz in der Talkshow "Anne Will", nun würden Frauen allein wegen ihres Geschlechts eingestellt und qualifizierten Männern vorgezogen. Außerdem würden all jene Frauen benachteiligt, die es auch ohne Quote geschafft hätten und haben. Diese Argumentation setzt allerdings voraus, dass in bisherigen Bewerbungsverfahren die Qualifikation und Kompetenz der Bewerberin oder des Bewerbers das einzige ausschlaggebende Kriterium für eine Einstellung war. Das ist natürlich Quatsch. Sonst wäre sicher nicht rund 90 Prozent des Führungspersonals männlich.

Warum eine Frauenquote?

Katrin Göring-Eckardt, Spitzenkandidatin der Grünen erklärt: "Wenn es um Führungspositionen geht, dann muss man klar und deutlich sagen, da geht`s auch darum, wie ist es eigentlich in unserer Wirtschaft, was werden da für Entscheidungen getroffen. Ist es so, dass wir Entscheidungen haben, die faktisch nur von Männern getroffen werden? (…) Ist es so, dass auch nur nach Männern gesucht wird? (…) Man muss klar sagen, wir verschenken ein Potential und wir verschenken auch wirtschaftlichen Erfolg."

Deshalb, und weil Aufsichtsräte einen großen Einfluss auf die Bildung der Vorstände und damit das ganze Unternehmen haben, ist eine Quote natürlich wichtig und richtig. Allerdings darf mensch nicht vergessen, dass damit nur einem Bruchteil aller Frauen geholfen wird. Grundlegende Regelungen, wie genügend gute Betreuungsmöglichkeiten für Kinder aller Altersgruppen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder eine höhere Bezahlung in Niedriglohn-Arbeitsfeldern, zum Beispiel im Pflegebereich, sollten ebenfalls zu den Zielen der Bundesregierung gehören, wenn sie mit ihrer Politik Artikel 3 im Grundgesetz gerecht werden will.

Weitere Informationen und Quellen:

Der Gesetzentwurf und seine Ablehnung

FidAR-Studie (31. März 2013): Aktuelle Dokumentation des Anteils von Frauen in Führungspositionen der im DAX, MDAX, SDAX und TecDAX notierten Unternehmen

Berliner Erklärung: www.berlinererklaerung.de

Pressemitteilung des djb (19.04.2013): "Nein" zur Frauenquote für die Aufsichtsräte - Gesetzgeber ignoriert Verfassungsauftrag

Stellungnahme des djb zum Gesetzentwurf zur Förderung der Chancengleichheit von Männern und Frauen in Wirtschaftsunternehmen (16.01.2013): www.djb.de

Offener Brief der BAG (18.04.2013): www.frauenbeauftragte.de

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Sabine Reichelt