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Beitrag vom 15.08.2012
Das Kartell der Verharmloser - Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren
Laura Wösch
Im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung reiste die Journalistin Marion Kraske durch acht Bundesländer, um die Arbeit von Initiativen gegen rechte Gewalt zu dokumentieren. Dabei entstand ein ...
... ernüchternder Bericht über systematisches Staatsversagen, der ab sofort bei der Amadeu Antonio Stiftung bestellt werden kann.
Seit über zehn Jahren ist die deutsch-israelisch-jüdische Begegnungsstätte Schalom e.V. in Chemnitz mit rechtsextremer Gewalt konfrontiert. Der materielle Schaden beläuft sich mittlerweile auf über 40.000 Euro. Anzeige erstattet Uwe Dziuballa, einer der Gründer des Vereins mit dazugehörigem Restaurant, längst nicht mehr. Als ein toter Schweinekopf mit darauf gemaltem Davidstern vor dessen Restauranttür gelegt wird, meinen die PolizeibeamtInnen genervt, er solle doch den Kopf am Revier vorbeibringen, sie hätten gerade zu tun. Von der Polizei erhält er also keine Unterstützung, eher Kommentare wie "Sie müssen sich ja nicht wundern, bei dieser Art von Restaurant".
Beispiele für eine Täter-Opfer-Umkehr und das Leugnen politischer Motive bei rechtsextremen Gewalttaten gibt es zahlreich. Marion Kaske, ehemalige Spiegel- und ARD-Reporterin sowie Autorin des am 14. August 2012 veröffentlichten und im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellten Reports, nennt einige davon. In ihrem Bericht "Das Kartell der Verharmloser" greift sie nun die Situation in acht Bundesländern, mit Fokus auf die Situation in Thüringen und NRW, beispielhaft auf. Marion Kraske zur Gesamtaussage: "Opfer rechter Gewalt, Beratungsstellen und Opfervereine kämpfen bundesweit gegen eine Mauer aus Ignoranz und Verharmlosung an. Die Gefährlichkeit der TäterInnen wird negiert, Rassismus als Tatmotiv bei rechtsextremen Straftaten ausgeblendet." Problem dabei ist, dass durch die Bagatellisierungen derartiger Gewalttaten rechtsextreme Übergriffe in die Sphäre des Privaten geschoben und dadurch unsichtbar gemacht werden - eine angewandte Strategie der Politik, um sich ihrer Verantwortung entziehen zu können.
Katja Fiebiger, Projektleiterin der Mobilen Beratungsstelle MOBIT in Thüringen, fühlt sich ebenfalls, aufgrund mangelnder staatlicher Unterstützung, alleine gelassen. Die Verantwortlichen vor Ort hätten aus den Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) keine Lehren gezogen. Erst im Juli 2012 gab es einen gewalttätigen Übergriff durch Rechtsextreme auf eine Kunstausstellung in Erfurt, der als Schlägerei verharmlost wurde. Marion Kaske wirft ein, man dürfe eine "Kultur des Wegschauens" nicht weiterhin in der Gesellschaft etablieren, ansonsten würden sich die Angsträume, wie sie in einigen Regionen von Rechtsextremen durch Einschüchterung, Mobbing und Gewalttaten geschaffen werden, zunehmend ausweiten.
Rechte Gewalt macht aber nicht, wie oft angenommen, in Ostdeutschland Halt. Auch im Raum Westfalen nimmt die Zahl der rechtsextremen Angriffe, Bedrohungen und Sachbeschädigungen stetig zu. Dazu Claudia Luzar, Leiterin der Opferberatung BACK UP: "Dortmund ist ein Hotspot des Rechtsextremismus. Vor allem die Autonomen NationalistInnen schüren bis zum heutigen Tag Angst und Unsicherheit". Die Beratungsstelle wurde parallel zum Bekanntwerden der NSU-Morde gegründet, nur "Warum müssen immer erst Menschen sterben, damit sich etwas ändert", prangert Luzar an.
Der alltäglichen Dimension rechtsextremen Terrors müsse mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, meint auch Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Sie fordert von der Bundesregierung eine Konzeption zur Präventionsarbeit und Opferberatung, konkreter: "Es gibt so viele Standards, die von Ländern eingehalten werden müssen, um wirtschaftlich gefördert zu werden, warum nicht auch in diesem Bereich?", wird Kahane gegen Ende der Pressekonferenz konkreter. Zudem würde die Gleichsetzung von links- und rechtsextremem Terror das Ausmaß rechtsextremer Gewalttaten verschleiern. Initiativen wie MOBIT oder BACK UP brauchen dringend auch weiterhin finanzielle Unterstützung. "Es kann doch nicht wahr sein, dass die Projekte jedes Jahr einen neuen Antrag stellen müssen und sich ständig etwas Neues einfallen lassen müssen, damit die Opfer auch weiterhin beraten werden können."betont Claudia Luzar und fügt hinzu "Ich bin für hier ja für das Konkrete zuständig". Gemeinsam mit der Amadeu Antonio Stiftung fordert sie vehement, dass ein jedes Bundesland eine Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt benötige, die finanziell vom Staat getragen werde. Sie vermisse einen erkennbaren, politischen Willen. Zu Recht, denn seit der Aufdeckung der NSU-Morde ist auf politischer Ebene nahezu nichts passiert.
Der Report "Das Kartell der Verharmloser: Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren." kann für 5 Euro für Porto und Verpackung bei der Amadeu Antonio Stiftung bestellt oder online heruntergeladen werden.
Weitere Informationen:
Amadeu Antonio Stiftung
Interview mit Annetta Kahane
Amadeu Antonio: Gegen Nazis in Mecklenburg-Vorpommern
Interview mit Claudia Luzar
"Konkurrenz der Antisemiten", ein guter Beitrag zum Thema in der Jungle World (24. März 2012)
Interview mit Uwe Dziuballa
Opferfonds CURA steht Opfern rechter Gewalt zur Seite: www.opferfonds-cura.de
Informationen zu Rechtsextremismus und möglichen Gegenstrategien: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de
EXIT-Deutschland
Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus: "Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze"
Weiterlesen Auf AVIVA-Berlin:
Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung zu Israel-Kritik (2012)
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Rechtsextremismus ist auch Frauensache
Ich habe nichts gegen Juden, aber... Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung (2007)
Ich sehe was, was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten" von Anetta Kahane, erschienen im Rowohlt Verlag Berlin, März 2004.
Handeln gegen Antisemitismus
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