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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 07.03.2005


8. März - Grund zum Feiern? - Antworten von Brigitte Zypries
Ilka Fleischer

Im E-Interview stellte sich auch Brigitte Zypries, Bundesministerin der Justiz, unseren 8 Fragen zum 8. März.





Ilka Fleischer: Seit dem ersten Internationalen Frauentag 1911 gab es im vergangenen Jahrhundert für deutsche Frauen nicht nur Anlass zu Kritik, sondern auch gute Gründe zum Feiern, allen voran die Durchsetzung des Frauenwahlrechts 1918. Was waren aus Ihrer Sicht bislang die größten Erfolge oder Fortschritte für Frauen in den vergangenen 100 Jahren - nicht nur, aber auch in Ihrem Ministerium?
Brigitte Zypries: Als einen Erfolg für die Frauen werte ich, dass immer mehr von uns in der Politik arbeiten. Als nach dem Krieg das Grundgesetz erarbeitete wurde, waren im Parlamentarischen Rat nur vier Frauen beteiligt - vier von insgesamt 65 Abgeordneten. Noch im Jahr 1972 betrug der Frauenanteil im Bundestag gerade einmal 5,8 Prozent. Heute sind es fast 33 Prozent. Auch in der Justiz hat sich einiges getan: Am Bundesgerichtshof sprechen 25 Frauen Recht, das ist ein Anteil von etwa 20 Prozent, dem Bundesfinanzhof und dem Bundesarbeitsgericht stehen Frauen als Präsidentinnen vor. Und nicht zuletzt werden sechs von den dreizehn Ressorts dieser Bundesregierung von Ministerinnen geleitet.

Diese Entwicklung ging auch einher mit Veränderungen im Familienrecht. Beispiel arbeitende Frauen - das ist heute selbstverständlich. Aber noch bis zum Jahr 1953 konnte der Ehemann ein Arbeitsverhältnis seiner Frau kündigen. Die so genannte "Hausfrauen-Ehe" war bis ins Jahr 1977 der gesetzliche Regelfall, was bedeutete, dass Frauen nur dann erwerbstätig sein durften, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Und erst 1994 wurde der so genannte "Stichentscheid" im Namensrecht abgeschafft, nachdem das Bundesverfassungsgericht 1991 diese Regelung für verfassungswidrig erklärte. Bis dahin galt: Einigten sich die Eheleute nicht über einen gemeinsamen Namen, wurde automatisch der Name des Mannes als Familienname eingetragen.

Was mein Ressort anbelangt, hat sich vor allem im Strafrecht einiges zugunsten der Frauen entwickelt. Was etwa heute kaum noch nachvollziehbar ist: Die Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1997 als eigener Tatbestand strafbar. Vorher galt sie im strafrechtlichen Sinn als Nötigung. Seit 2002 ist darüber hinaus das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Damit haben wir es geschafft, dass nicht mehr die Opfer ihre vertraute Umgebung verlassen müssen, um der Gewalt des Partners oder der Partnerin zu entkommen. Stattdessen wird der Täter oder die Täterin aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen. Auch im Sexualstrafrecht haben wir den Schutz der Opfer erheblich verbessert. Zuletzt haben wir außerdem die Vorschriften verbessert, die den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung bestrafen. Die Zwangsverheiratung wird zukünftig als besonders schwerer Fall der Nötigung bestraft. Und für Opfer von Menschenhandel wird es mit dem neuen Recht einfacher, Strafanzeige gegen ihre Peiniger zu erstatten, weil strafrechtliche Ermittlungen, die sich auf mögliche ausländerrechtliche Verstöße des Opfers selbst beziehen, leichter eingestellt werden können.

Ilka Fleischer: "Brot und Rosen!" - Brot zum Leben und Rosen, damit sich das Leben lohnt - forderten Textilarbeiterinnen 1912 im Streik gegen Hungerlöhne in den USA noch recht bescheiden. Inzwischen wollen viele Frauen wesentlich mehr: Nach Gittes Song "Ich will alles" Anfang der 80er Jahre titelte die Bestsellerautorin Maeve Haran kürzlich "Alles ist nicht genug". Werden Frauen allmählich maßlos in ihren Forderungen?
Brigitte Zypries: Forderungen sind immer größer als das, was im Ergebnis durchgesetzt wird. Und es gibt trotz vieler Erfolge noch viel zu ändern. So verdienen Frauen im Durchschnitt nach wie vor weniger als Männer. Obwohl annähernd gleich viele Männer und Frauen einen Hochschulabschluss haben, lag der Anteil von Professorinnen im Jahr 2001 bei gerade einmal 11 Prozent. Das gleiche gilt im Sport: 40 Prozent der Mitglieder in Sportvereinen sind Frauen, aber in Leitungsfunktionen arbeiten nur zehn Prozent. Es ist also noch eine Menge zu tun. Allerdings sind nicht alle Lösungsansätze gleichermaßen sinnvoll: Eine Quotenregelung hilft beispielsweise wenig, wenn sich auf bestimmte Stellen eben keine ausreichend qualifizierten Frauen bewerben. Zudem sind die Veränderungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die Aufgaben, die sich in den nächsten Jahren stellen werden, Aufgaben für- alle - Männer und Frauen sind dabei gleichermaßen gefragt.

Ilka Fleischer: Valerie Solanas, behauptete 1968 in ihrem Manifest "Society for Cutting up Men", Männer wären aufgrund der Chromosomstruktur unvollständige Frauen und versuchten daher ihr Leben lang, sich zu vervollkommnen. Gibt es zwischen Mann und Frau Unterschiede, die Sie für "naturbedingt" halten?
Brigitte Zypries: Womit wir wieder bei der Frage wären, warum Jungs mit Fußbällen spielen und Mädchen mit Puppen. Das ist ähnlich schwer zu beantworten wie die Frage nach dem Verhältnis von genetischer Vor-Prägung und Erziehung eines Menschen - was hat mehr Einfluss auf die Persönlichkeit eines Menschen? Darüber streiten Mediziner, Theologen und Philosophen seit Jahrhunderten. Sicherlich gibt es biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen: Der offensichtlichste ist natürlich, dass Frauen Kinder austragen und Männer nicht. Aber wie tatsächlich das Verhältnis von "naturbedingten" Unterschieden und solchen ist, die aufgrund gesellschaftlicher Zuweisungen und Diskurse entstehen, ist schwer zu beurteilen.

Ilka Fleischer: Norbert Blüm hat sich einmal neidisch auf "die Firma Mutter und Kind, die sich in den neun Monaten der Schwangerschaft bildet" geäußert und bedauerte, dass Männer dagegen nie "ankommen". Worauf sind Sie bei Männern "neidisch"? Was würde Ihnen bei einem Rollentausch besonders gut gefallen?
Brigitte Zypries: Seit Frauen Hosen tragen können bin ich auf nichts mehr neidisch.

Ilka Fleischer: "Frau allein ist noch kein Argument, es muss auch noch was zwischen den Ohren sitzen", behauptet Heide Simonis. Aber auch: "Politik ist der Sieg des Hinterns über das Gehirn". Welche Voraussetzungen müssen Frauen in der Politik also mitbringen?
Brigitte Zypries: Alles, was auch Männer mitbringen müssen, um einen guten Job zu machen: Kompromissbereitschaft, aber auch Durchsetzungsvermögen. Führungsqualität, aber auch Teamfähigkeit. Und natürlich Fachverstand, Spaß an politischer Auseinandersetzung und Gestaltungswillen. Aber das ist jenseits der Politik nicht anders.

Ilka Fleischer: Während Gerhard Schröder laut Infratest bei Frauen populärer ist als bei Männern, schneidet Edmund Stoiber bei Männern besser ab. Was müsste Herr Stoiber verändern, um bei Frauen einen höheren Beliebtheitsgrad zu erlangen? Oder allgemeiner: Was schätzen Frauen an PolitikerInnen?
Brigitte Zypries: Im Zweifel schätzen Frauen und Männer gleichermaßen: Glaubwürdigkeit.

Ilka Fleischer: Nach einer Studie zum Verhalten der BundesbürgerInnen im Haushalt werden 80 % der Hausarbeit immer noch von Frauen bewältigt. Nur 1,2 % der Männer putzen das Klo selbst. 73,3 % der Männer sind allerdings der Meinung, dass die Arbeit im Haushalt gerecht verteilt sei. Was bleibt - neben Gendermainstreaming - auf der politischen Ebene zu tun, und worin bestehen Ihres Erachtens die größten Fallstricke?
Brigitte Zypries: Die Arbeitsaufteilung im Haushalt entzieht sich einer gesetzlichen Regelung - mit Recht. Der Staat kann nur durch eine gut ausbalancierte Familienpolitik Entscheidungsalternativen schaffen. Dazu brauchen wir ausreichend Möglichkeiten zur Kinderbetreuung. Nach dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz setzen wir uns jetzt dafür ein, dass bis zum Jahr 2010 in den westlichen Bundesländern 230.000 neue Betreuungsplätze für unter Dreijährige geschaffen werden. Seit Anfang dieses Jahres erhalten alle Alleinerziehenden Mehrbedarfszuschläge. Und Menschen, die Kinder erziehen, werden bei der Pflegeversicherung bessergestellt als kinderlose Menschen. Das sind Maßnahmen, die direkt greifen. Daneben werden wir die Rahmenbedingungen für Ehe und Familie den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen und unter anderem das Unterhaltsrecht reformieren. Ziel ist es, das Kindeswohl zu fördern und die nacheheliche Eigenverantwortung zu stärken. Das alles sind jedoch nur Angebote - ob und wie beispielweise Elternzeit auch von Vätern angenommen wird, obliegt natürlich den Menschen selbst.


Neben Brigitte Zypries nahmen 11 weitere PolitikerInnen an der elektronischen Befragung teil. Mit kleineren Abweichungen erhielten alle Interview-PartnerInnen den gleichen Fragenkatalog - und beantworteten unsere 8 Fragen zum 8. März in großer Vielfalt. Um die kompletten Beiträge zu lesen, klicken Sie bitte auf die Namen der einzelnen Interview-PartnerInnen:


  • Evrim Baba, frauenpolitische Sprecherin der PDS-Fraktion im AGH von Berlin

  • Edelgard Bulmahn , Bundesministerin für Bildung und Forschung

  • Maria Eichhorn, MdB, Vorsitzende der Arbeitsgruppe Familie, Senioren, Frauen und Jugend der CDU/CSU-Fraktion

  • Dagmar Enkelmann, stellvertretende Vorsitzende der PDS

  • Ingrid Hofmann, Präsidiums-Mitglied in der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA)

  • Christel Humme, MdB, Familien-, senioren-, frauen- und jugendpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

  • Ina Lenke, MdB, Familien-, frauen- und zivildienstpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Bundesvorsitzende der Liberalen Frauen

  • Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, MdB, Bundesministerin a.D., Europapolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion

  • Irmingard Schewe-Gerigk, MdB, Frauen- und familienpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÃœNEN

  • Klaus Wowereit , Regierender Bürgermeister von Berlin

  • Renate Schmidt, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend



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Beitrag vom 07.03.2005

AVIVA-Redaktion