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Beitrag vom 10.08.2007
Verstrickung Berliner Universitäten im Nationalsozialismus
Marietta Harder
Seit August 2007 gibt es eine Broschüre, die über NS-Belastungen wissenschaftlicher Institutionen aufklärt. Sie beschäftigt sich mit den Auswirkungen der Ideologie auf Berliner ForscherInnen.
Erstmals hat der Berliner Senat somit eine Druckschrift herausgegeben, in der die Rolle der Berliner Wissenschaftseinrichtungen während der NS-Zeit dokumentiert wird. Anlass war eine Anhörung mit renommierten WissenschaftlerInnen im Abgeordnetenhaus im Mai 2005. Deren Wortbeiträge und wissenschaftliche Aufsätze untersuchen die Nähe deutscher AkademikerInnen zum NS-Staat.
Senator Prof. Dr. Zöllner: "Wir wollen mit dieser Broschüre einen Beitrag dazu leisten, mehr Transparenz und Aufklärung in das dunkelste Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte zu bringen." Es sollen also Antworten auf die Frage gegeben werden, inwieweit deutsche Universitäten vom Nationalsozialismus beeinflusst waren. Und auch das Thema der Verarbeitung spielt eine Rolle.
Lange Zeit beschäftigten sich deutsche Universitäten nicht kritisch mit diesem Thema, weshalb eine solche Broschüre erst jetzt, 60 Jahre nach Kriegsende entstand. Denn die allgemeine Überzeugung der Nachkriegszeit war, neben den Kirchen habe die Wissenschaft relativ unbeschädigt die NS-Zeit überstanden. Und die wirklich schwarzen Schafe seien nach 1945 rasch entfernt worden.
Die Institutionen argumentierten, "Vertreibung von Professoren und Aufpfropfungen wie die "Führer- Universität" sind von außen, von den neuen Machthabern oktroyiert worden - man braucht nur wieder zur Autonomie und zur Freiheit von Lehre und Forschung zurückzukehren", wie sie bis 1933 in der Tradition der Humboldtschen Universität Geltung besessen hätten.
Erst seit dem Jahr 2000 setzen sich viele Berliner Universitäten wissenschaftshistorisch mit ihrer NS-Vergangenheit auseinander und kommen zu folgenden Befunden:
"Nach den bisherigen Erkenntnissen hat es aus der Universität heraus keinen Widerstand gegen die NS-Maßnahmen gegeben, allenfalls einzelne private Äußerungen von Distanz und Abscheu." Und zweitens kann "von einer einseitigen Einflussnahme des NS-Systems auf die Berliner Universität keine Rede sein", so Prof. Dr. vom Bruch, Dozent für Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt Universität Berlin.
Neben der Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte in den letzten Jahren machte die Leitung der ältesten Berliner Hochschule auch hinsichtlich der Verarbeitung ihrer Vergangenheit einen Schritt nach vorn: Noch Ende 1999 entsagte die Humboldt-Universität Berlin dem Literaturkritiker Reich-Ranicki eine öffentliche Entschuldigung. Im Februar 2007 schließlich verlieh die Humboldt-Universität dem Marcel Reich-Ranicki eine Ehrendoktorwürde.
"Damit ehrt die ganze Universität nicht nur einen großen Kritiker und Förderer der deutschen Literatur, insbesondere der Exilliteratur, sondern bekennt sich im Vorfeld ihres zweihundertjährigen Jubiläums zu ihrer historischen Verantwortung wie Schuld", erläuterte Christoph Markschies, Präsident der HU. Die Auszeichnung ist eine Reaktion auf die Gesetze der nationalsozialistischen Regierung: 1938 war dem Juden Reich-Ranicki ein Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität (heutige HU) verweigert worden.
Weitere Ergebnisse zum Thema Nationalsozialismus und Universitäten liefert die Broschüre "Berliner Wissenschaftseinrichtungen in der NS-Zeit". Sie ist kostenfrei bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter der Rufnummer 9026-5000 erhältlich und kann auch online heruntergeladen werden.
Lesen Sie zum Thema auch unseren Beitrag "Forschungsprojekt der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten".
Weitere Infos unter:
Ãœberblick, Geschichte
Geschichte der Berliner Universitäten
Die Berliner Universität unterm Hakenkreuz
Ehrendoktor Reich-Ranicki