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Beitrag vom 20.02.2009
Dear Reader - Replace Why With Funny
Tatjana Zilg
Zwischen zuckerwattensüßem Indie-Pop und tongewaltiger Rockoper bewegen sich die zehn Songs des fulminanten Debuts von Cherilyn McNeil und Darryl Torr, die mit einigen Konzerten auch in ...
... Deutschland bereits ihren Einstand in der Musikwelt feierten als ein neues Duo, das keineR so schnell wieder vergessen sollte.
Der Weg hierher ist für die beiden TontänzerInnen weiter als für europäische Indie-AktivistInnen, denn sie kommen aus einer Stadt, die auf der globalen Indie-Pop-Landkarte noch eher unbeschrieben ist: Johannesburg, die Millionenstadt in Südafrika, die in den letzten Jahrzehnten nach der Beendigung der Apartheid eher als politischer Umbruchsort, weniger als Musikmetropole in den weltweiten Schlagzeilen erschien. Und wenn, dann überwiegend im World Music–Kontext oder durch Co-Produktionen von Weltstars wie Sting und Paul Simon.
Davon sind Dear Reader musikalisch meilenweit entfernt, bei ihnen könnten eher Einflüsse skandinavischer Bands wie El Perro Del Mar oder Brit Pop in seinen besten Variationen vermutet werden. Ihr Sound braucht ohnehin keine Vergleiche und kann allein für sich stehen. Der innovative Indie-Pop mit den vielen überraschenden Raffinessen springt den HörerInnen von der ersten Sekunde des Albums an in die Ohren und begeistert mit jugendlicher Frische, erwachsenem Charme, nuancenreichen Melodien und pfiffigen Texten.
Dazu gelang es ihnen, ein Layout zu gestalten, das den Inhalt exakt wiederspiegelt. Eine bizarre Comic-Landschaft zwischen Dadaismus und Surrealismus breitet sich auf dem achtseitigen Digipack aus. Irgendwie total niedlich und beim nächsten Hinschauen erwachsen reif, ein wenig traurig und dadurch anrührend, sticht die Gestalt auf dem Frontcover ins Auge. Die Hügellandschaft, die sich übers gesamte Paperpack zieht, verbirgt einige weitere Gesichter, die ohne Worte lebenskluge Fabeln zu erzählen scheinen. Die hitzigen Orange-Gelb-Töne des Horizonts erinnern dann doch leicht an die Weite des afrikanischen Kontinents.
Wer dann neugierig in die Falttaschen greift, auf der Suche nach einem Text-Booklet, wird von seinem Fund überrascht sein: Keine Texte zum Nachlesen, sondern vier Bilder mit weiteren bizarren Gestalten fallen in die Hände. Mit einem Aufsteller-Bogen können aus ihnen Paperdolls gebastelt werden, mit denen die Digipack-Landschaft dreidimensional bevölkert werden kann.
Verspielt, originell, selbstbewusst – Eigenschaften, die das Duo aus Südafrika insgesamt auszeichnen. Im ursprünglichen Sinn sind sie jedoch gar kein Duo: Bei ihrem Debut wirkte der Amerikaner Brent Knopf von der Band Menomena mit, bei den Live-Gigs begleitet sie der 21 jährige Michael Wright als Schlagzeuger. Im Studio baten sie noch etliche FreundInnen für das Einspielen der zahlreichen Instrumente hinzu. Violine, Waldhörner, Cello, Trompeten, Piano, Harmonium und die Pop-Rock-Klassiker Gitarre, Bass und Schlagzeug geben sich in den zehn Sound-Perlen die Hand und verschmelzen zu kontrastreichen und doch oft harmonischen Songs.
Dabei dürfen sich die vielseitigen Instrumente mit kurzen Soli immer wieder ganz ins Licht der Aufmerksamkeit stellen, dennoch bleibt die Stimme von der 24 jährigen Cherilyn McNeil ganz vorne in der nachhaltigen Erinnerung nach dem Genuss von "Replace Why With Funny". Sie ist von einer einzigartigen Kraft wie die der großen Songwriterinnen des letzten Pop-Jahrzehnts Björk, Anna Ternheim, Joanna Newsom und Amanda Palmer. Genau wie die weibliche Hälfte der Dresden Dolls ist sie auch ein ausgesprochenes Ausnahmetalent am Piano. Schon seit langem verdient sie sich als Klavierlehrerin ihr Einkommen. Auch ihr Duo-Gegenüber, der 34jährige Darryl Torr, kann längst von der Musik allein leben. Seine Küche schmückt bereits ein echter Grammy, der auf seinen Kühlschrank steht und den er für eine Produktion mit dem Soweto Gospel Choir erhalten hat. Hauptberuflich arbeitet er als Tonmeister und Studio-Ingenieur in den Tonstudios der South African Broadcasting Company (SABC), einem staatlichen Radiosender, mitten in Johannesburg gelegen.
Selbst bezeichnet er den Sound von Dear Reader mit leichtem Understatement als "sticky little Melodies". Mit Sicherheit bleiben die Kompositionen der Beiden in den Ohren kleben, bieten zugleich unzählige Feinheiten, so dass es bei jedem Wiederhören Neues zu entdecken gibt.
Die Singleauskoppelung "Dearheart" läuft bereits seit einiger Zeit bei den Radiosendern hierzulande. Mit augenzwinkerndem Drama zieht sie mit einem lauten Beat - verfeinert mit Streichereinlagen, minimalen Glockenspielen und Harmonium-Einsätzen - und dem reizvollen Gesang Cherilyn´s in den Bann. Kennzeichen für Dear Reader könnten die gekonnt platzierten Wechsel zwischen Laut und Leise werden, die rockige Ausgelassenheit mit orchestraler Weitschweifigkeit und vergnügten Pop-Spielereien versöhnen. Um hierfür auf dem Geschmack zu kommen, sei auch das Anspielen von "Out Out Out" empfohlen. Mehr von ihrer leisen Seite zeigen sie in dem Akustik-Gitarren-balladesken "Release Me" und im piano-dominierten "Never Goes". Glücksschwelgend euphorisch dringt "The Same" aus den Boxen.
Dear Reader im Netz: www.dearreadermusic.com und auf Myspace
Player zum Hineinhören in die Songs von "Replace Why With Funny"
Weiterhören: El Perro Del Mar und Taken By Trees
AVIVA-Tipp: Dass die nächsten Cityslang-Wunderkinder aus Südafrika kommen, hätten sicher nicht viele vermutet. Ab jetzt steht das Land mit der bewegten Vergangenheit nicht nur für hervorragende World Music, sondern auch für eine exzellente Bereicherung der Indie-Welt.
Dear Reader
Replace Why With Funny
Label: Cityslang, VÖ Februar 2009