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Beitrag vom 11.04.2025
Doris Hermanns – Sand im patriarchalen Getriebe. Zur Geschichte der Frauen-Buch-Bewegung. Lesung am 4. Mai 2025 in der BEGiNE
Ahima Beerlage
Vor fünfzig Jahren wurde in der Bundesrepublik der erste Frauenverlag gegründet. Anlass genug für die Autorin und Bücherfrau Doris Hermanns, den Spuren der Frauen-Buch-Bewegung in Deutschland bis in die Gegenwart zu folgen.
Ein anderer Kuchen
Für Doris Hermanns gibt es keine vergessenen Autorinnen, sondern in erster Linie verschwiegene Autorinnen. Die Suche nach diesen schreibenden Frauen ist ihr Lebenswerk. In ihrer Zeit in den Niederlanden ist sie bereits sechs Jahre als Antiquarin tätig, als sie das erste Antiquariat für Frauenbücher "Vrouwenindruk" in Amsterdam übernimmt. Bereits in dieser Zeit arbeitet sie daran mit, dass sich ein Bücherfrauennetzwerk in Westdeutschland entwickeln kann. Nach 25 Jahren in den Niederlanden zieht sie 2015 nach Berlin und arbeitet als Autorin, Übersetzerin, Herausgeberin und Redakteurin an der Sichtbarmachung von Autorinnen und ihren Werken.
Dabei erinnert sie sich immer daran, wer den Weg für diese Arbeit geebnet hat. "Wir sollten anerkennen und deutlich machen, auf wessen Schultern wir stehen, auf wessen Arbeit wir aufbauen, die Frauen benennen, ihre Leistungen anerkennen und sichtbar machen – wie es nicht nur bei den Frauenverlagen üblich war, sondern auch bei allen anderen üblich sein sollte."
Im Eingangskapitel "Von den Tomaten zu den Büchern" beschreibt Doris Hermanns den Weg vom ersten Tomatenwurf von Sigrid Rüger nach Helke Sanders Rede über den Aspekt der Geschlechterfrage bei der Delegiertenversammlung des SDS in Frankfurt am Main 1968 bis zur Gründung der ersten Frauenverlage und Frauenbuchläden. Der Kampf der Frauen um eigene Räume nahm Fahrt auf. Dabei zitiert Doris Hermanns Helke Sander, dass diese ersten Frauen sich nicht als Opfer sahen, sondern dass sie klar und mit hoher intellektueller Anstrengung die patriarchale Unterdrückung untersuchten. Sie wollten nicht ein Stück vom Kuchen haben, sondern einen ganz anderen Kuchen.
Eine andere Wirklichkeit
In den neuen autonomen Räumen von Frauenzentren und Frauenversammlungen begannen Frauen sich mit ganz anderen Themen auseinanderzusetzen – Themen, die im Patriarchat unsichtbar waren: Frauenalltag, ihre Körper und ihre Geschichte. Die Themen, die von der patriarchalen Literaturkritik als unliterarisch oder irrelevant abgelehnt wurden, wurden von Autorinnen aufgenommen, von Frauenverlagen lektoriert, von Frauendruckereien gedruckt, von Frauenzeitungen rezensiert und wurden in Frauenbuchläden verkauft. Die Frauen-Buch-Bewegung war und ist ein wichtiger Motor für die Autonomie von Frauen. Doris Hermanns zitiert Anke Schäfer: "Wir verstanden darunter: frei zu sein von Männerherrschaft, Männerdiktat, unabhängig von männlichen Normen und Werten, dem Wohlwollen, den Vorschriften, Machtstrukturen der Männer und deren Denkungsart."
Eine weltweite Welle
Was in den 70er Jahren des vorherigen Jahrhunderts meist ohne Bezahlung und autodidaktisch in kleinen Initiativen begann, breitete sich vor allem in den Industrieländern der USA und Europas aus. Australien und andere Länder folgten. Frauenbuchläden wurden zu geschützten Räumen, in denen sich Frauen trafen, Lesungen stattfanden und Frauen ihre Produkte, Workshops und ihre Treffen inserierten. Waren Lesben anfangs in der autonomen Frauenbewegung zwar persönlich sehr aktiv, waren sie doch weitestgehend politisch und literarisch unsichtbar. Mit den ersten Lesbenverlagen in den 80er Jahren fanden Lesben auch ihre Wirklichkeit in Büchern abgebildet. Die ersten Lebensverlage entstanden und Bücher wie Rita Mae Browns "Rubinroter Dschungel" halfen vielen Lesben bei ihrem Coming Out. Aber auch Themen wie Rassismus und Antisemitismus wurde gerade von Frauenverlagen wie dem Orlanda Frauenverlag aus Berlin thematisiert.
Abgeebbt, aber nicht versiegt
Wie sieht die Situation heute aus? Doris Hermanns weiß nichts Gutes zu berichten. Die große Welle der Frauen-Buch-Bewegung ist abgeebbt. Auch wenn in Berlin wieder ein Frauenbuchladen eröffnet hat, so sind die meisten Frauenbuchläden inzwischen verschwunden. Frauenverlage geben auf, weil sie nach Jahrzehnten häufig unbezahlter oder unterbezahlter Arbeit immer noch keinen festen Absatzmarkt in Buchladenketten oder Online-Versand finden. An den germanistischen Instituten an den Universitäten sind Autorinnen immer noch unterrepräsentiert. Die Literaturkritik feiert immer nur einzelne Frauen. Weite Teile der Bevölkerung halten Frauenliteratur für eine Sparte der Trivialliteratur. Umso höher sind Zeitschriften wie die "Virginia Frauenbuchkritik" oder die Onlinezeitschrift AVIVA-Berlin, herausgegeben von Sharon Adler, auf der diese Rezension erscheint, einzuschätzen.". Aber es gibt sie noch, Verlegerinnen wie Britta Jürgs, die die "Virginia Frauenbuchkritik" und zahlreiche Bücher zu historischen Frauen im AvivA-Verlag herausgibt. Das Netzwerk der Bücherfrauen, in der alle an Büchern beteiligten Frauen organisiert sind, zeichnet immer noch in jedem Jahr Bücherfrauen aus.
AVIVA-Fazit: Doris Hermanns brennt für Frauenbücher. Sie ist eine hervorragende Netzwerkerin und kennt viele Zeitzeuginnen persönlich. 2021 wurde sie verdient zur Bücherfrau des Jahres gewählt. Diese Begeisterung ist auf jeder Seite dieses Buches spürbar. Damit hat sie das Kunststück geschafft, einerseits eine faktengespickte Chronik der Frauen-Buch-Bewegung über Verlage, Bücher, Autorinnen und Frauenbuchläden zu schreiben und andererseits durch Zitate von befreundeten Zeitzeuginnen ein lebendiges Bild dieser Bewegung zu zeichnen. Begeisterte Leserinnen werden an Autorinnen wie Marockh Lautenschlag, Verena Stefan oder Jutta Heinrich erinnert. Gerade diese lebendigen Schilderungen fühlen sich an wie eine Vision von einem Ball in einem alten, verlassenen Ballsaal. Vielleicht sollten die Frauen mit Farbe, Stift und Papier anrücken, um wieder leben in den (Frauenliteratur)Saal zu bringen. Doris Hermanns und alle begeisterten Bücherfrauen würde es freuen. Eine inspirierende Lektüre für alle Frauen, die Bücher lieben und sich gern an die reiche Geschichte der Frauen-Buch-Bewegung erinnern.
Zur Autorin: Doris Hermanns geboren 1961 in Bardenberg bei Aachen, lebt nach 25 Jahren als Antiquarin in den Niederlanden seit 2015 in Berlin. Sie ist als freie Journalistin tätig, in der Redaktion der Virginia Frauenbuchkritik, der AVIVA-Berlin, und veröffentlichte u.a. zahlreiche Porträts von Frauen auf FemBio. Aktiv bei den BücherFrauen, dem Netzwerk von Frauen in der Buchbranche, dort seit 2016 eine der beiden Berliner Städtesprecherinnen. Zur Frankfurter Buchmesse wurde Doris Hermanns als "BücherFrau des Jahres 2021" ausgezeichnet.
Im AvivA-Verlag erschien 2012 ihre Biografie "Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe".
2014 gab sie den von ihr übersetzten Roman "Sixty to Go. Roman vom Widerstand an der Riviera" von Ruth Landshoff-Yorck (AvivA-Verlag) heraus, sowie 2016 die Anthologie "Wär mein Klavier doch ein Pferd. Erzählungen aus den Niederlanden" und Christa Winsloe: "Auto-Biographie und andere Feuilletons" (AvivA-Verlag). Im Verbrecher Verlag erschien "Bibliodiversität. Manifest für unabhängiges Publizieren" von Susan Hawthorne, das sie übersetzt und mit einem Nachwort versehen hat. Sie ist außerdem Herausgeberin der Feuilletonsammlung "Auto-Biographie und andere Feuilletons" von Christa Winsloe sowie Herausgeberin und Übersetzerin von "Sixty to Go. Roman vom Widerstand an der Riviera" von Ruth Landshoff-Yorck. 2021 gab sie den Roman "Christian Voß und die Sterne" von Hertha von Gebhardt heraus. 2022 erschien von ihr "Und alles ist hier fremd. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil" (AvivA-Verlag). Doris Hermanns lebt in Berlin.
Doris Hermanns
Sand im patriarchalen Getriebe – Zur Geschichte der Frauen-Buch-Bewegung
AvivA Verlag, Berlin, 2025
Kartoniert. 272 Seiten
ISBN 978-3-949302-28-2
22 €
Mehr zum Buch sowie Lesungstermine unter: www.aviva-verlag.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
BücherFrau des Jahres 2021: die Autorin, Übersetzerin, Herausgeberin und Redakteurin Doris Hermanns
Die Autorin, Übersetzerin, Herausgeberin und Redakteurin Doris Hermanns wird BücherFrau des Jahres 2021. Mit dieser Auszeichnung ehren die BücherFrauen sie als Kämpferin für die Sichtbarmachung von Frauen und ihrem Werk und würdigen ihr jahrelanges, ehrenamtliches Engagement für das Netzwerk.
Doris Hermanns: Und alles ist hier fremd. Deutschsprachige Schriftstellerinnen im britischen Exil
Zahlreiche bekannte und weniger bekannte Schriftstellerinnen flohen zwischen 1933 und 1945 nach Großbritannien. Ihre Geschichte war bislang weitgehend unbekannt. Die Schriftstellerin, Übersetzerin und Bücherfrau des Jahres 2021, Doris Hermanns, entreißt sie mit diesem Buch dem Vergessen. (2022)
Christa Winsloe - Auto-Biographie und andere Feuilletons. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Doris Hermanns
In ihren Feuilletons aus den 20er und 30er Jahren widmet die Schriftstellerin und Tierbildhauerin sich clever, humorvoll und wunderbar subjektiv den unterschiedlichsten Themen und beschreibt so die vielen Seiten einer optimistischen und chaotischen, lebensbejahenden und bedrohlichen Zeit. (2016)
Wär mein Klavier doch ein Pferd
25 Jahre lebte Doris Hermanns in den Niederlanden. In ihrer Anthologie stellt die Redakteurin und Autorin uns die Erzählkunst niederländischer Autorinnen vom Anfang des vorigen Jahrhunderts bis in die Gegenwart vor, wobei die Erzählerinnen uns sehr subjektive, oft ungewöhnliche Einblicke in die wechselvolle Geschichte des kleinen Landes an der Nordsee geben. (2016)
Meerkatzen, Meißel und das Mädchen Manuela. Die Schriftstellerin und Tierbildhauerin Christa Winsloe
Während der Name Christa Winsloe wahrscheinlich nur noch wenigen etwas sagt, ist ihr erstes Theaterstück bzw. dessen Verfilmung unter dem Titel "Mädchen in Uniform" umso bekannter. Die Antiquarin Doris Hermanns begibt sich auf die Spuren einer besonderen und mutigen Frau, die trotz ihres großen Ruhmes in den 1930er Jahren heute fast vergessen ist. (2012)
Nicole Seifert: FRAUEN LITERATUR. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt
Schriftstellerinnen gab es zu jeder Zeit. Und seit Jahrhunderten stoßen ihre Werke in unserer männergeprägten Kultur und Gesellschaft auf dieselben Hindernisse und Vorurteile. Es ist wirklich Zeit, auch ein breites Publikum jenseits der feministischen Literaturwissenschaft für die dahinterliegenden Mechanismen zu sensibilisieren. Das macht Nicole Seifert mit dem vorliegenden Buch virtuos. Ein Buch, das wirklich alle lesen sollten.