Ciani-Sophia Hoeder - Wut und Böse - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Sachbuch



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 11.10.2021


Ciani-Sophia Hoeder - Wut und Böse
Joanna Piekarska

Die Journalistin, Autorin und Gründerin sowie Geschäftsführerin von "RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze FLINTAs in Deutschland", Ciani-Sophia Hoeder, ändert in ihrem ersten Buch "Wut und Böse" das Narrativ um weibliche Wut, ein Gefühl, dem nur selten Raum gegeben wird. Ciani-Sophia Hoeder ermutigt ihre Leser*Innen darin, ihre Wut nicht mehr zu unterdrücken, sondern als transformative Kraft hin zu einer gleichberechtigteren Gesellschaft zu nutzen.




99,5 Jahre. So lange soll es laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums zu Geschlechterparität aus dem Jahr 2020 noch dauern, bis wir in einer Gesellschaft leben, in der es keine Genderungerechtigkeiten mehr gibt. Die Autorin und Journalistin Ciani-Sophia Hoeder sieht einen Weg, diesen Prozess zu beschleunigen.

Weibliche Wut

Wir gendern keine andere Emotion so stark wie Wut. Während Männer, die ihrer Wut freien Lauf lassen, als durchsetzungsstark gelten, werden Frauen, die wütend auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen, abgewertet. "Hysterisch, anstrengend, emotional, sensibel, empfindlich, unprofessionell, verrückt, schwierig, irrational, aufbrausend, eine Zicke, Furie, oder Hexe." Es gibt eine Vielzahl an Begriffen, die Frauen ihre Wut absprechen. Mädchen wird von klein auf beigebracht, lieb und süß zu sein, ihre Wut hinunterzuschlucken, statt ihr ungestraft Raum zu geben.

"Frau ist nicht gleich Frau. Wut ist nicht gleich Wut."

Ciani-Sophia Hoeder widmet "Wut und Böse" einem Gefühl, das vor allem weiße, heterosexuelle cis-Männer ausleben dürfen. Aber auch innerhalb der Gruppe der Frauen gibt es Abstufungen, wem wie viel Wut gewährt wird. Während feministische Theorie oft zu abstrakt ist, um Personen zu erreichen, die sich noch nicht viel mit ihr beschäftigt haben, schafft Ciani-Sophia Hoeder es, am Beispiel der "angry black woman" zu veranschaulichen, wie Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierungen die gesellschaftliche Rezeption von Wut beeinflussen: Je weiter eine Person vom Maßstab des "alten, weißen Mannes" entfernt ist, sei es durch ihr Geschlecht, ihren Phänotyp oder ihre Sexualität, desto mehr wird ihre Wut stigmatisiert, strukturell stereotypisiert und desto weniger darf sie ihre Wut ausdrücken. "Wer wütend sein darf, hat Macht.", fasst die Autorin treffend zusammen.

Ciani-Sophia Hoeder bei der Buchpremiere von "Wut und Böse" am 19. Oktober 2021 in Berlin. © AVIVA-Berlin, Joanna Piekarska


Ciani-Sophia Hoeder beschreibt anhand ihrer eigenen Erfahrungen und derer von Frauen, die keine Angst vor gesellschaftlicher Abstrafung haben und ihrer Wut freien Lauf lassen, ein System, das dafür sorgt, bestimmte Gruppen klein zu halten. Indem Menschen, die von Diskriminierungen betroffen sind, ihre berechtigte Wut abgesprochen wird, kann der Status Quo aufrecht gehalten werden. Untermauert werden die Erfahrungsberichte durch wissenschaftliche Studien. Diese langweilen die Leserin aber keineswegs mit trockenen Fakten, sondern sorgen eher dafür, dass sogar diejenigen, die meinen, schon alles über Feminismus zu wissen, beim Lesen denken: "Das kann doch alles nicht wahr sein!".

Wut macht auf Ungerechtigkeiten aufmerksam und so plädiert Ciani-Sophia Hoeder dazu, auf diese Emotion zu hören, anstatt sie zu unterdrücken, um gesellschaftlichen Konventionen zu entsprechen, und Wut als Antrieb für gesellschaftlichen Wandel zu nutzen. Der Titel "Wut gegen Böse" greift so zum Einen das Narrativ auf, Wut sei eine "böse" Emotion, zum Anderen steckt darin das Plädoyer, Wut als Werkzeug gegen "das Böse", gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, einzusetzen.

Ohne Wut gibt es keine Veränderung

Das beste Beispiel dafür, wie Wut als Katalysator für gesellschaftliche Veränderungen fungieren kann, ist Ciani-Sophia Hoeder selbst. Aus Wut über den Rassismus in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und das Fehlen von schwarzen FLINTA*-Stimmen (Frauen, Lesben, inter, non-binary, trans, Agender) im Journalismus gründete Ciani-Sophia Hoeder 2019 das RosaMag, das erste Online-Magazin ausschließlich von schwarzen FLINTA*. Ohne ihre Wut hätte sie das RosaMag niemals gründet, sagt sie.

Auf die Frage, mit welchen drei Worten sie ihre Beziehung zu Wut beschreiben würde, antwortete Ciani-Sophia Hoeder bei der Buchpremiere von "Wut und Böse" am 19. Oktober 2021 in Berlin: "Ambivalent, dankbar, energetisierend." © AVIVA-Berlin, Joanna Piekarska


"Wut ist mein Kompass, meine Energiequelle, auf die ich immer wieder zurückfallen kann, weil ich weiß, dass sie mir dabei hilft, eine Lösung zu finden." (Ciani-Sophia Hoeder)

Wut hat uns dazu verholfen, dass Frauen heute wählen und ihr eigenes Bankkonto besitzen dürfen und hat unter anderem die #MeToo- und BlackLivesMatter-Bewegung ins Rollen gebracht. Unweigerlich hinterfragt die Leserin beim Lesen von "Wut gegen Böse" ihre eigene Beziehung zur Wut und stellt sich die Frage, was alles möglich sein kann, wenn wir anfangen, all unserer Wut auf Ungerechtigkeiten Raum zu geben. Ciani-Sohia Hoeder jedenfalls ist sich sicher: Würden alle Frauen ihre Wut herauslassen, würde das Patriarchat in Trümmern liegen. Und die Welt wahrscheinlich auch.

AVIVA-Tipp: Ciani-Sophia Hoeder selbst beschreibt ihr Buch als "eine kleine Anleitung zum Wütendsein." Das ist es, und noch so viel mehr: Klug, sensibel und mutig ruft Ciani-Sophia Hoeder mit "Wut und Böse" ein Gefühl des Empowerments in der Leserin hervor. Jede*r sollte dieses Buch lesen und schon währenddessen überlegen, wie sie möglichst vielen Menschen davon erzählen kann.

Zur Autorin: Ciani-Sophia Hoeder ist freie Journalistin, SZ Magazin-Kolumnistin sowie Gründerin und Geschäftsführerin von "RosaMag, dem ersten Online-Lifestylemagazin für Schwarze FLINTAs in Deutschland". Sie studierte Politik und Journalismus in Berlin und London. Ihre Themenschwerpunkte sind Rassismus, intersektionaler Feminismus, Nachhaltigkeit, Popkultur und das Da-Sein als Millenial. Mit dem RosaMag war sie 2020 für den Grimme Online Award nominiert und gewann 2021 den Goldenen Blogger.

Ciani-Sophia Hoeder im Netz: www.cianisophiahoeder.de, www.twitter.com und www.instagram.com
RosaMag im Netz: www.rosa-mag.de
Teaserfilm zum Buch: www.youtube.com
Ciani-Sophia Hoeder und Mithu M. Sanyal in einem Instagram Live Talk über weibliche Wut: www.instagram.com

Ciani-Sophia Hoeder
Wut und Böse

Hanser Literaturverlag, erschienen am 27.09.2021
Hardcover, 208 Seiten
ISBN 978-3-446-27115-9
18,00€
Mehr Infos zum Buch unter: www.hanser-literaturverlag.de

NEWS vom 21. Oktober 2021: "Müssen BIPoC und jüdische Menschen immer noch alleine kämpfen?" Ciani-Sophia Hoeder zur Frankfurter Buchmesse 2021Ciani-Sophia Hoeder hat wegen der Präsenz rechter Verlage ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse 2021 abgesagt.

»Muss erst wieder eine um ihr physisches Wohl fürchtende Schwarze Autorin die Aufmerksamkeit auf ein Rassismus-Problem in Deutschland lenken? Ich dachte, wir sind nach den Debatten der letzten zwei Jahre schon weiter. Scheinbar reicht die berechtigte Kritik von nicht-weißen Autor: innen, die rechte Verlage auf der Messe "aushalten" müssen, nicht aus, um diesen die Plattform zu nehmen. Eine Frau muss erst eine konkrete Gefährdung ihrer Person fürchten, dass man ihr und anderen BIPoC Gehör schenkt, zumindest die Causa medial diskutiert. Welche Gruppen dürfen denn in unserer Gesellschaft wütend sein, ohne als überempfindlich und sensibel zu gelten?

Mit Blick auf die Zukunft wünsche ich mir, dass sich die Frankfurter Buchmesse als ausgewiesene Institution des literarischen Lebens in Deutschland nicht nur als Wirtschaftsunternehmen begreift, das Verträge mit jeglichen Verlagen schließt. Vielmehr wäre es wichtig, dass die Frankfurter Buchmesse ihre politische Strahlkraft als Vertretung einer weißen Mehrheitsgesellschaft ernst nimmt und für eine diverse Gesellschaft eintritt, in der auch BIPoC und jüdische Menschen gehört, ernst genommen und willkommen geheißen werden. Das würde aktiv und in Zukunft bedeuten, dass die Messe keine Vertragsschlüsse mehr mit rechten Verlagen vollzieht. Oder müssen nach wie vor BIPoC und jüdische Menschen diesen Kampf alleine führen?« Ciani-Sophia Hoeder


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AVIVA-Redaktion