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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 03.07.2019


Erica Fischer – Feminismus Revisited
Saskia Balser

Feminismus hält jung! Das beweist Erica Fischer, Feministin der ersten Stunde, indem sie in den Dialog tritt mit Frauen von heute und so alte Erkenntnisse mit neuen Herausforderungen verbindet – humorvoll, anregend, kritisch.




Kolumnistin Margarete Stokowski, "Missy Magazine"-Mitbegründerin Sonja Eismann, Journalistin Laurie Penny, oder Schauspielerin Lena Dunham – sie alle verkörpern Versionen eines modernen Feminismus, der zehn Jahre nach dem Erscheinen von "Die neue F-Klasse" und "Wir Alphamädchen" gerade wieder Hochkonjunktur feiert. Er ist mitten im Mainstream, in der Popkultur angekommen – was beispielsweise an zahlreichen "Girl Power"- und "The Future is female"- Slogans auf H&M T-Shirts junger Mädchen zu erkennen ist. Auch Popstars wie Beyoncé und Taylor Swift schmücken sich mit der Feminismuskrone und beweisen damit, dass es "cool" ist, sich als selbstbewusste, unabhängige Frau zu verstehen und Feministin zu nennen.

In einem Moment, in dem Feminismus "Trend" ist, meldet sich Erica Fischer, Mitbegründerin der österreichischen Frauenbewegung der 1970er Jahre und somit "Alt-Feministin" zu Wort. Nicht etwa, um die aktuellen Entwicklungen zu abzuwerten, sondern um sie zu untersuchen und zu verstehen. "Feminismus Revisited" heißt ihr neuestes Buch, das sowohl autobiografische Passagen als auch Portraits junger Frauen enthält. "To revisit" – das bedeutet so viel wie "überdenken", "überprüfen", "auf etwas zurückkommen", "etwas wiederaufnehmen". In ihrem Buch unterzieht Erica Fischer den Feminismus, wie sie ihn kennt, einer Bestandsaufnahme und setzt ihn in Relation zu dem, womit sich junge Aktivist*innen gerade beschäftigen.

Die Autorin, Übersetzerin, Publizistin, Journalistin und Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift "AUF - Eine Frauenzeitschrift" sowie der Buchhandlung "Frauenzimmer" hat eine lange und tiefgreifende Beziehung zum Feminismus, wie sie in ihrem Buch gleich zu Beginn erläutert: "Am 1. Januar 2018 wurde ich fünfundsiebzig. Irgendwie unbegreiflich, wie es dazu kommen konnte. Ich blicke also zurück auf nahezu ein halbes Jahrhundert Feminismus."

Erica Fischer identifiziert sich nicht nur als Feministin, sondern auch als Frau und als Jüdin. Während ihr das Frausein körperlich vorgegeben und zugeschrieben wurde, beschreibt sie ihr Jüdischsein eher als eine kulturelle Aneignung: "Ich habe mich freiwillig dafür entschieden, mich mit dem Schicksal meiner Vorfahren und aller anderen Jüdinnen und Juden zu identifizieren." Besonders in der Recherche zu ihrem von Maria Schrader verfilmten Roman "Aimée und Jaguar" hat sie sich immer mehr als Jüdin identifiziert, wie sie 2003 im Gespräch mit AVIVA-Berlin schilderte. Auch in "Feminismus Revisited" widmet Erica Fischer ihrem Roman von 1994 ein Kapitel, in dem sie sagt: "Aimée und Jaguar hat mir geholfen, in der Öffentlichkeit offen über meine jüdischen Vorfahren und darüber, was ihnen angetan wurde, zu sprechen. Sie haben mir, auch wenn es zynisch klingt, zu dem Ruhekissen verholfen, mich auf der gerechten Seite der Geschichte vorfinden zu können."

Die im Londoner Exil geborene und in Wien aufgewachsene Schriftstellerin und Journalistin reflektiert ihr bewegtes Leben vor dem Hintergrund der österreichischen Frauenbewegung der 1970er Jahre. Was sie früher beschäftigt hat und was heute für sie wichtig ist, legt sie in "Feminismus Revisited" in persönlichen Worten dar. Sie spricht über Abtreibung, Vergewaltigung, Transsexualität, die #Metoo-Debatte, Sexarbeit und vieles mehr – dabei wirken ihre Betrachtungsweisen nie starr, sondern befinden sich im Austausch mit denen der Frauen, die sie im Laufe ihrer Arbeit an diesem Buch trifft. Dazu gehören die Journalistinnen Mithu M. Sanyal, Hengameh Yaghoobifarah und Katrin Rönicke sowie Transfrau Parisa Madani, Sexarbeiterin Marleen und Politikerin Agnieszka Brugger. Über die Begegnungen mit ihnen schreibt Erica Fischer: "Dank der klugen Stimmen und Texte junger Frauen ist mein Interesse am Feminismus neu erwacht."

Die Lust am Feminismus und am politischen Engagement ist bei Fischer auf jeder Seite spürbar. Deshalb wird es wohl vielen Leser*innen genauso gehen wie der Autorin selbst, die ihren Schreibprozess und die dazugehörigen Erlebnisse optimistisch zusammenfasst:
"Ich bin im Verlauf meiner Arbeit an diesem Buch immer glücklicher geworden – weil das Gespräch mit den jungen Frauen mich belebt hat wie eine Reise, aber auch weil ich nun definitiv weiß, dass es weitergeht. Und wie!"

AVIVA-Tipp:"Feminismus Revisited" versammelt starke Meinungen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und schafft dadurch ein umfangreiches und schillerndes Bild eines Feminismus, der Spaß und Mut macht. Erica Fischer zeigt mit diesem Buch, dass zwischen Alt-Feminist*innen und jungen Aktivist*innen keine Kluft liegt, die sich nicht überwinden lässt.

Zur Autorin: Erica Fischer am 1. Januar 1943 in England geboren, studierte in Wien Sprachen. Anfang der 70er Jahre wurde sie zu einer der Gründerinnen des österreichischen Feminismus, ist Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift "AUF - Eine Frauenzeitschrift" und der Buchhandlung "Frauenzimmer".
Seit 1988 lebt Erica Fischer als freie Autorin, Übersetzerin und Journalistin in Deutschland, heute in Berlin. Ihre dokumentarische Erzählung "Aimée & Jaguar" wurde ein Weltbestseller. Erschienen sind weiterhin: der Bildband "Das kurze Leben der Jüdin Felice Schragenheim", "Ich wählte die Freiheit", die Geschichte der afghanischen Familie von Mariam Notten, die Dokumentation "Die Wertheims. Geschichte einer Familie", " Königskinder", " Mein Erzengel" und "Das Wichtigste ist, sich selber treu zu bleiben".
Mehr Infos zu Erica Fischer unter: www.erica-fischer.de

Erica Fischer
Feminismus Revisited

Berlin-Verlag, erschienen am 1. März 2019
320 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag
EAN 978-3-8270-1387-3
20 Euro
Mehr Infos zum Buch unter: www.piper.de

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Königskinder - Erica Fischer
Von ihrem Schicksal war bisher wenig bekannt: 2000 Flüchtlinge aus Nazideutschland und dem besetzten Österreich, die große Mehrheit unter ihnen Juden, wurden im Juli 1940 als Gefangene von England nach Australien deportiert und dort in einem Lager im Outback eingesperrt. Einer von ihnen war der Vater der Schriftstellerin Erica Fischer, die jetzt in ihrem Roman "Königskinder" von der Emigration ihrer Eltern erzählt. (2012)

Erica Fischer - Mein Erzengel
Der neue Roman der Autorin, Übersetzerin und Journalistin, Mitbegründerin der österreichischen Frauenbewegung, erzählt schonungslos offen vom Verlust einer obsessiven Liebe und dem langen Weg zurück in die Freiheit. (2010)

Auszeichnungen des Journalistinnenbundes für Erica Fischer und Stephanie Dötzer
Auf der 22. Jahrestagung des Journalistinnenbundes in Weimar vom 05. - 07. Juni 2009 wurden zwei außergewöhnliche Journalistinnen geehrt: Die 66-jährige Erica Fischer erhielt die höchste Auszeichnung des Verbandes: die Hedwig-Dohm-Urkunde für ihr Lebenswerk, die 29 Jahre alte Stephanie Dötzer wurde mit dem Nachwuchspreis "Andere Worte- neue Töne" ausgezeichnet. (2009)

Erica Fischer – Himmelstraße
Die Geschichte von "Aimée und Jaguar" wurde ein Welterfolg. Nun erzählt die Schriftstellerin und Journalistin Erica Fischer mit "Himmelstraße" die bewegende Geschichte ihrer eigenen Familie. (2007)

Gedanken zum Gedenken. Von Erica Fischer
Am 22. September 2007 wurde auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof in Berlin-Schöneberg ein Gedenkstein für die Frauenrechtlerin und feministische Publizistin Hedwig Dohm (1831-1919) enthüllt – AVIVA hat darüber berichtet. (2007)

Die Wertheims. Von Erica Fischer und Simone Ladwig-Winters
Die Autorinnen rekonstruieren den Aufstieg der jüdischen Kaufmannsfamilie über die zwangsweise Arisierung und Enteignung durch die Nazis bis zur Klage gegen den jetzigen Eigentümer KarstadtQuelle. (2004)

Aimée und Jaguar von Erica Fischer
Erica Fischer erzählt die Geschichte einer verbotenen Liebe 1943 in Berlin (2002)

Erica Fischer, Autorin von Jaguar & Aimée - Teil 1
1943 im englischen Exil geboren, wohin ihre Eltern - der Vater war Österreicher, die Mutter polnische Jüdin - 1938 geflüchtet waren. 1948 kehrte sie mit der Familie nach Wien zurück. (2002)

Erica Fischer, Autorin von Jaguar & Aimée - Teil 2
1943 im englischen Exil geboren, wohin ihre Eltern - der Vater war Österreicher, die Mutter polnische Jüdin - 1938 geflüchtet waren. 1948 kehrte sie mit der Familie nach Wien zurück. (2002)

Jagoda Marinić - SHEROES. Neue Held*innen braucht das Land
Die Journalistin, Roman- und Theaterautorin Jagoda Marinić fordert in ihrem am 6. März 2019 erschienenen Buch zum Gespräch über Rollenbilder und Macht auf. Anstoß zu ihren Überlegungen gab der nach eigener Aussage "USA-affinen" Autorin die #MeToo-Debatte, deren Schlagkraft sie in Deutschland vermisst. Ein Appell zum Austausch zwischen den Geschlechtern. (2019)

The Future is female! Was Frauen über Feminismus denken. Herausgegeben von Scarlett Curtis
Was ist Feminismus? Und was heißt es, Feministin zu sein? Diese Fragen insbesondere jüngeren Frauen näher zu bringen, ist das erklärte Ziel der Herausgeberin Scarlett Curtis. In ihrem Buch "The Future is female!" versammelt sie Beiträge von – in erster Linie im englischen und amerikanischen Raum – bekannten Frauen. Die deutsche Ausgabe ist zwar punktuell um weitere Beiträge ergänzt, wirkt jedoch in Aufmachung, Übersetzung und Stil leider arg amerikanisch. (2018)

Margarete Stokowski - Die letzten Tage des Patriarchats
Mit "Untenrum frei" schrieb sie sich in die Herzen vieler Feministinnen. Jetzt legt die Kolumnistin von TAZ und Spiegel-Online nach und läutet "Die letzten Tage des Patriarchats" ein. Dabei ordnet sie ihre Essays und Kolumnen aus sieben Jahren in zehn thematische Schwerpunkte vom "Flirten und Vögeln" bis in skurrile Aussichten "Für die Zukunft". (2018)

Margarete Stokowski - Untenrum frei
Wir können untenrum nicht frei sein, wenn wir obenrum nicht frei sind – das ist die These der aktuell gefragtesten feministischen Kolumnistin und Autorin. Wie keiner anderen gelingt es ihr, leicht verständlich (Selbst)täuschungen rund um Sex und Gender zu entlarven. (2017)

Nadine Kegele - Lieben muss man unfrisiert. Protokolle nach Tonband
1977 erschien "Guten Morgen, du Schöne. Protokolle nach Tonband", Maxie Wanders Sammlung authentischer Alltagsgeschichten von Frauen aus der DDR. Vierzig Jahre später erneuert die Wiener Autorin Nadine Kegele das Experiment. (2017)

Sagte sie - 17 Erzählungen über Sex und Macht. Herausgegeben von Lina Muzur
Der vielschichtige Sammelband von Lina Muzur, stellvertretende Verlagsleiterin von Hanser Berlin und Teil des Redaktionskollektivs 10nach8 bei Zeit Online, zur #metoo-Debatte enthält Erzählungen von 17 zeitgenössischen Autorinnen von Nora Gomringer, Margarete Stokowski bis Helene Hegemann. (2017)

Laurie Penny - Bitch Doktrin. Gender, Macht und Sehnsucht
Die britische Journalistin, Autorin, Bloggerin und Aktivistin Laurie Penny ist zurzeit wohl die wichtigste Stimme im Kampf gegen Sexismus und für den Feminismus. Eine wortgewaltige Stimme, die neben harten Fakten vor allem mit Humor und klugen Provokationen punktet. (2017)

Mithu M.Sanyal – Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens
Der Begriff "Vergewaltigung" steht zwischen politischer Deutungshoheit, Geschlechter- und Gewaltdiskursen. Dieses Jahr hat er durch mehrere Vorfälle wieder an medialer Aufmerksamkeit gewonnen. Mithu M. Sanyal bringt in ihrem Werk Transparenz in die Begrifflichkeit, verortet sie kulturhistorisch und bricht mit den Mythen, die die bisherige Narrative prägten. (2016)

Laurie Penny - Babies machen und andere Stories
Dass Laurie Penny eine leidenschaftliche Feministin und kluge Sachbuchautorin ist, hat sie in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen. Jetzt will die Britin auch mit ihren "Short Stories" überzeugen... (2016)

Laurie Penny - Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution
Schnoddrig wie gewohnt schreibt die Autorin von "Fleischmarkt" sich auch hier wieder ihre Wut vom Herzen. Ihren klaren Blick verliert sie dabei jedoch nie – auch nicht in Bezug auf vermeintliche MitstreiterInnen im Kampf um eine gerechte Welt, denen sie Blindheit für die wirklichen Herausforderungen vorwirft. (2015)

Lena Dunham - Not That Kind Of Girl
Lena Dunham ist aus der Kult-Serie "Girls" bekannt und geliebt. In ihren Essays blickt sie jetzt humorvoll, kritisch und immer sehr persönlich auf Leben, Lieben, Kunst und Frau-Sein... (2014)

I think feminism is one of the sexiest things out there - Interview with Laurie Penny
The British blogger, journalist and author of "Meat Market – Female Flesh under Capitalism" talked to AVIVA-Berlin about angry women, western rape culture and why feminists have better sex.(2013)

Laurie Penny – Fleischmarkt
Modernen FeministInnen wird oft und gern vorgeworfen, durch einen unnötig aggressiven Habitus ihrer Sache zu schaden und alle Bestrebungen nach Gleichstellung dadurch zu behindern, dass sie ihre Anliegen einfach nicht sympathisch genug vermitteln. (2012)

King Kong Theorie - Virginie Despentes. Jetzt auch als Taschenbuch
Provokation, Prostitution und Porno - die französische Skandalautorin schreibt einen biographischen Essay. Despentes hat kräftig eingesteckt und teilt nun doppelt so heftig aus. Ehrlich und obszön! (2008)

Wir Alphamädchen
Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl zeigen uns ´Warum Feminismus das Leben schöner macht´. Eine Bestandsaufnahme, Aufklärungsbuch und Plädoyer für einen neuen Feminismus. (2008)

Hot Topic – Popfeminismus Heute. Herausgegeben von Sonja Eismann
Mit 27 Beiträgen zu Themenbereichen wie Sexualität, Aktivismus, Medien und Alltag, bietet Herausgeberin Sonja Eismann eine umfassende Analyse vom gelebten Feminismus junger Frauen. Großartig! (2007)

50 Jahre Gleichberechtigung - wo stehen wir heute. Teil 1
Anlässlich dieses Jubiläums wurde am 29. Juni 2007 im Rahmen der gleichnamigen Tagung, initiiert von der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Bundesvereinigung Liberale Frauen, ein Fazit gezogen. (2007)

50 Jahre Gleichberechtigung - wo stehen wir heute. Teil 2
Am 1. Juli 1957 trat die Gleichberechtigung für Mann und Frau als Bürgerrecht in Kraft. 1971 entstand die Frauenbewegung, um der Gleichberechtigung weiter nachzuhelfen. Hier eine Chronik der Erfolge. (2007)

Die neue F-Klasse
Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird. Wurde die Emanzipation verspielt? Interviews und Thesen zur aktuellen Diskussion. Mit Thea Dorn definiert jetzt die F-Klasse ihr Selbstverständnis. (2006)


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Beitrag vom 03.07.2019

AVIVA-Redaktion