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Beitrag vom 05.07.2017
100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht - und weiter? Herausgegeben von Isabel Rohner und Rebecca Beerheide
Yvonne de Andrés
Schluss mit den Trippelschritten. Im November 1918 erhielten die Frauen gegen heftige Wiederstände das aktive und passive Wahlrecht. Eine feministische Emanzipationsgeschichte, ein leidenschaftlicher Prozess, der hartnäckig und zäh bis heute weitergeführt wird. Ein perspektivenreicher und politisch brandaktueller Sammelband mit Beiträgen von einflussreichen Frauen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien.
"Das Jubiläum bedeutet mir viel. Diese 100 Jahre – dass wir überhaupt dieses Jubiläum heute feiern können – haben sehr, sehr lange auf sich warten lassen. In diesen 100 Jahren sind wir auch einige Male zurückgefallen, insbesondere im Nationalsozialismus und den Krieg." führt Dr. Rita Süssmuth in ihrem Beitrag aus. Ihr ist es besonders wichtig, an Elisabeth Selbert, die "Mutter des Grundgesetzes" zu erinnern, die mit Hilfe von außerparlamentarischen Frauenverbänden und der Öffentlichkeit 1949 darum kämpfte, den Artikel 3 im Grundgesetz zu verankern: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Erst 1994 folgten die Ergänzung und das Bekenntnis zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen. "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
Die beiden Herausgeberinnen, Journalistin Rebecca Beerheide und Literaturwissenschaftlerin Dr. Isabel Rohner, fragen nach: "Was verbinden Frauen hundert Jahre später mit diesem Erfolg?" Denn das Frauenwahlrecht ist nicht einfach vom Himmel gefallen. Das Wahlrecht wurde von Frauen ersehnt, eingefordert und erkämpft.
"Für unsere Demokratie in Deutschland ist das Frauenwahlrecht eine zentrale Errungenschaft. Darum ist es uns wichtig, dass das Jubiläum 100 Jahre Frauenwahlrecht auch bundesweit sichtbar wird. Alle Autorinnen des Sammelbandes sind eine starke Stimme. Damit setzen wir ein erstes Zeichen." erklären Isabel Rohner und Rebecca Beerheide weiter.
"Freiwillig gibt niemand die Macht auf" so die ehemalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und heutige erste Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig. Auch Juristin und Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hält fest "Nichts ist selbstverständlich". Veränderungen kommen nicht von allein stellen alle Beiträgerinnen fest. Es bedarf des eigenen Engagements, der Nutzung des Wahlrechts, der Stärkung der Demokratie, den eigenen Willen zu bekunden und dem Populismus die Stirn zu bieten. Zana Ramadani, Autorin und ehemalige Femen-Aktivistin erklärt: "Und wieder werden die einfachen Frauen aufstehen müssen." Für die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan sind Wahlen ein entscheidendes Instrument um politisch zu handeln. Aber auch Massenproteste wie der "Women´s March" nach Trumps Inauguration oder die Demonstrationen in Polen gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetz. Die beeindruckende Teilnahme an der Demonstration setzte die Regierung unter Druck und die geplante Gesetzesänderung erfolgte nicht. Gesine Schwan argumentiert, wie wichtig es ist, Verbündete für das eigene Anliegen zu gewinnen. Dazu zitiert sie Hannah Arendt: "Macht entspricht der Fähigkeit, sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln."
Die beiden Juristinnen Anke Gimbal, Geschäftsführerin des Deutschen Juristinnenbundes und Ramona Pisal, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes setzen sich mit "Liberté, Parité, Egalité" für die paritätische Vertretung in den Parlamenten ein. Frauen stellen 51 Prozent der Wahlberechtigten, doch ihre Repräsentation spiegelt dies nicht wieder. Auch die Journalistin Tina Groll stellt fest, dass "Frauen sind in Politik und Gewerkschaften immer noch unterrepräsentiert". Die Herausgeberin der AVIVA-Berlin, Sharon Adler, fordert die Frauen dazu auf, das Wahlrecht nicht nur aktiv anzuwenden und sich bewusst zu entscheiden, sondern sich vielmehr auch für politische Ämter zur Verfügung zu stellen, um Demokratieprozesse im Sinne der Frauenbewegung und Gleichstellung weiter voranzutreiben: "Unsere To-Do-Liste ist immer noch lang!"
Der Vernetzungsgedanke, die Forderung nach mehr Sichtbarkeit, gleicher Bezahlung für gleiche Arbeit, der Kampf gegen erzkonservative tradierte Frauen- und Familienbilder, sowie antifeministische Haltung und den Populismus Rechter Gruppierungen und Parteien zu bekämpfen, sind wichtige Anliegen aller Autorinnen.
Eine der Frauen, die sich im Deutschland des 19. Jahrhunderts für die Rechte der Frauen stark machte, war die Schriftstellerin, Publizistin und Vordenkerin der Frauenbewegung, Hedwig Dohm, geborene Jülich bzw. Schlesinger (1831 – 1919). Von ihr stammt die Forderung: "Fordert das Stimmrecht, denn nur über das Stimmrecht geht der Weg zur Selbständigkeit und Ebenbürtigkeit, zur Freiheit und zum Glück der Frau."
AVIVA-Tipp: Die Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner und die Journalistin Rebecca Beerheide haben ein breites Spektrum an Gratulantinnen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Medien nach ihrer Meinung gefragt: Sabine Lautenschläger, Rita Süssmuth, Nikola Müller, Manuela Schwesig, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Stephanie Bschorr, Zana Ramadani, Gesine Schwan, Anke Gimbal und Ramona Pisal, Julia Trompeter, Ulrike Guérot, Sigrid Nikutta, Tina Groll, Mithu M. Sanyal, Claudia Roth, Christa Stolle, Sharon Adler, Kerstin Wolff, Cornelia Möhring, Katharina Nocun, Ulrike Helmer. Der Band enthält inspirierende Interviews und engagierte Beiträge, die beschreiben, wie wichtig die Errungenschaft des Frauen-Wahlrechts für die Gleichberechtigung und die weitere Emanzipationsgeschichte war und ist. Das Ergebnis ist ein vielfältiges Buch mit spannenden Positionen, politischen Verortungen und persönlicher Einblicke.
100 Jahre Frauenwahlrecht - Der deutsche Juristinnenbund und das Bundesjustizministerium der Justiz und für Verbraucherschutz feierten den Auftakt zum Jubiläum mit einer Buchpremiere am 26. Juli 2017
Zur Buchpremiere im Bundesjustizministerium sprachen die Staatssekretärinnen Christiane Wirtz (BMJV) und Elke Ferner (BMFSFJ) sowie die Präsidentin des djb, Ramona Pisal. Ehrengast war das einzige weibliche Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank: Sabine Lautenschläger, die sich im Sammelband mit einem sehr persönlichen Appell an die Generation der jüngeren Frauen wendet: "Nehmt Gleichberechtigung nicht als etwas Selbstverständliches an. Engagiert euch und tretet für eure Rechte ein, und für die Rechte anderer Frauen!"
Danach stellten Verlegerin Ulrike Helmer (ihr Verlag feiert dieses Jahr den 30. Geburtstag!) und die beiden Herausgeberinnen Isabel Rohner und Rebecca Beerheide ihr Buch vor – und behandelten dabei insbesondere die Fragen: Wählen Frauen anders? Und wie kam es eigentlich, dass die Appenzellerinnen erst 1991 das erste Mal kantonal mitentscheiden durften?
Den Auftakt zu diesem Jubiläum läutete der djb gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sehr bewusst jetzt ein, noch vor der Bundestagswahl: djb-Präsidentin Ramona Pisal: "Das Recht zu wählen haben wir heute und lassen es uns ganz sicher nicht nehmen. Lassen Sie uns davon auch Gebrauch machen."
AVIVA-Berlin hat die Veranstaltung "100 Jahre Frauenwahlrecht" als Medienpartnerin unterstützt.
Zu den Herausgeberinnen:
Isabel Rohner, geboren 1979 in St. Gallen, studierte Germanistik, Philosophie und Romanistik. Nach ihrer Promotion arbeitete sie an der Fern Universität Hagen. Seit 2013 Fachreferentin für Bildung bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Die Verfasserin der Hedwig Dohm-Biographie "Spuren ins Jetzt" (Ulrike Helmer Verlag) gibt zusammen mit Nikola Müller die Gesamtausgabe der Werke Dohms heraus.
Rebecca Beerheide, geboren 1982 in Freiburg, ist Ressortleiterin der Politischen Redaktion beim Deutschen Ärzteblatt. Sie studierte Diplom-Journalistik und Politikwissenschaften in Leipzig und Ljubljana. Seit 2008 schreibt sie über Gesundheitspolitik, zunächst für die Ärzte Zeitung, seit Juli 2015 für das Deutsche Ärzteblatt. Seit 2015 ist sie die Vorsitzende des Journalistinnenbundes. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Isabel Rohner, Rebecca Beerheide (Hrgs.)
100 Jahre Frauenwahlrecht
Ziel erreicht – und weiter?
Ulrike Helmer Verlag, erschienen Juni 2017
Paperback, 204 Seiten, zahlreiche SW-Abbildungen
18.00 Euro [D] | 18,60 [A]
ISBN: 978-3-89741-398-6
Mehr Infos zum Buch:
www.ulrike-helmer-verlag.de
Mehr zum Thema:
100 Jahre Frauenwahlrecht - Ziel erreicht?
Ein Gespräch des WDR über Frauenrechte und Frauenwahlrecht mit der Germanistin Dr. Isabel Rohner (der Mitherausgeberin von "100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht - und weiter?") und Bettina Bab vom Frauenmuseum Bonn.
Das Gespräch ist in der ARD-Mediathek verfügbar bis zum 20.08.2023 und kann unter folgendem Link abgerufen werden: www.ardmediathek.de
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