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Beitrag vom 01.06.2014
Pieke Biermann - Wir sind Frauen wie andere auch! Prostituierte und ihre Kämpfe
Ahima Beerlage
Beruf Hure - Opfer oder DienstleisterInnen? Vor 30 Jahren meldeten sich erstmals die Betroffenen selbst zu Wort. Eine neue Debatte gegen Prostitution verleiht ihren Statements wieder Aktualität.
"Alle reden über uns. Viel zu viele meinen zu wissen, wer wir sind und was für uns am besten ist," so die Einschätzung des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen in der Einleitung zur Neuauflage des Klassikers von 1980. Erst im letzten Jahr konnte sich dieser Berufsverband gründen.
Die organisierten Prostituierten ziehen Bilanz. SexarbeiterInnen wagten nach dem Erscheinen des Buches ihr öffentliches Coming-Out, meldeten sich in den Medien zu Wort. Huren-Selbsthilfegruppen entstanden und mischten sich politisch ein. Ihr größter Erfolg: 2002 wird das Prostituiertengesetz verabschiedet, das Sexarbeit als Erwerbstätigkeit im Sinne des Grundgesetzes anerkennt. Damit wurden die Arbeitsbedingungen für SexarbeiterInnen entscheidend verbessert. Doch ihre Arbeit ist noch lange nicht beendet. Ihr Ziel: weltweit Prostitution zu entkriminalisieren, Sexarbeit anzuerkennen und ihnen Gewerbefreiheit zu gewähren.
Auch die Schriftstellerin und Übersetzerin Pieke Biermann blickt in einer eigenen Einleitung zurück. "Fast alles, was die aktuelle Allianz aus Frauenverachtung, klerikaler Sexualpanik und Kommerzfeminismus an demagogischem Furor aufbietet, klingt gespenstisch ähnlich wie die Reaktionen von damals." Sie berichtet davon, wie schwierig es 1980 war, das Tabuthema Prostitution selbst bei fortschrittlichen Verlagen durchzusetzen. RezensentInnen reagierten auf das Buch mit unverhohlenem Hass und persönlichen Angriffen. Doch der Gegenwind habe nicht ausgereicht, das Feuer auszublasen, das dieses Buch und auch die Aufbruchstimmung der Huren in Frankreich entflammt hätten. Mitte der 80er Jahre vernetzte sich die Hurenbewegung auch international. "1986 tagte der Zweite Welthurenkongress im Brüsseler Europaparlament".
Heute, 30 Jahre nach der Erstveröffentlichung, scheint alles auf einem guten Weg zu sein. Doch in den letzten Jahren werden die Stimmen immer lauter, das die Zwangsprostitution aus Osteuropa die heutige Sexarbeit dominiere. Damit werden die Prostituierten in Mehrheit zu Opfern skrupelloser MenschenhändlerInnen und ZuhälterInnen erklärt. Um so interessanter ist es, noch einmal mit diesem Buch auf die Situation vor 30 Jahren zu schauen.
In "Wir sind Frauen wie andere auch!" kommen fünf Frauen aus der Sexindustrie mit Pieke Biermann, die selbst eine Zeit lang angeschafft hat, ins Gespräch. Die Frauen berichten von Geldnöten und finanziellen Engpässen, die sie zur Sexarbeit gebracht haben. Ob als Heimkind oder Halbwaise nach dem Krieg, bei allen war das Geld knapp und eine gerechte Arbeit für sie als Frau außerhalb der Reichweite. Während sich die Mythen rund um die Prostitution entweder um ein Opferdasein oder gar Lustgewerbe drehen, berichten die Frauen eher nüchtern über ihr Verhältnis zu den Freiern. Gleichgültigkeit bis Ekel prägte das Verhältnis. "Am Anfang habe ich mich fast für die (Freier) geschämt, aber inzwischen lach ich mich manchmal krank insgeheim, wenn die auf mir rumrobben und dann ihre ganz geile Nummer auspacken! Muss ich mich richtig bremsen, damit ich nicht loslache."
Pieke Biermann ging so weit zu sagen, dass Prostituierte in ihren sexuellen und psychologischen Dienstleistungen nichts anderes als einen Teil der Hausarbeit leisteten, die Ehefrau gegen soziale Sicherheit unentgeltlich erledigten. Nur lasse sich die Hure dafür bezahlen.
In ihrem Kapitel "Juristen sind auch nur Freier" erläuterte Pieke Biermann die verheerende Rechtsituation für Prostituierte. 1980 wurde jeder Versuch, sich gemeinsam zu organisieren oder menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen mit der "Förderung der Prostitution" geahndet. Huren konnten nur in bestimmten Gebieten ihrem Gewerbe nachgehen. Keine Versicherung nahm offizielle registrierte Prostituierte. Nur der Staat hatte kein Problem, die Einkünfte zu besteuern.
Auch die vorgeschriebene regelmäßige Gesundheitskontrolle machte den Frauen das Leben schwer. Allen Frauen war gemeinsam, dass sie sich zwar nicht für ihre Arbeit schämten, sich aber auch vor FreundInnen und Familie nicht geoutet werden wollten.
Pieke Biermann berichtete über die französischen Kolleginnen, die 1975 als Erste in den Generalstreik traten. Die Kämpfe der Französinnen waren der Auftakt, gegen unwürdige Arbeitsbedingungen in der Sexindustrie vorzugehen.
Im Anhang an die alte Ausgabe vergleicht die im "Milieu" gut vernetzte Ex-Prostituierte Doris Winter die Sexarbeit in der Illegalität mit der heutigen Situation nach InKrafttreten des Prostitutionsgesetzes und der Abschaffung der Zwangsuntersuchung für Prostituierte.
Neu ist auch eine überarbeitete und erweiterte Auflistung der Literatur zur Prostitution in der Nazizeit.
30 Jahre nach Erscheinen der ersten Ausgabe des Buches ist die Situation für Prostituierte in vielen Bereichen rechtssicherer geworden. Doch die zunehmende Macht der Konservativen gefährdet diese Fortschritte wieder, muss nicht nur Pieke Biermann feststellen. Um so wichtiger, dass dieser Klassiker der Hurenbewegung wieder aufgelegt wurde.
AVIVA-Tipp: Pieke Biermanns Buch gibt einen sehr subjektiven aber auch wertvollen Einblick in die Gefühls- und Arbeitswelt von Prostituierten. An manchen Stellen fällt es aber schwer, der Autorin zu folgen: Sexualität zwischen Männern und Frauen auf die reine Dienstleistung von Seiten der Frau zu reduzieren erscheint dann doch schwierig. Biermanns wichtigste These bleibt aber unbestritten: Aus einvernehmlich sexuellen Handlungen hat sich der Staat herauszuhalten. Die Betonung liegt dabei auf Einvernehmlichkeit. Bei Gewalt hat der Staat einzugreifen - ob Geld im Spiel ist oder nicht. Solange viele Männer und auch einige Frauen für Sex bezahlen ist es legitim, dass Prostituierte deren Wünsche gegen Geld als Dienstleistung erfüllen. Pieke Biermann hat mit ihrem Buch dazu beigetragen, dass Prostituierte diese Dienstleistung zunehmend gefahrloser und vor dem Gesetz gerechter ausüben können. Dafür gebührt ihr Respekt. Dass ihr Buch wieder an Aktualität gewonnen hat, ist dabei alarmierend.
Zur Autorin: Pieke Biermann, geboren 1950, lebt seit 1976 als Schriftstellerin und Übersetzerin (Italienisch, Englisch) in Berlin. Ihre Kriminalromane haben dreimal hintereinander den "Deutschen Krimipreis" bekommen und wurden ins Englische, Französische und Italienische übersetzt. Pieke Biermann wurde u.a. 1990 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt ausgezeichnet. Pieke Biermanns Reportagen erscheinen im Tagesspiegel, in der Jüdischen Allgemeinen, auf AVIVA-Berlin und sind auch als Podcast, Audio-Download, live via Internet und als Funkmanuskript im RBB-Inforadio zu lesen und zu hören.
Pieke Biermann
Wir sind Frauen wie andere auch!
Prostituierte und ihre Kämpfe
Argument Verlag, erschienen 2014
Taschenbuch, 336 Seiten
13 Euro
ISBN 978-3-86754-500-6
www.argument.de
Weitere Veröffentlichungen von Pieke Biermann
Die vielen Talente der Frauen. Fünf Reden und Essays:
1980 Gespalten werden und zu sich kommen - Nachwort zu Barbara/Christine de Coninck:
Die geteilte Frau
1981 Auftrittsverbot für Zuhälter
1985 Die vielen Talente der Frauen - Rede beim zweiten nationalen Kongress der italienischen Hurenbewegung
1985 "Und sie bewegen sich – doch, doch ..." - Essay zum zehnten Jahrestag des Streiks der französischen Prostituierten
2007 Sex, Zwang und Freiheit - Rede zur Ausstellungseröffnung in Ravensbrück
Sturm im Blätterwald 1980 ff.
Dokumentation der öffentlichen Stimmen zur Ausgabe von 1980
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