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AVIVA-BERLIN.de im März 2025 - Beitrag vom 17.03.2025


Eva Weissweiler. Lisa Fittko. Biographie einer Fluchthelferin
Silvy Pommerenke

Die Musik- und Islamwissenschaftlerin Eva Weissweiler hat sich der antifaschistischen Widerstandskämpferin Lisa Fittko angenommen, die weitaus mehr als nur die "schönfrisierte" Fluchthelferin Walter Bemjamins war, als die sie in der Netflix-Serie "Transatlantic" gezeichnet wurde.




Schwierige Ausgangssituation

Eva Weissweiler – die sich bereits mit biografischen Büchern über Dora und Walter Benjamin, die Freuds oder Tussy Marx einen Namen gemacht hat - schreibt in ihrem Vorwort, dass sie aufgrund der schwierigen Quellenlage ihr Buch über Lisa Fittko nicht als Biografie verstanden wissen möchte, sondern eher als eine Annäherung an die immer noch viel zu wenig Menschen bekannte Fluchthelferin und Widerstandskämpferin. Aber nicht nur die Quellenlage erwies sich als schwierig, sondern die grundsätzliche Arbeit an diesem Buch, da es während der Corona-Pandemie geschrieben wurde und "viele Archive nur begrenzt zugänglich oder teilweise ganz geschlossen waren. Auch weitere Auslandsreisen waren kaum möglich." Umso bemerkenswerter ist, wie detailreich sie das Leben der jüdischen Antifaschistin dennoch herausgearbeitet hat, nicht ohne immer wieder darauf hinzuweisen, dass die von ihr benutzten autobiografischen Primärtexte Fittkos ("Mein Weg über die Pyrenäen, Erinnerungen 1940/41" und "Solidarität unerwünscht") viele Leerstellen aufweisen beziehungsweise historische Fehler enthalten. Weissweiler versucht diese zu schließen oder mit historischen Fakten zu widerlegen, indem sie unter anderem zeitgenössische Zeitschriften, Briefe oder Interviews und in Frankfurt am Main das Deutsche Exilarchiv als Quellenlage benutzte. Wo dies nicht gelingt, müssen unbeantwortete Fragen im Raum stehen bleiben.

Frühe Politisierung

Lisa Fittko wurde als Elisabeth Ekstein am 23. August 1909 in Ungvár/Österreich-Ungarn geboren (heute Uschhorod/Ukraine). Ihre wohlhabende jüdische Familie zählte zum gehobenen Bildungsbürgertum und auch wenn sie in der jüdischen Gemeinde waren, sahen sich "in erster Linie [als] Menschen, nicht [als] Juden." Ihr Vater war intellektuell und politisch gut vernetzt und stand sehr weit links, was er in seiner Tätigkeit als Zeitungsherausgeber zum Ausdruck brachte. Dies führte sicherlich dazu, dass sie sich bereits als Schülerin ebenfalls politisierte. Sie wurde Mitglied des Sozialistischen Schülerbundes, im Jahr 1924 dann beim Kommunistischen Jugendverband und vier Jahre später in der KPD. Ihre politische Karriere führte sie bis ins Zentralkomitee, und sie widmete sich mit voller Überzeugung dem antifaschistischen und antikapitalistischen Kampf. Anfangs noch nicht gegen Hitler, da sie und ihre Partei-GenossInnen ihn als "Witzfigur" betrachteten. Dass sie wie viele andere auch mit dieser Annahme falsch lagen, wie auch die direkte Bedrohung durch ihn dürfte ihr erst 1933 bewusst geworden sein, nachdem Hitler Kanzler und sie polizeilich gesucht wurde. Sie ging in den Berliner Untergrund, und als es dort auch zu riskant wurde, floh sie im Auftrag der KPD nach Prag, um dort Jugendarbeit zu machen. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann Hans Fittko kennen, der ebenfalls politisch aktiv war. Weitere Stationen waren Basel, später Paris.

Ein widerständiges Leben

Lisa konnte nahezu perfekt Französisch, was für sie ausgesprochen hilfreich war. Aber auch für diese Zeit gibt es mehr Leerstellen als Informationen: "Lisa schreibt sehr wenig über ihren zweiten Aufenthalt in der französischen Hauptstadt, im Grunde nur einen einzigen Absatz, sodass viele Fragen offenbleiben." Kurze Zeit später ging es dann – wieder im Auftrag der KPD – weiter nach Amsterdam, wo sie ebenfalls im Untergrund leben mussten, da es starke Ressentiments gegen die Angehörigen der illegalen KPD gab und sie nicht als politische Flüchtlinge anerkannt wurden. Hans arbeitete weiter als Kurier, während Lisa keine konkreten Aufgaben erteilt bekommen hatte. Erst im August 1937 wurde sie als kommunistische Emigrantin anerkannt, während Hans aus der KPD aufgrund von "ungenügender Wachsamkeit gegenüber parteifeindlichen Elementen und Verbindung mit Parteifeinden" ausgeschlossen wurde Nach dem kurzen Intermezzo in Amsterdam ging es für die beiden wieder zurück nach Paris. Erneut ohne Auftrag der KPD mussten sie sich mit Hilfsarbeiten durchschlagen.

Internierung und Flucht

Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurden alle deutschen Männer in Frankreich in Lager interniert. Unter den Gefangenen war auch Walter Benjamin, den die Fittkos zuvor bereits in Paris kennengelernt hatten. Benjamin konnte aber durch seine guten Beziehungen vorzeitig entlassen werden, weil er "keine große Gefahr für das französische Volk darstellte". Auch Hans konnte schließlich das Lager vorzeitig verlassen, indem er eine schwere Krankheit vortäuschte.

Lisa wurde ebenfalls – mit tausend anderen Frauen – interniert. Am 5. September 1939 deportierte man sie von der Sammelstelle Vélodrome d´Hiver zum Camp de Gurs (in dem auch Hannah Arendt interniert war) am Nordrand der Pyrenäen, wo ihr Ende Juni 1940 mit gefälschten Papieren die Flucht über Umwege nach Marseille gelang. Dort war inzwischen auch Walter Benjamin mit einem Notvisum für die Vereinigten Staaten angekommen. Zu dieser Zeit traf auch der junge Amerikaner und überzeugte Antifaschist Varian Frey in Marseille ein. Im Auftrag des Emergency Rescue Committee sollte er möglichst viele Flüchtlinge, "vorrangig [...] bekannte Persönlichkeiten aus Kultur und Politik" retten. Er wurde zum "Engel der Flüchtlinge" und sorgte mit Hilfe von FluchthelferInnen dafür, dass etliche Flüchtlinge aus Frankreich auf Schmugglerfaden über die Pyrenäen nach Spanien, Lissabon und schließlich nach Amerika fliehen konnten.

Lisa Fittko wurde eine dieser FluchthelferInnen. Aber, wie Eva Weissweiler schon häufig festgestellt hat, gibt es immer wieder Zweifel an den Ausführungen Lisa Fittkos: "Aus der einen Lücke ergibt sich die nächste. Ein Zweifel zieht zwei oder drei andere nach sich, die Erzählung wird brüchig, selbst da, wo sie stimmt." Das betrifft auch die Fluchtgeschichte mit Walter Benjamin, worüber es verschiedenste Versionen gibt. Sicher ist, dass Lisa Fittko den Philosophen Walter Benjamin - samt seiner vielfach kolportierten schwarzen Aktentasche - unter erschwerten Bedingungen im September 1940 über die Pyrenäen geführt hat, und dass dieser Weg aber kein glückliches Ende nahm: Benjamin beging im spanischen Grenzort Portbou in seiner Hoffnungslosigkeit Suizid.

Für Lisa Fittko war dies der erste von ihr begleitete Weg als Fluchthelferin, der noch viele weitere folgen sollten. Etlichen Dutzend Menschen hat sie unter Bedrohung ihres eigenen Lebens geholfen, zumeist im Auftrag von Varian Frey. Im November 1941 emigrierte sie mit ihrem Mann selbst über Lissabon nach Kuba. Nach sieben Jahren des Exils in Kuba führte sie ihr Weg im Juni 1948 schließlich nach Amerika, wo sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2005 lebte.

Exil und Anerkennung als Widerstandskämpferin

Lisa war bis zum Ende ihres Lebens eine überzeugte Kommunistin und Sozialistin, wenngleich über ihre politische Aktivität in den späten Jahren in den USA nicht allzu viel bekannt ist, was vermutlich mit der antikommunistischen Linie der Vereinigten Staaten zu tun haben dürfte. Erst als 76-Jährige brachte sie ihr erstes Buch "Mein Weg über die Pyrenäen" heraus und wurde zu einer Ikone des Widerstands und der Fluchthilfebewegung. Zehn Jahre später erhielt sie das Bundesverdienstkreuz erster Klasse als Anerkennung einer Kämpferin des Widerstands.

Eva Weissweilers Buch schließt mit dem ergreifenden und zugleich mahnenden Dankesbrief von Lisa Fittko an Richard von Weizsäcker für die Verleihung des Verdienstkreuzes: "Doch in meine Freude darüber mischen sich auch beunruhigende Fragen. Beschränkt die Auszeichnung sich auf Einzelne? Sollte die Anerkennung nicht vor allem dem Widerstand als Ganzes gelten?"

AVIVA-Tipp: Eva Weissweilers Biografie über die Widerstandskämpferin und Fluchthelferin Lisa Fittko schließt eine wichtige Lücke in der Geschichte des antifaschistischen – und auch feministischen – Widerstandes. Sie stellt die richtigen Fragen, stößt auf Lücken und Ungereimtheiten der autobiografischen Erinnerungen Fittkos und versucht diese zu schließen beziehungsweise zu erleuchten, indem sie intensive Quellenforschung betrieben und analysiert hat. Herausgekommen ist ein Bild einer Heldin, die ihr eigenes Wohlergehen immer unter das des Widerstandkampfes gestellt und sich in einer Männerdomäne durchgesetzt hat.

Eva Weissweiler: Dr. phil., wurde 1951 geboren und absolvierte ein Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Islamwissenschaft. Sie hat bereits diverse hochkarätige Biografien verfasst. Dabei legt sie den Schwerpunkt auf die unsichtbaren Frauen, die entweder als Tochter oder als Ehefrau im Schatten der Männer standen, trotz dem sie Großes geleistet haben. Weissweiler führt die Frauen aus diesem Schatten heraus und verschafft ihnen mit ihren Büchern den längst überfälligen und notwendigen Raum in der Kulturgeschichte. Zu den Veröffentlichungen von Eva Weissweiler gehören u.a. "Clara Schumann", "Die Freuds", "Tussy Marx. Das Drama der Vatertochter" oder "Lady Liberty: Das Leben der jüngsten Marx-Tochter Eleanor". Sie lebt als freie Schriftstellerin und Rundfunkautorin mit ihrem Mann in Köln.

Eva Weissweiler
Lisa Fittko. Biographie einer Fluchthelferin

Hoffmann und Campe Verlag, erschienen 04/2024
Gebundenes Buch, 384 Seiten
ISBN 978-3-455-01680-2
Euro 25,00
Mehr zum Buch unter: www.hoffmann-und-campe.de


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Beitrag vom 17.03.2025

Silvy Pommerenke