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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 15.02.2016


Elisabeth Raabe - Eine Arche ist eine Arche ist eine Arche. Verlegerinnenleben
Magdalena Herzog

Möchten Sie in Prosa erfahren, wie Verlage die Welt der Literatur für uns Lesende erschaffen? Die Arche-Verlegerin Elisabeth Raabe komponiert aus drei Jahrzehnten Arbeit eine Sinfonie über die ...




... Entdeckungen literarischer Größen und über die Geschichte des west- und ostdeutschen literarischen Lebens seit 1944.

Wie die Arche in weibliche Hand kam
Eine Lektorin und eine Buchhändlerin, die zwar erfahren, jedoch in der Bücherwelt noch nicht bekannt sind, kaufen am letzten Tag des Jahres 1982 in Zürich den renommierten Schweizer Verlag Arche für deutschsprachige und internationale Autor_innen. Es sind Elisabeth Raabe und Regina Vitali, die sich im Wettbewerb gegen namenhafte Verlage durchgesetzt haben. Seitdem prägen sie die deutschsprachige literarische Landschaft. Elisabeth Raabe hat ihr professionelles Leben und damit einen Teil der Literaturgeschichte der letzten 30 Jahre nun in "Eine Arche ist eine Arche ist eine Arche. Verlegerinnenleben" zusammengefasst.

Ein Arbeitstagebuch des Verlagswesen
Besonders der Beginn dieser außerordentlichen Erfolgsgeschichte liest sich wie ein ausformuliertes Arbeitstagebuch: wie die Abwicklungen des Kaufvertrags von statten gingen, wie am 3.1.1983 die Arbeit begann, wie sich die beiden Inhaberinnen in dem neuen Büro einrichteten, sich in die Akten einarbeiteten, die alten Mitarbeiter_innen für sich gewinnen und neues Personal einstellen mussten, ein Netzwerk von Vertreter_innen aufbauten, unendlich viele Bücher im Lager aus der Backlist der "alten Arche" - wie sie die Autorin stets nennt - preiswert verkauften und damit den ersten Aufruhr auslösten. Die Inhaberinnen knüpften an eine vierzigjährige Tradition an – diese wollten sie aufnehmen und gleichzeitig neue Akzente setzen. Auch hier bekommen wir einen detaillierten Einblick, wie Raabe + Vitali diese Neuausrichtung vorgenommen haben, wie der Kontakt mit alten Autor_innen gehalten und zu neuen aufgebaut wurde.

Literarische Höhepunkte
Ein Meilenstein der neuen Arche wurde die Zusammenarbeit mit Marie-Anne Stiebel. Sie war als Jüdin mit ihrer Familie in den dreißiger Jahren in die Schweiz emigriert, besuchte Gertrude Steins Lebensgefährtin Alice B. Toklas in Paris und erhielt von dieser die Erlaubnis, Gertrude Steins Werke ins Deutsche zu übersetzen. So kam der Verlag zu Steins Werk und Elisabeth Raabe zu dem passenden Titel dieses Buches, das an den berühmten Satz "Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose" aus dem Gedicht Sacred Emily von 1922 angelehnt ist. Besondere Entdeckungen unter den weiblichen Autorinnen waren die Erinnerungen der Sängerin und Schauspielerin Blandine Ebinger (1985) ("Mädchen in Uniform" von 1958), die Werke der Italienerin Fabrizia Ramondino (1986) und nicht zuletzt die von Viola Roggenkamp, die durch den Roman Familienleben (2004), die Geschichte einer jüdischen Familie im Hamburg der 1960er Jahre bekannt wurde. Eine tragende Säule wird ab 1984 der Arche Literatur Kalender, der sich zur Ikone unter den Literaturkalendern durchsetzte. Seitdem die Inhaberinnen 2008 die Arche Literatur an die Verlagsgruppe Oetinger verkauft haben, führen sie den Arche-Kalender Verlag. Damit greifen sie eines ihrer erfolgreichsten und qualitativ hochwertigsten Ergebnisse ihrer Verlagsgeschichte auf und bereichern seitdem die Print-Welt mit den Kalendern im Bereich Musik, Literatur und Kochkunst.

Der Kauf von Luchterhand
In kurzen Abschnitten und in wunderschöner prosaischer Erzählweise erleben wir Lesenden diesen Wandel, den Aufstieg und die Umzüge des Verlags. Nach sechs erfolgreichen Jahren kauften Raabe + Vitali 1987 den deutschen Verlag Luchterhand mit Sitz in Darmstadt auf und führten diesen bis 1994. Die Erzählungen und Anekdoten beziehen sich in diesem Abschnitt besonders auf den Mauerfall und die damit einhergehende Verhandlung mit ehemaligen DDR-Autor_innen wie Christa Wolf und Anna Seghers (in diesem Fall mit ihrem Verleger) über die Originalrechte ihrer Werke. An Hand dieser Periode lässt sich das Miteinander von Literaturgeschichte und tagespolitischem Geschehen wunderbar nachvollziehen und frau erhält gleichzeitig einen Crashkurs im Bereich Lizenzen.

Erinnerungen an eine andere Verlagswelt
Der Enthusiasmus gepaart mit der Vision der Inhaberinnen ist spürbar und ansteckend, deren Talent und Können, das Intellektualität mit Unternehmerinnengeist vereint, beeindruckend. Sie arbeiten Hand in Hand, rund um die Uhr und dieser Alltag erscheint nicht wie eine Belastung, sondern wie die uneingeschränkte Hingabe an die eigene Passion: die Literaur und das Büchermachen. Sie ist gehüllt in einen glamourösen Schleier von (noch nicht) namenhaften Romanciers, mit denen im gemütlichen Verlag, in Restaurants und Hotels augelotet, diskutiert und verhandelt und dies schlussendlich mit herrlichen Ausblicken in der Schweiz, später in Hamburg belohnt wird. Und wenn schon nicht mit monetärem Erfolg, so doch von enormer Wertschätzung seitens der Autor_innen. Dies sind freilich Momente, in denen das Geschriebene nostaligsch anmutet, denn obwohl die Verlagsbranche auch in den achtziger Jahren keine einfache war, so ist solch ein Berufsalltag im Verlag, in dem die persönliche Begegnung zwischen Autor_innen und Lektor_innen eine derart vorgeordnete Rolle spielt und die neuen Antor_innen an der Tür klingeln, um ihr Manuskript einzureichen heute kaum mehr vorstellbar. Unzählige Namen fallen in diesen Erinnerungen – von wichtigen Verlagskolleg_innen, Vertreter_innen, und Autor_innen, die der späteren Generation so nicht mehr geläufig sind. Es ist bemerkenswert, wie Elisabeth Raabe damit die Arbeit aller Kolleg_innen und Angestellten anerkennt und hiermit verewigt. Auch in dieser Hinsicht motivieren diese Erinnerungen nicht nur zur leidenschaftlichen Arbeit in der Buchbranche, sondern auch, diese Begeisterung mehr miteinander zu teilen.

AVIVA-Tipp: Dieses Buch ist Frauengeschichte, Verlagsgeschichte und Literaturgeschichte der vergangenen dreißig Jahre in einem. Die Erinnerungen der so gebildeten wie unternehmerischen Elisabeth Raabe an ihre Zeit als Arche-Verlegerin gemeinsam mit Regina Vitali, sind in begeisterer Stimmung und eher in literarischen als in journalistischem Stil geschrieben. Frau lässt sich fast anstecken, es selbst in diesen schwierigeren Zeiten für Bücher Raabe + Vitali nach zu tun. Gerade für Frauen und Männer, die neu in der Branche sind, ist es ein literarisches Lehrbuch. Die Bebilderung, die vielen Namensnennungen und die "Kleine Chronologie der verlegerischen Ereignisse" runden dieses großartige Buch ab.

Zur Autorin: Elisabeth Raabe, geboren 1939 in Oldenburg, studierte Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. 1972 wurde sie Lektorin bei Rowohlt, später bei Cecilie Dressler und Otto Maier Ravensburg. 1982 kaufte sie mit Regina Vitali den Schweizer Verlag Arche. Von 1987-1994 waren beide ebenfalls Inhaberinnen des Darmstädter Verlags Luchterhand. 2008 verkauften Raabe und Vitali den Arche-Literaturverlag und führen seitdem den Arche-Kalender Verlag. 2014 gründeten beide den Verlag edition momente.
Weitere Infos unter:
www.arche-kalender-verlag.com und www.edition-momente.com


Elisabeth Raabe. Eine Arche ist eine Arche ist eine Arche. Verlegerinnenleben
edition momente, erschienen Januar 2016
Gebunden, Fadengeheftet mit Leseband, 240 Seiten mit 121 Fotos
22 Euro
ISBN 978-3-9524433-1-6
www.edition-momente.com

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Magdalena Herzog