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Beitrag vom 01.01.2007
Die Wunderheilerin
Tatjana Zilg
Leipzig Anfang des 16. Jh. Zwei Zwillingsschwestern müssen gegen die engen gesellschaftlichen Regeln und das starre Standeswesen ankämpfen. Dritter Teil der historischen Trilogie von Ines Thorn
Die Stadt ist im Mittelalter streng geteilt: Im von den bewachten Stadtmauern umgebenen Innenteil wohnt das Bürgertum, der Adel und seine Dienstleute.
In der Vorstadt lebt die Unterschicht, die Berufe ohne Ansehen ausüben müssen. So auch der Henkersmeister mit seinen Töchtern. Eigentlich gibt es für sie keine Chance, gesellschaftlich aufzusteigen. Doch die Silberschmiedin Eva will beweisen, dass dies veränderbar ist. Entgegen der Vorurteile, die ein Großteil der Stadtbevölkerung gegen die VorstadtbewohnerInnen hegt, holt sie zwei Zwillingstöchter des Henkers zu sich, um sie zu ihren Lehrmädchen zu machen. Aber auch Eva, eine selbstbewusste Bürgersfrau, ist im engen Korsett der gesellschaftlichen Erwartungen gefangen. Als ihr Mann sie verlässt, muss sie die Schmiede aufgeben, denn die Zunft erlaubt einer Frau nicht, eine Werkstatt zu führen.
Sechs Jahre leben die Zwillinge Priska und Regina zu diesem Zeitpunkt schon in ihrem Haus. Während Priska sich als sehr fleißig und geschickt erwiesen hat, ist Regina meist undiszipliniert und egoistisch.
Eva hat das Interesse an ihren beiden Mündeln schon fast verloren, zu drückend sind die Probleme, seit ihr sie Mann verlassen hat. Zudem ist ihr Bruder Adam in schwerer Bedrängnis. Als Homosexueller droht ihm im Mittelalter Bestrafung, Sexualität unter Männern ist tabuisiert.
Gemeinsam mit dem Priester Johann von Schleußig ersinnt sie die einzige Lösung, die Adam vor der Ächtung retten kann: Er soll eines der Zwillingsmädchen heiraten.
Priska setzt alles daran, Adams Frau zu werden, denn er ist Arzt, und dies ist der Beruf, in dem sie ihr größtes Talent sieht. Bald wird sie seine medizinische Helferin und beste Freundin. Erst geht Priska völlig auf in ihren neuen Leben, das eine große Verbesserung für sie darstellt. Aber als der gesellschaftliche Druck immer größer wird, beginnt sie unter der Scheinehe zu leiden. Die ausbleibende Schwangerschaft ist in dieser Zeit ein Indiz für ein Leben außerhalb der Norm.
Beide flüchten sich in die Arbeit: Adam betreut nicht nur die BürgerInnen, sondern geht auch in die Vorstadt und ins Verließ. Nicht Profit ist sein Ziel, sondern seine medizinischen Künste allen gleich, unabhängig von der Herkunft, zu Gute kommen zu lassen. Bald begleitet Priska ihn nicht nur, sondern erobert sich ihre eigenen Gebiete: Die Kräuterkunde, Frauenkrankheiten und die Verhütung von Schwangerschaften.
Ihre Schwester Regina beobachtet ihren wachsenden Wohlstand mit großer Missgunst. Regina musste heiraten, da sie als Frau kein Recht auf den Silberschmieds-Gesellenbrief hatte, um für ihr Auskommen zu sorgen. Ihr Mann ist Feuerknecht in einer Goldschmiedewerkstatt und sie selbst arbeitet dort als Magd. Ihr Lebensstandard ist niedrig. Bei der ersten Gelegenheit setzt sie Gerüchte über die Ehe ihrer Schwester ins Stadtgespräch. Durch die Verbreitung der protestantischen Lehren von Luther und die damit verbundene große Unruhe in Leipzig müssen sich Adam und Priska erneut gegen Vorurteile und Nachreden zur Wehr setzen.
AVIVA-Tipp: Spannend und dicht geschrieben: Der Autorin gelingt es mühelos, die Welt des Mittelalters lebendig werden zu lassen. Das Sympathiefeld zwischen den beiden gegensätzlichen Schwestern schlägt meist zugunsten der talentierten und hilfsbereiten Priska aus, wobei sie vielschichtig genug charakterisiert wird, um als Hauptfigur interessant zu bleiben. Ihr innerer Konflikt, zum einen frei denken zu wollen, zum anderen doch nicht über die Grundessenz der Annahmen ihrer Zeit hinaus zu gelangen, wird eindringlich geschildert.
Zur Autorin:
Ines Thorn ist in Leipzig aufgewachsen und lebt seit 1990 in Frankfurt. Bei rororo ist bereits „Die Silberschmiedin“ und „Die Pelzhändlerin“ erschienen.
Ines Thorn
Die Wunderheilerin
Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag, VÖ September 2006
EAN: 9783499242649
416 Seiten, kartoniert
8,90 Euro
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