AVIVA-Berlin >
Literatur
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 30.10.2007
Neues von Paula Modersohn-Becker. AVIVA stellt zum Jubiläum drei Bücher vor
Yvonne de Andrés
Anlässlich des 100. Todestags der frühen expressionistischen Malerin werden ab Herbst 2007 Ausstellungen zu ihrem Leben und Werk in Hannover, Bremen und Worpswede gezeigt.
Die Malerin Paula Modersohn-Becker wurde 1876 in Dresden geboren und starb 1907 in Worpswede. Sie war eine der wenigen MalerInnen, die in ihrer Zeit, ein selbstbestimmtes künstlerisches Leben führte. Zwei Konflikte bestimmten ihr Leben wesentlich: die von Männern dominierte Bilderwelt lehnte ihre Bilder ab und zollte ihrem Werk keine Anerkennung. Ihre Berufung als Malerin forderte sie so vollständig, dass sie mit der Rolle der Ehefrau und Mutter nicht vereinbar war. "Ich arbeite mit einer Leidenschaft, die alles andere ausschließt" schrieb Paula Modersohn-Becker im Oktober 1897 an ihre Eltern.
In diesem Jahr würdigen Museen in Bremen, Worpswede und Hannover ihren 100. Todestag. AVIVA-Berlin stellt zu diesem Jubiläum drei Bücher über und mit Paula Modersohn-Becker vor.
Christa Murken, Paula Modersohn–Becker
Modersohn-Becker malte stimmungsvolle einfühlsame Selbstbildnisse, Kinderbilder und Landschaften. Eine kleine Erbschaft von ihrer Patentante ermöglichten ihr die Studienjahre in Berlin, die erste Zeit in Worpswede sowie den ersten Aufenthalt in Paris im Jahre 1900. In Paris begegnete sie den Werken von Rodin, Cézanne und Gauguin, die sie stark beeindrucken und richtiggehend ergriffen. Die Autorin der Monografie zu Modersohn-Becker, Christa Murken, merkt an: "Mit dieser Reise folgte sie nicht nur der Worpsweder Freundin Clara Westhof,… sondern auch einem allgemeinen Trend vieler deutscher Künstler." Paris ist 1900 die wichtigste europäische Kulturmetropole, gleichzeitig findet dort die Jahrhundertausstellung statt.
In Paris erhält sie auch Besuch von Otto Modersohn, einem ihrer Kunstlehrer, dessen Frau Helene während seines Parisaufenthaltes stirbt. Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn heiraten 1901 nach der gemeinsamen Rückkehr nach Worpswede. Dazu die Biografin: "Paula Becker kamen allerdings bald bei allem Jubel über die glückliche Lebensgemeinschaft auch heimliche Zweifel, ob sich ihre eigenwillige Lebensvorstellung und ihr künstlerisches Streben überhaupt mit dem Ehe- und Hausfrauendasein vereinbaren ließen." Sie fügte sich in den Haushalt und betreute die dreijährige Tochter, die Otto Modersohn in die Ehe eingebracht hatte.
1903 brach sie erneut nach Paris auf. Paris bedeutete für sie ungebundene Freiheit. In den Impressionisten fand sie Gleichgesinnte und Vorbilder. Es folgten weitere Parisaufenthalte 1905 und 1906, die als Versuch angesehen werden können, in die Kunst zu entkommen. Worpswede ist Paula Modersohn-Becker zu klein und philisterhaft geworden. Sie lebt dort isoliert und ohne Anerkennung. In der Ehe steigern sich die Konflikte. Die Biografin schreibt: "Diesmal wollte sie ihren Aufenthalt nicht nur zu künstlerischem Fortkommen nutzen, sondern sich auch Klarheit über ihre aus dem Gleichgewicht geratene Beziehung zu Otto Modersohn verschaffen." Im Frühjahr 1907 reiste das Paar, sie war schwanger und hatte von ihrem Mann das Versprechen eines größeren Ateliers erhalten, zurück nach Worpswede. Drei Wochen nach der Geburt der Tochter Mathilde starb die Malerin an einer Lungenembolie.
Christa Murken ist eine profunde Kennerin von Leben und Werk Paula Modersohn-Beckers. Ihre Publikation "Modersohn-Becker, Leben und Werk" aus dem Jahr 2000 wurde komplett überarbeitet und aktualisiert. Sie beschreibt sensibel die verschiedenen Aspekte ihres Lebens sowie ihres Werkes. Die dreißig Selbstbildnisse deutet sie wie folgt: "Sicherlich bedeuteten diese Ich-Darstellungen für Paula Modersohn-Becker gleichsam eine Notwendigkeit, gerade weil sie im Leben als Künstlerin keine Annerkennung gewinnen und mit niemandem, außer mit Otto Modersohn, ernsthaft ihre künstlerischen Vorstellungen diskutieren konnte." Ihre Bilder werden stark von matriarchalisch-weiblichen Vorstellungen bestimmt. Die symbolische Sprache, die in ihren Bildern enthalten ist, verändert sich im späteren Oeuvre in ein archetypisches Erfassen von sich selbst und der sie umgebenden Natur. Die Themen sind häufig Fruchtbarkeitsvorstellungen, Mutter und Kind, das bäuerliche Leben, ernste Porträts, Figuren in der Landschaft. Sie spiegeln mit erdigen Farben den Bezug zur "Muttererde" wider. Der empathische beseelte Blick auf Personen und Gegenstände/ Motive berührt uns auch heute noch und lässt die Intensität der Empfindung der Malerin spüren.
Zur Autorin: Christa Murken nach dem Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Psychologie promovierte sie 1990 über die österreichische Malerin Maria Lassnig. Mitarbeiterin an der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Kunst- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Sie publizierte seit 1980 verschiedene Bücher, darunter: Barfuss in der Kunst – Moderne Malerei anschaulich erklärt, Münster 1980; ihre erste grundlegende Publikation zu Paula Modersohn-Becker erschien 1980 im DuMont Verlag, Prozesse der Freiheit. Vom Expressionismus bis zur Soul and Body Art, Köln 1985 (zusammen mit ihrem Sohn Axel H. Murken), Paula Modersohn-Becker, Kinderbildnisse, Ostfildern 2004. Christa Murken lebt als freie Autorin, Malerin und Verlegerin in Herzogenrath bei Aachen. Weitere Informationen: www.christamurken.de
AVIVA-Tipp: Das Buch ist ein Standardbuch zu Paula Modersohn-Becker, ein guter Einstieg in die Beschäftigung mit dem Leben und Werk einer Malerin. Es liefert eine gute Vorbereitung für die anstehenden Ausstellungen im Herbst.
Charlotte Ueckert, Paula Modersohn-Becker
Rechtzeitig zu den Ausstellungseröffnungen dieses Herbstes erscheint das Buch von Charlotte Ueckert. Die Autorin zeigt, welches die drei Gründe sind, warum wir uns heute mit Paula Modersohn-Becker beschäftigen sollen. Das ist erstens ihre Verbundenheit mit Worpswede, der bekanntesten Deutschen Künstlerkolonie. Zweitens ihre intensive Freundschaft zu Rainer Maria Rilke und drittens der Erfolg ihrer 1917 veröffentlichten Briefe und Tagebücher, die noch nach dem Zweiten Weltkrieg zum Bildungskanon der Bundesrepublik gehörten. Das schmale Bändchen bietet einen schnellen Einstieg und eine gute Übersicht in die wichtigsten Stationen des Lebens von Paula Modersohn-Becker, die jetzt im Frühjahr erschienene Literatur wurde berücksichtigt und eingearbeitet. Frau Ueckert beurteilt Paula Modersohn-Becker wie folgt: "Sie schöpfte ihre Kunst zwar aus dem Potenzial eines weiblichen Blickwinkels, lernte aber von männlichen Vorbildern und respektierte die Männer ihrer Umgebung. Während diese mehr dem regionalen oder nationalen Wirkungskreis verhaftet blieben, gelang Paula Modersohn-Becker posthum der Aufstieg in die Sphäre anerkannt großer Kunst."
Zur Autorin: Charlotte Ueckert, 1944 in Oldenburg geboren, studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Kunstgeschichte. Sie war als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg in den Bereichen Exilliteratur und Nachkriegsliteratur beschäftigt, bevor sie als freie Autorin und Lektorin tätig wurde. Sie veröffentlichte Prosa und mehrere Lyrikbände ( z. B. Italienische Blätter, 1999) und ist Herausgeberin mehrerer Anthologien und Biographien (Margarete Susman und Else Lasker-Schüler, 2000 und Magierin der runden Frauen. Niki de Saint Phalle. Ein Porträt, 2007).
AVIVA-Tipp: Das Buch von Charlotte Ueckert ist ein guter Einstieg in die Beschäftigung mit Paula Modersohn-Becker und bietet eine schnelle Übersicht, ist also exzellent geeignet für eilige LeserInnen. Darüber hinaus ist es eine stimmungsvolle und einfühlsame Biografie. Stationen des Lebens- und des Werks von Paula Modersohn-Becker wechseln sich harmonisch ab und bieten eine anregende Lektüre. Der ideale Lesestoff für eine Bahnfahrt von Berlin nach Bremen.
Kerstin Decker - Paula Modersohn-Becker
Diese Biographie liest sich nicht nur ganz hervorragend, die Autorin konzentriert sich außerdem gleich auf die wesentlichen Aspekte von Paula Modersohn Becker: Die Malerin, die Tagebuchschreiberin und die Freundschaft zu Rainer-Maria Rilke, der sie ermutigte, ihren eigenständigen Weg als Malerin zu beschreiten.
Paula stand 1906 in ihrem kleinen Atelier in Paris vor dem Spiegel und malte sich fast nackt. Nur die lange Bernsteinkette fiel über ihre Brüste und ein Tuch war um ihre Beine geschlungen. Decker schreibt: "Der erste weibliche Selbstakt entsteht. Hüllenlos, schalenlos. Genauso ist ihr Leben jetzt. Sie hat kein Gehäuse mehr." Dieses Bild ziert auch das Cover des Buches. Eingesprenkelte Tagebuchaufzeichnungen und Briefe ermöglichen es den LeserInnen, direkt an den Eindrücken und Empfindungen der Malerin teilzuhaben. Ihre Vorbilder Cézanne, Gauguin und der frühe Picasso lassen sie aus der Enge Worpswedes und der Umschlingung von Vater und Otto Modersohn entfliehen. Immer wieder versucht sie sich in ihrer elfjährigen Ehe zwischen Kochkurs und Malen den Konventionen der Zeit anzupassen. "Sie war bereit: Kunst, Kinder, Küche. Genau in dieser Reihenfolge". Es gelang ihr nicht. Fremdheit stellt sich immer wieder zu ihrem Mann ein. Ganz anders das Verhältnis zu Rainer-Maria Rilke. Paula Modersohn-Becker: "In der Dämmerung ging ich zu Rilke. Da kam ich in ein stilles, arbeitsames Leben voll Schönheit und Zartheit. Er war nicht so froh wie in Worpswede. Dort lebte er schaffend und im Vollgefühl seiner Kunst. Jetzt holt es Atem zu neuen Dingen." Zwischen den beiden besteht eine Seelenverwandtschaft. Als wenige Tage nach der Geburt von Paulas Tochter das kleine Mädchen verstirbt, widmet Rilke ihr ein langes Abschiedsgedicht: "Requiem für eine Freundin".
Zur Autorin: Kerstin Decker, 1962 in Leipzig geboren, studierte in Leipzig Journalistik und in Berlin Philosophie, promovierte, wurde Reporterin des Tagesspiegels, Kolumnistin der taz, Theater- und Filmkritikerin. Sie schrieb zusammen mit Angelica Domröse deren Autobiographie "Ich fang mich selbst ein" (2003), außerdem "Oscar Wilde für Eilige" (2004) und die Biographie "Heinrich Heine. Narr des Glücks" (2005). Gemeinsam mit Gunnar Decker veröffentlichte sie u. a. "Letzte Ausfahrt Ost. Die DDR im Rückspiegel" (2004).
AVIVA-Tipp: Kerstin Decker hat ein ungewöhnlich dichtes und einfühlsames Portrait der Malerin erstellt. Die Zerrissenheit der Künstlerin wir hier in hoher Plastizität dargestellt. Eine spannende Annäherung an die verschiedenen Epochen ihres Künstlerinnenlebens. Unbedingt lesenswert.
Christa Murken
Paula Modersohn–Becker
Leben und Werk
110 Abbildungen, davon 80 in Farbe.
Dumont Literatur und Kunstverlag, erschienen März 2007
Gebunden - 149 Seiten
ISBN: 383217768X
EAN: 9783832177683
24,90 Euro
Charlotte Ueckert
Paula Modersohn–Becker
Herausgegeben von Charlotte Ueckert
Rowohlt Taschenbuch Verlag, ´rororo Monographien´, erschienen Oktober 2007
4 - farbige, zahlreiche Bilddokumente
Kartoniert - 160 Seiten
ISBN: 9783499505676
8,50 Euro
Kerstin Decker
Paula Modersohn– Becker
Eine Biografie
8 Seiten Farbabbildungen
Propyläen Verlag, erschienen August 2007
Gebunden - 287 Seiten
ISBN: 9783549073230
19,90 Euro
Lesen Sie auch unsere Rezension zu Barbara Beuys – "Paula Modersohn-Becker"
Bis zum 24. Februar 2008 können die drei Ausstellungen Bremen, Worpswede und Hannover anlässlich des 100. Todestages von Paula Modersohn-Becker besichtigt werden.
Weitere Infos unter:
www.paula-in-paris.de
www.pmbm.de
www.landesmuseum-hannover.niedersachsen.de