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Beitrag vom 08.10.2007
Anwalt ohne Recht
Annegret Oehme
Zwei umfassende Dokumentationen, erschienen im be.bra verlag, widmen sich dem Schicksal jüdischer RechtsanwältInnen in Berlin und in Deutschland nach 1933.
"Ich halte es für wichtig, dass die fatale Ausgrenzung und Entrechtung dokumentiert wird, um daran zu erinnern, dass wir jeder Form von Diskriminierung entschlossen entgegentreten müssen. Dieser Band stellt eine wichtige Würdigung und Erinnerung an die jüdischen Anwälte in Deutschland dar."
So schreibt es die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, im Vorwort zu "Anwalt ohne Recht. Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933". Ihr Vater, Fritz Siegfried Neuland, war selbst ein jüdischer Anwalt, den das Berufsverbot durch die Nationalsozialisten betraf.
Im Mai 1933 waren in Nürnberg, Zweibrücken, München und Bamberg 2.473 RechtsanwältInnen zugelassen, von denen 17,8 Prozent jüdischer Herkunft waren. In Berlin traf dies sogar auf 54 Prozent zu. Die Ursachen hierfür sind historischer Natur und liegen in den Berufsbeschränkung, die über Jahrhunderte für JüdInnen im deutschsprachigen Raum galten. Bis weit hinein ins 19. Jahrhundert gewährten auch die Universitäten jüdischen StudentInnen nur beschränkten Zugang, ermöglichten aber häufig ein Studium der Rechtswissenschaften. Schon von traditioneller Seite her findet sich im Judentum eine gewisse Affinität zu Themen des Rechts. Auslegungen der religiösen Gesetze, wie sie im Talmud niedergeschrieben sind, wurden über Jahrhunderte hinweg immer wieder diskutiert und auf die jeweiligen Alltagssituationen übertragen.
Dennoch wurde ihnen selbst nach der formalen Gleichberechtigung im Kaiserreich 1871 der Weg in die juristische Anstellung erschwert. Höchstens als Konvertit hatte man – wenn auch wenig – Chancen. Für alle anderen blieb nur, sich als freier Anwalt zu verdingen.
Diese Situation brachte regelrechte Familienkanzleien mit sich, in denen Väter ihre Söhne und ab 1922 auch ihre Töchter aufnahmen. In der Weimarer Republik bekamen Frauen erstmals die Möglichkeit auch im, bis dahin männlich dominierten, Anwaltsberuf Fuß zu fassen.
Das Einsetzen der Nationalsozialistischen Diktatur setzte dieser kurzen, einigermaßen problemlosen Zeit ein Ende.
Im Zuge der Ausnahmegesetze nach dem Reichstagsbrandes im Februar 1933 wurden zahlreiche AnwältInnen, die als SozialistInnen oder KommunistInnen bekannt waren, verhaftet.
Wenig später erfolgte die systematische Ausgrenzung. In Preußen wurde im April des gleichen Jahres ein "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erlassen, welches auch die Zulassung der AnwältInnen neu regelte.
1935 wurde ein uneingeschränktes Berufsverbot für JüdInnen im öffentlichen Dienst bestimmt, in folge dessen zahlreiche jüdische JuristInnen ihren Arbeitsplatz räumen mussten.
Im Jahre 1938 verschärften die Nationalsozialisten ihre antisemitischen Maßnahmen und belegten alle noch agierenden jüdischen AnwältInnen mit einem Berufsverbot. Einigen wenigen wurde unter dem Titel "Konsulenten" erlaubt weiterhin für ausschließlich jüdische MandantInnen aktiv zu sein.
Doch schon wenig später wurde ein großer Teil der männlichen jüdischen Bevölkerung verhaftet und deportiert.
74 Jahre nach diesen antisemitischen Gesetzen und Verfolgungen wurden nun zwei umfassende Dokumentation über die Ausgrenzung innerhalb dieser Berufsgruppe vorgelegt.
Der erste Band widmet sich ausschließlich den jüdischen RechtsanwältInnen in Berlin. Nach einigen umfassenden Kapiteln zur Situation in Berlin werden die JuristInnen alphabetisch mit biographischen Daten, Adressen und einigen Bildern aufgeführt.
Ein weiterer Band stellt die AdvokatInnen nach ihren Wirkungsstätten im gesamtem damaligen Deutschen Reich zusammen.
Zur Autorin von "Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Deutschland nach 1933": Simone Ladwig-Winters wurde 1955 in Berlin geboren und studierte an der Freien Universität Berlin Rechtswissenschaften. Am dortigen Fachbereich Politische Wissenschaften promovierte sie auch. Sie ist als Sozialplanerin und Mieterberaterin in der Stadterneuerung in Schöneberg und Kreuzberg aktiv.
Außer den besprochenen Büchern ist im be.bra verlag "Wertheim. Geschichte eines Warenhauses" von ihr erscheinen.
Lesen Sie auch unsere Rezension zu Simone Ladwig-Winters und Erica Fischers Buch "Die Wertheims" auf AVIVA.
AVIVA-Tipp:
Nach umfassender Recherche gelang es, die Schicksale der meisten jüdischen RechtsanwältInnen zu rekonstruieren und in diesen beiden Büchern festzuhalten. Dass, siebzig Jahre nachdem Recht und Gesetz im Nationalsozialismus ihre Bedeutung verloren hatten, die Rechtsanwaltskammer Berlin und die Bundesanwaltskammer als Herausgeber der Bände agierten, ist ein wichtiges Zeichen.
Rechtsanwaltskammer Berlin (Herausgeberin)
Anwalt ohne Recht
Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Deutschland nach 1933
be.bra verlag, erschienen September 2007
ISBN: 978-3-89809-074-2
412 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
29,90 Euro
Simone Ladwig-Winters
Bundesanwaltskammer (Herausgeberin)
Anwalt ohne Recht
Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte in Berlin nach 1933be.bra verlag, erschienen September 2007
ISBN: 978-3-89809-075-9
310 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
24,90 Euro