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Beitrag vom 16.05.2007
Die Schule der Frauen
Daniela Besser
Die bekannte und erfolgreiche Journalistin Iris Radisch schreibt in ihrem Buch über Frauen und Männer, Karriere und Kinder – aus geschichtlicher, gesellschaftspolitischer und privater Perspektive.
Iris Radisch beschreibt engagiert und aus weiblicher Sicht Lebenslagen und die Rolle der Frauen in Vergangenheit, Gegenwart und mit Blick auf die Zukunft. Ihre Ausführungen sind dabei nicht auf einer abstrakt-theoretischen Ebene angesiedelt, sondern greifen aus dem Leben, so auch vielfach aus konkret-persönlichen Erfahrungen der Autorin selbst. Das bestimmende Thema des Buches ist: das Fehlen der Kinder in Deutschland.
Im Zusammenhang damit beschäftigt sie sich mit aktuellen Gegebenheiten und Zahlen: "Wer in Deutschland weiblich und voll berufstätig ist, bekommt selten Kinder. Je qualifizierter eine Frau ist, umso weniger Kinder bekommt sie. [...] Kinder fehlen. Sie fehlen besonders in der gebildeten Mittelschicht, [...]." Radisch weist zudem auf den publizistischen Feldzug (von Männern) gegen kinderlose Karriere-Frauen hin, die eine "Schöpfungsnotwendigkeit" missachten würden und denen nahegelegt wird, sie sollten viele und möglichst schnell Kinder kriegen, "um Deutschland zu retten". Damit wird ein Druck - vor allem auf junge Frauen - ausgeübt, und ihnen suggeriert, sie seien an dem fehlenden Nachwuchs und dem Desaster der späteren Rentenfinanzierung schuld.
Dabei ist gerade die Bildung und Erwerbstätigkeit der Frau eine unumgängliche Forderung und Tatsache, die nicht nur aus Gründen der Gleichberechtigung von Nöten ist, sondern auch – wie Radisch eindrücklich darlegt – eine praktische Notwendigkeit, wenn man(n) bedenkt (was für Frau häufig schlichte Realität) wie oft Männer ihre Frauen und Kinder verlassen. Radischs (er-)nüchterne Bilanz: Frau kann sich auf niemanden verlassen, außer sich selbst. Männer zogen in den Krieg, Männer ließen/lassen ihre Familie für eine neue Frau sitzen. Und schon immer mussten und konnten Frauen, auch unter schwierigsten Bedingungen, für sich selbst und ihre Kinder sorgen.
Neben verschiedenen Liebes- und Familienmodellen werden die Unhintergehbarkeit der Frauen-Emanzipation in einer modernen Welt, die Folgen der Antibabypille, der Streit zwischen "Karriere- und Vollzeitmüttern" und noch vieles mehr von Radisch thematisiert und diskutiert, "eine neue Weiblichkeit des Mannes" gefordert sowie eine Konsum- und Lifestylekritik an der vorherrschenden Kultur - des Materialismus’ und der Selbstsucht - formuliert. Und immer wieder richtet sie unsere Aufmerksamkeit darauf, welche Diskrepanz oft in den Debatten zu finden ist, wenn es um Gesagtes (und Gefordertes von Männern) und dessen Umsetzung, dem Tun im je eigenen Lebenszusammenhang geht.
Aber auch für den politischen Diskurs finden sich anregende und brauchbare Lösungsvorschläge. Radisch bleibt nicht bei der Bestandsaufnahme und Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse stehen, sondern zeigt praktische Veränderungsmöglichkeiten für Politik und Wirtschaft auf. Diese hätten eine neue Wertschätzung der Familie und die Zurücksetzung der Ansprüche einer kapitalistischen Wirtschaftspolitik zur Folge. Denn der derzeit umfassende Verfügungsanspruch der Arbeitswelt über das kostbare Gut "Zeit" zerstört das Familienleben. So muss es nicht verwundern, dass sich Familienstrukturen auflösen und keine Zeit mehr für die Erziehung in der Familie – die doch immer wieder öffentlich und politisch eingefordert wird – bleibt. Eine Gesellschaft, die Wert auf Familie legt, muss dieser auch die entsprechenden Bedingungen für ihr Bestehen zur Verfügung stellen, und dies ist aus Radischs Sicht: Zeit für das Familienleben, Zeit für gemeinsame Augenblicke und Erfahrungen. Gleichwohl bemerkt sie, dass dies den Familien nicht geschenkt werden wird, sondern von ihnen erkämpft werden muss, denn: "Von der Hausfrauenehe haben die Männer profitiert. Von der Rundum-Betreuung der Kinder profitiert die Wirtschaft. Von der Familienzeit profitiert nur die Familie".
Letztlich ist Radischs Vorschlag ein Appell für die Gleichberechtigung von Arbeit und Familie - im weiteren Sinne auch allgemeiner aller privaten Beziehungen - im modernen Leben. Und nicht wie gegenwärtig die einseitige Bevorzugung der Erwerbsarbeit. Ein jedes hat seine Zeit und muss diese eben auch zur Verfügung gestellt bekommen, um sich aufzubauen, zu entwickeln und zu bestehen.
Zur Autorin: Iris Radisch, geboren 1959, ist Literaturredakteurin der Wochenzeitung Die Zeit und Mutter von drei Kindern. Seit 2003 ist sie Juryvorsitzende des Ingeborg-Bachmann-Preises und moderiert seit Herbst 2006 für das Schweizer Fernsehen und 3sat die Büchersendung Literaturclub.
AVIVA-Tipp: Die Lektüre des Buches ist informativ wie unterhaltsam zugleich. Radisch versteht es gekonnt, verschiedene Sichtweisen zu Wort kommen zu lassen und zugleich doch unmissverständlich ihren Standpunkt deutlich zu machen – den der Frauen. Dabei bleibt sie aber nicht stehen, sondern weitet das Blickfeld auf familienpolitische Probleme und deren mögliche gesellschaftspolitische Alternative für die Zukunft. Dieses Buch geht alle an, Frau wie Mann sollte es gelesen haben!
Iris Radisch
Die Schule der Frauen
Wie wir die Familie neu erfinden
DVA, erschienen Februar 2007
Hardcover mit Schutzumschlag, 192 Seiten
ISBN: 978-3-421-04258-3
Preis: 14,95 Euro