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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 22.06.2006


Ingrid Noll - Ladylike - gelesen von Maria Becker
Almut Münch, Agnes Winklarz

Es ist keine leichte Aufgabe, den zynischen Tonfall von Ingrid Nolls Roman zu treffen. Aber Maria Becker gelingt es mit ihrer unverwechselbaren Stimme, dem Anspruch gerecht zu werden.




Wenn man ihren durchtrieben-lebenshungrigen, patenten und faltenlosen Frauengestalten begegnet - im besten Alter, mitten im Leben stehend und nie um einen flotten Spruch verlegen -, mag man kaum glauben, dass Ingrid Noll alterstechnisch gesehen ihre Großmutter sein könnte. Vergangenen September wurde sie 70. Und hat sich mit "Ladylike" zur Abwechslung einmal ihre Altersgenossinnen vorgenommen. Ohne pardon und wie immer mit viel Humor.

Je oller...

Da sitzen sie nun, Lore und Anneliese, die beiden ungleichen Freundinnen - die eine dick, die andere dünn, die eine wohlhabend, distinguiert und eben ladylike, die andere zwar nicht mit Vermögen, doch mit einer unerschütterlich guten Laune und einem zauberhaften Häuschen mit Garten. Beide seit Jahren verwitwet, mit Kindern, Enkeln und Erinnerungen gesegnet. Sie wollen es nicht so richtig zugeben, aber mit 73 gehören Lore und Anneliese zum alten Eisen. Das merken sie immer dann, wenn sie unbemerkt etwas mitgehen lassen können, Strickjacken oder Schmuckstücke zum Beispiel, oder wenn sie einfach übersehen werden. Alte Damen fallen irgendwie nicht auf. Es sei denn, sie wanken des Nachts bekifft durch Heidelberg - aber soweit sind wir an dieser Stelle noch nicht.
Im Augenblick leben die beiden ein relativ unspektakuläres Leben als Alten-WG und lassen sich zwischen Frühstück, Gartenarbeit, Kaffeetrinken und einem kleinen Schlummertrunk sanft durch den immer gleichen Alltag schaukeln. Solange, bis Ewald vor der Türe steht, ihrer beider Tanzschulbekanntschaft. Um cirka 50 Jahre gealtert zwar, aber das sind sie ja selbst.

Je doller!

Und ehe sie sich’s versieht, hat Anneliese sich über beide Ohren verliebt (ganz altersgemäß bei Kaffee und Kuchen zwar, doch mit sämtlichen körperlichen Anzeichen des Backfischs, der sie ja auch einmal war). Wen stört’s, dass Ewald verheiratet ist und seiner schwer kranken Gattin wegen ins Heidelberger Umland verschlagen wurde? Die Gute, das bekommen die beiden gewieften Freundinnen schnell heraus, ist schwer krank, übellaunig und auch ansonsten nicht gerade Ewalds Wunschvorstellung von einer Partnerin. Weshalb er auch ohne lange zu überlegen bei Lore und Anneliese einzieht.

Damit könnte alles so schön sein - der alte Freund entpuppt sich als echter Kavalier: lustwandelt mit Lore im Schwetzinger Schlosspark und hüpft nach dem Tee mit Anneliese im Dreivierteltakt durchs Wohnzimmer. Dass die Gute als gewieftes Kräuterweiblein Teekräuter sehr wohl von Eisenhut unterscheiden kann, kommt dem Trio weiterhin sehr zupass, denn als Ewalds kränkelnde Gattin im besten Sinne des Wortes nach einer Teezeremonie ins Gras beißt, steht ihrem Glück eigentlich nichts mehr im Wege.

Und: Wehe, wenn sie losgelassen

Aber wohin verschwindet er jeden zweiten Abend? Und wer von den beiden Damen bekommt ihn nun? Denn dass Lore einem dritten Frühling völlig gleichgültig gegenüber stünde und die Zahl der Verehrer größer gleich null wäre, kann sie nicht gerade behaupten. Deshalb kommt Ewald mit der Unschuldsminen-Nummer auch nicht davon: Die beiden Alten wollen es nun nämlich ganz genau wissen. Das Gerücht, dass er in derselben Heidelberger Pflegeklinik, in der er seine verblichene Frau untergebracht hatte, eine Affäre mit einer bedeutend jüngeren Ärztin unterhält, findet seinen Weg auch ohne größeres Zutun zu Lore und Anneliese. Als er dann aber auch noch mit der Dame zum Heiraten nach Italien verschwindet, sehen die beiden Damen rot... Einmal gestellt, gesteht Ewald auch prompt: Die sagenhafte Yolanda sei niemand anderes als seine Tochter - die neue, wiedergefundene sozusagen, aus einem Seitensprung mit einer feurigen Brasilianerin entsprungen. Und geheiratet habe nur sie - seinen Schwiegersohn nämlich.

Bleibt die Frage, wohin Ewald nach wie vor verschwindet, wenn er nicht bei Yolanda und ihrem Frischangetrauten in Heidelberg weilt. Lore und Anneliese wissen auch diesmal Rat: Sie dingen ein Studentenpärchen und heften die beiden jungen Leute an Ewalds Fersen. Immerhin geht es hier um Leben - oder seinen Tod. Sich einfach bei ihnen einnisten und sich dann mit anderen Frauen vergnügen, das kommt den beiden resoluten alten Damen nämlich nicht in die Tüte.

Jenseits von Gut ist noch lange nicht böse

Dass es sich bei der Unbekannten, mit der Ewald in den besten Lokalen Heidelbergs gesichtet wird, um niemand anders als Yolandas total durchgeknallte Mutter handelt, beruhigt die beiden Alten nicht - sie wollen sich das neue Familienglück Ewalds gerne genauer ansehen. Dass die Begegnung zwischen Lore, Anneliese und der mit halluzinogenen Drogen nicht gerade zimperlich umgehenden Luiza in einer Katastrophe endet, muss man bei Ingrid Noll vermuten. Und dass Lore und Anneliese im Endeffekt bekommen, was sie wollen - und das ganz ladylike, oder eben zufällig, wen stört das schon - ist sowieso klar.

AVIVA-Tipp: Maria Becker gelingt es wie keiner anderen, mit ihrer charmant abgeklärten Art, Lore und Anneliese nicht nur eine Stimme, sondern zugleich ein Gesicht zu geben. Mit feinfühligem Gespür trifft sie den zynischen Ton der beiden Protagonistinnen.

Zur Autorin: Ingrid Noll wurde 1935 in Shanghai geboren, wo sie bis zu ihrem 15. Lebensjahr lebte. Sie studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Bonn, heiratete, bekam drei Kinder und fing, als der Nachwuchs aus dem Haus war, an zu schreiben. Und dies mit großem Erfolg: Ihr Erstling, Der Hahn ist tot, wurde sofort ein internationaler Bestseller, ihr Krimi Die Apothekerin verfilmt, und die Literaturpreise kommen mit treffsicherer Wahrscheinlichkeit nach jedem neuen Roman.


Ingrid Noll: Ladylike. 7 CDs
Ungekürzte Lesung.
Vorgelesen von Maria Becker
Diogenes Verlag, erschienen Mai 2006 - CD`s
ISBN: 3257800150
EAN: 9783257800159
Libri: 864462490008115&artiId=5179869" :



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Beitrag vom 22.06.2006

AVIVA-Redaktion