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Beitrag vom 12.06.2006
Alessandro Piperno. Mit bösen Absichten
Almut Münch
Piperno schreibt eine Familiengeschichte, die jüdisch, katholisch und bitterböse ist. Vor allem aber schreibt er einen Schlüsselroman, der in Italien für viel Aufregung sorgte.
Viel Lärm um (fast) nichts ...
Als Alessandro Pipernos Erstling "Mit bösen Absichten" im letzten Jahr in Italien publiziert wurde, war in Rom der Teufel los. Denn der Titel des Romans schien Programm zu sein und die Figuren im Text allzu eng mit lebenden Personen verwandt ... die von Pipernos spitzer Feder porträtierten "Betroffenen" reagierten ebenso, und weil es sich bei der Gruppe der Empörten um die Haute Volée der italienischen Hauptstadt handelte, stürzte sich auch die Yellow Press genüsslich auf die Streithähne - und den Roman. Damit war der Rummel um den Debütroman Pipernos perfekt. Worum es genau ging?
Ziehen wir als nicht in Skandale und "gewollte Ähnlichkeiten mit lebenden Personen" Eingeweihte Bilanz, geht es um nicht mehr, aber auch nicht weniger als um die sehr intime, nicht immer skandalfreie Biographie der jüdisch-katholischen Familie Sonnino. Erzählt von ihrem jüngsten Spross Daniel, der, 32-jährig, endlich abrechnet mit seinen männlichen Verwandten und die wohl gehüteten Obsessionen und Peinlichkeiten beim Namen nennt, die vor allem einen brandmarken sollen: Bepy Sonnino, seinen Großvater, der selbst über den Tod hinaus eine Strahlkraft behält, die Frauen verzaubert und Männer verärgert.
Der "Sonnenkönig" Bepy
Bepy Sonnino, der als riesiger Schatten die gesamte Familiengeschichte prägt, war nicht nur ein Womanizer der übelsten Sorte, sondern auch ein Betrüger und ein jüdischer Wolf im geschäftsmännischen Schafspelz. Ein charismatischer Beau, der die in Auschwitz umgekommenen Verwandten beharrlich totschwieg und sich von der "dunklen Seite" der Geschichte nicht in seinem Alltag belästigen lassen wollte. Und dieser Alltag, so will es Daniel scheinen, bestand vor allem daraus, sein Tuchwaren-Imperium so lange zu vergrößern, bis das "Big Business" vor die Wand fuhr, seine Lebemann-Attitüden rücksichtslos zu pflegen und das Vermögen der Familie mit zahllosen Frauen zu verhuren.
Dass Bepys Söhne eigene und ganz andere Lebenswege beschritten - der Älteste, Theo, wanderte nach Israel aus und Luca, Daniels Vater, heiratete eine Katholikin aus reichem Hause - brachte den Patriarchen auf, warf ihn jedoch niemals aus der Bahn. Weil er zu beschäftigt mit sich selbst war.
Dementsprechend viele Feinde machte Bepy sich auch - vor allem unter seinen Geschlechtsgenossen, die entweder neidisch auf seinen materiellen Erfolg und Bepys großsprecherische Selbstsicherheit waren oder von ihm Hörner aufgesetzt bekamen.
Der Fluch im Schatten zu stehen
Wie eng sich das Netz um die Sonninos zieht, als der Ruhm Bepys abzublättern beginnt und die Familie pleite ist, bemerkt Daniel am eigenen Leibe: Er sieht, wie sein Vater sich vor Bankdirektoren windet, wie speichelleckerisch er dem Kompagnon Bepys verfallen ist, der sein Vermögen nicht nur retten, sondern sogar vergrößern konnte, und wie geckenhaft-eitel er den schönen Schein der Familie Sonnino zu wahren versucht. Dass Daniel bei aller Skepsis seinem Vater gegenüber von der Fama und dem guten Namen der Familie - der langsamer vergeht als das Vermögen - profitiert und einen überaus komfortablen, sorglosen Start ins Leben hatte, nimmt er als verwöhntes Kind der 1980er-Jahre kommentarlos hin. Und so selbstverständlich wie er Auslandsaufenthalte und große Parties, gute Schulen und teure Hobbies für sich reklamiert, so laut jammert er auch über all die kleinen Widrigkeiten, die ihm als überbehütetem Kind das süße Leben vergällen: Seine aus Schüchternheit unerfüllte Liebe zu Gaia, der Enkeltochter des Tuchhandel-Kompagnons von Bepy, sein mittelmäßiges Aussehen, die Enttäuschung, wenn ihn statt der Mutter sein Vater vom Bahnhof abholt. Und je länger Daniel lamentiert, desto unerträglicher wird er in seiner Larmoyanz.
Worum es eigentlich geht
Dass sich hinter Abrechnungen mit Vatergestalten meist der Wunsch verbirgt, das eigene Versagen erklärbar zu machen und zu rechtfertigen - dieses Motiv der Schuldübertragung - zieht sich durch den gesamten Roman. Und tatsächlich: Daniel sucht über die zwei Drittel des Romans, die sich mit Bepy, seinem Vater und den dauernden Pleiten und Peinlichkeiten der Familie beschäftigen, Grund und Ursache für sein Phlegma und seine Unzufriedenheit aufzuzeigen. Sein "Gefühl der bleichsüchtigen Leere" rechtfertigt Daniel mit seiner Familienzugehörigkeit zu den Großsprechern und Bucklern einer Sippe, die ihn qua Geburt zu einem Ausgestoßenen gemacht hat: Weder jüdisch noch katholisch, nirgendwo dazugehörig und deshalb immer und mit gutem Grund beleidigt.
Vor dem Hintergrund seiner Leidensgeschichte, dem ewigen Schattendasein hinter der selbst über den Tod hinaus hell erstrahlenden charismatischen Gestalt des Großvaters, möchte Daniel glauben machen, dass sowohl seine nicht besonders ruhmreiche Universitätskarriere, seine zerbrochene Beziehung und selbst seine Dickleibigkeit und sein Phlegma erklär- und damit entschuldbar seien. Und vor den monströsen Enthüllungen aus seinem Familienalbum scheint auch Daniels erotomane Obsession für Damenstrümpfe und -unterwäsche nicht mehr so schlimm. Nicht einmal sein großes Jugendtrauma, das Erwischtwerden beim Strumpf-Beschnüffeln vom Vater seiner Angebeteten und der öffentliche Rauswurf von ihrer Geburtstagsfeier scheinen Daniel angesichts der Peinlichkeiten, die sich ein Bepy Sonnino leistete, so furchtbar.
Das Jüdisch-Sein als Entschuldigung
Und wie er da im Flugzeug sitzt, am Ende des Buches, und über sein Leben und das seines Vaters und seines Großvaters nachdenkt, da findet er Frieden mit sich. Denn er richtet sich ein in seiner Existenz als Nachgeborener und Nicht-Geliebter, als Epigone und Versager. Was ihm noch bleibt, nachdem der große Bepy den Ruhm der Familie Sonnino auf Generationen gepachtet zu haben scheint, ist das Erbe des "Ein-Bisschen-Jüdisch-Seins" - und damit die perfekte Entschuldigung, etwas besonderes zu sein. Heutzutage ist es "ein Vergnügen, Jude zu sein", findet Daniel beim Bilanz-Ziehen: "Bemitleidet, versorgt, hoch gepriesen: Mit diesen drei Wörtern ist die Lebensbedingung der zeitgenössischen Juden definiert". Und genau das möchte dieser hoffnungslos in seinem Unglück verhaftete junge Mann auch sein: Bemitleidet, aber bewundert und mit einem schön bequemen Platz in der Gesellschaft - ohne dabei selbst etwas leisten zu müssen. End of story.
AVIVA-Tipp: "Mit bösen Absichten" ist ein Familienporträt, das sich als konsequente "Fort-Schreibung" der großen Familienromane sieht - mit dieser Tradition aber nicht mehr als den prätentiösen Erzählstil gemein hat: Was Piperno uns vorsetzt, ist eine lose Aneinanderreihung von Einzelepisoden, Schnappschüsse aus drei Generationen Familienleben sozusagen. Und, parallel zur erzählten Biographie der Sonninos verlaufend, eine unendliche Suada mehr oder minder hochgeistiger Ergüsse Daniels über das Jüdisch-Sein, die Problematik des Erwachsen-Werdens und die Schwierigkeiten der Identitätsfindung in unserer modernen Gesellschaft. All dies in manieriertem Metaphernreichtum und bildungsbürgerlich-beflissenem Zitieren aller großen Stücke Weltliteratur, die Piperno in die Geschichte passen wollen: Vom Kaufmann von Venedig über den Zauberberg und Die Suche nach der verlorenen Zeit bemüht er alle Romane, die Rang und klingende Namen haben - und käme doch so gut ohne das ewige Zitieren und Sich-Messen-Müssen aus. Denn Pipernos Text wäre, wenn er einfach nur er selbst sein wollte, ein unterhaltsamer, kluger Roman.
Zum Autor: Alessandro Piperno, 1972 in Rom geboren, stammt aus einer jüdisch-katholischen Familie. Er lehrt französische Literatur an der Universität Tor Vergata in Rom.
Alessandro Piperno
Mit bösen Absichten
Roman
Aus dem Italienischen von Marianne Schneider
S. Fischer Verlag, erschienen Februar 2006
Gebunden, 364 Seiten
ISBN 3-10-061904-8
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