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Beitrag vom 09.06.2006
Jahrbuch Polen 2006 - Frauen
Agnes Winklarz
Putzfrauen, Pflegekräfte, Erntehelferinnen, Prostituierte - Klischees der polnischen Frau, die zwanzig AutorInnen anhand von Essays, Gedichten und Kurzgeschichten zu beseitigen verstehen.
"Polnische Frauen, jung, attraktiv, anschmiegsam und zärtlich, suchen deutschen Mann" - eine Annonce wie sie hierzulande täglich zu finden ist.
Ohne Zweifel ist das deutsche Bild der polnischen Frau sehr einseitig:
attraktiv, familienorientiert, stets bemüht, ihre Weiblichkeit zu betonen: "sie bevorzugen Röcke, Kleider, Accessoires, anstatt Hosen, wie deutsche Frauen."
Nicht zu vergessen sie "beklauen alle ihren Arbeitgeber" und bevorzugen klassisch- elegantes Schuhwerk.
Auffassungen, die selbsternannte AnalytikerInnen in virtuellen Diskussionsforen ausschweifend breit treten.
Peter Oliver Loew, Historiker und Übersetzer, ist bei der Recherche für seinen Beitrag für das Jahrbuch Polen 2006 Zeuge einer eingeschränkten Sichtweise auf die polnische Frau geworden, die in Deutschland bedauernswert oft vertreten ist.
Die Wahrnehmung beschränkt sich hier meist auf die Sicht der polnischen Frau in Deutschland.
Doch wie verhält es sich mit ihrer Rolle und ihrer gegenwärtigen Situation in Polen?
Zwanzig AutorInnen haben auf verschieden Art und Weise ihre persönliche Auffassung der gegenwärtigen Situation der Frau in Polen erläutert.
Sei es in Form von Essays, Gedichten, Kurzgeschichten oder auch anhand wissenschaftlicher Statistiken und Studien.
Den zweifelhaften Ruf der polnischen Frau, die sich ihrem Mann bedingungslos fügt, kann Slawomira Walczewska, Verfechterin der polnischen Frauenbewegung, erklären.
Im adlig-ritterlichen Geschlechtervertrag findet die spezifisch polnische Form des Patriarchats ihrer Auffassung nach Ausdruck.
Der Mann spielt dabei die Rolle des charmanten Ehrenmannes, der sich mit einer eleganten, zarten Frau zu schmücken weiß, deren einziger Wunsch darin besteht, ihr Leben an der Seite eines solch edlen Ritters zu verbringen.
Doch fernab der affektierten Gesten und des oberflächlichen Schauspiels sind viele Frauen mit ihrer Situation unzufrieden.
Die Aufgabe des feministischen Diskurses ist daher eine Neudefinition der Geschlechterrollen.
Doch damit tut sich der polnische Staat schwer. Denn Polen ist das einzige Land, das kein Gesetz zur Unterstützung von Gleichstellungsmaßnahmen zwischen Mann und Frau besitzt.
Bereits seit Jahren finden Debatten über die "Frauenfrage" statt, die nach Auffassung Agnieszka Graffs, einer bekannten Publizistin, den Konservativen lediglich dazu dienen, ihre Treue zur "Tradition" zu bekräftigen.
Doch gerade die Weitergabe überholter Sitten und Gebräuche ist das größte Hindernis der feministischen Bewegung.
Denn der Widerstand gegen die Idee der Gleichberechtigung ist Agnieszka Graff zufolge nicht nachvollziehbar, ohne den immensen Einfluss der katholischen Kirche zu berücksichtigen.
Zentrales Problem ist seit 1993 das Thema Abtreibung, mit der meist die "mörderischen" Bestrebungen feministischer Organisationen assoziiert werden.
Geschätzt wird die Anzahl der stattfindenden Schwangerschaftsabbrüche jährlich auf 70.000 - 200.000, bei denen heute noch Frauen sterben.
Kinga Dunin, beobachtet in ihrer Funktion als Soziologin die momentane Situation mit Sorge. Sie fühlt sich nicht "zur richtigen Seite" gehörend. Ich war nur "die Rolle "Anderen" zugefallen, der Feministin, der Verrückten, der Mörderin ungeborener Kinder, einer Volksfeindin."
Jahrbuch Polen 17 / 2006. Schwerpunkt Frauen
Jahrbuch des Deutschen Polen - Instituts Darmstadt.
Zahlreiche Abbildungen.
Herausgegeben von Andrzej Kaluza, Jutta Wierczimok.
Harrassowitz Verlag, erschienen April 2006
Kartoniert - 205 Seiten
ISBN: 3447053178
EAN: 9783447053174
Libri: 2546558"