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Beitrag vom 27.02.2006
Semit Times – Das Jüdische Magazin
Sarah Ross
Es seien die "besten" Artikel aus dem kühnen Magazin in dem Buch zusammengefasst, die nicht nur eine offensive, sondern auch zum Teil einseitige Kritik am Nahostkonflikt und anderen Themen üben.
Das Buch zu dem, zwischen 1988 und 2004 erschienen, jüdischen Magazin Semit, umfasst insgesamt 63 Artikel, die sich mit dem Nahostkonflikt und der Besatzungspolitik Israels, mit dem Antisemitismus, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und anderen jüdischen bzw. judaistischen Themen auseinandersetzen. Die Idee des (Mit-)Herausgebers Abraham Melzer war es, mit Semit ein jüdisches Organ ins Leben zu rufen, das eben nicht defensiv und vorsichtig, sondern offensiv mit diesen Reizthemen umgeht. Ein Magazin, das Bewegung in die starren und monotonen Strukturen der jüdischen Bevölkerung in Deutschland bringen, sowie einen Beitrag zu einer friedlichen Lösung im Nahostkonflikt leisten sollte.
Doch hat diese gut gemeinte Absicht nicht überall AnhängerInnen gefunden:
So unterschiedlich die einzelnen Artikel sind – sie reichen von objektiven bis zu fanatischen, unsachlichen und zweckgefärbten Beschreibungen der einzelnen Thematiken – so gespalten und extrem waren auch die Reaktionen der vorwiegend jüdischen LeserInnen. So schrieb beispielsweise der Spiegel im Jahr 1991, dass dieses forsche Blatt in den jüdischen Gemeinden der Bundesrepublik für Aufregung sorgte und die Leserschaft polarisierte.
Auf den ersten Blick ist bereits ein erster Mangel an dem vorliegenden Buch auszumachen: Die Herausgeber von Semit Times waren zwar darauf bedacht, eine relativ große Bandbreite an Artikeln, die einst in der Zeitschrift Semit erschienen sind, hier zusammenzufassen, doch haben sie es versäumt, die Beiträge entweder nach Erscheinungsjahr oder nach Themen zu ordnen. Dieses Versäumnis hat das Fehlen jeglicher Struktur – bzw. eines roten Fadens – zur Folge. Generell ist es für den Leser und die Leserin schwierig, die zum Teil über 20 Jahre alten Beiträge in einen historischen/zeitgeschichtlichen Kontext zu setzen, da das Verfassungsdatum fehlt. Zudem fehlen in nahezu allen Artikeln die Quellenangaben, die die oft wirren Argumentationsstränge der AutorInnen nachvollziehbar machen.
Ein zweiter Nachteil zeigt sich dann auch schon im Vorwort und im Editorial von Abraham Melzer, dem hier leider auch der Großteil der negativen Kritik gilt. In diesem wird von Beginn an deutlich, dass seine Aufmerksamkeit, bzw. sein Interesse, ausschließlich dem Nahostkonflikt zu gelten scheint. Mit keinem Wort werden Anmerkungen zu den Co-AutorInnen und deren vielgestaltigen Berichten gemacht, die sich beispielsweise mit der jüdischen/israelischen Literatur, der Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus, den neuen Formen des Antisemitismus oder mit der deutschen und französischen Vergangenheitsbewältigung beschäftigen. Generell ist die Rezensentin der Ansicht, dass einige der eher wenigen gelungenen Artikel (wie Thomas Reicherts Beitrag Irrsal und Wirrsal über das Werk von Martin Buber, oder Isabella Campbell-Wessigs Artikel über Edith Stein) völlig im Schatten der blindwütigen und einseitigen Beiträge, vor allem über den Staat Israel und den Konflikt zwischen Israel und Palästina, versinken. Zu den gelungenen Beiträgen zählt die Rezensentin beispielsweise auch den Text von Gunnar Heinsohn, Was ist Antizionismus? (S.119-128), über die Doppelzüngigkeit des Antzionismus, Dietrich Schwanitz’ Artikel Surrealpolitik oder die deutsche Reaktion auf den Golfkrieg im Spiegel der deutschen und internationalen Presse (S.358-369), oder etwa der Beitrag von Nasser Aruri, Die Zukunft Israels aus der Sicht des Palästinensers (S.431-437), in dem er treffend und objektiv die Lage Israels um die Jahrhundertwende beschreibt.
Zwar ist die lobende Intention des Buches, bzw. des Magazins, die, sich auch als Jude kritisch zum Nahostkonflikt, der israelischen Politik im Allgemeinen und besonders zur Besatzungspolitik Israels äußern zu können, doch scheinen die von den Herausgebern Abraham Melzer und Oskar Le Winter ausgewählten Beiträge lediglich ihre persönliche Meinung zu dieser Thematik widerzuspiegeln. Kritik kann positiv und negativ sein –hier herrscht die negative Sicht auf Israel eindeutig vor. Damit ein ausgewogenes Verhältnis hätte erlangt werden können, hätten die Herausgeber das, von Melzer in seinem Artikel Ceterum Censeo zitierte Beispiel aus dem Talmud, in dem das Teilen gelehrt wird, auch für sich selbst geltend machen sollen – nämlich das Teilen des Rechts auf Meinungsäußerung.
Besonders Melzer wittert in seinen Texten immer wieder gegen den Zionismus und die israelische Politik, gibt ihr alleine die Schuld an den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Palästinensern und den Israelis.
Er bezeichnet Israel als Mafiaorganisation (S. 36), schimpft Alt-Bundespräsidenten Johannes Rau als Autisten (S. 38) und verstrickt sich überdies in Widersprüche: Einerseits behauptet er, seit 45 Jahren keinen neuen oder althergebrachten Formen des Antisemitismus in Deutschland verstärkt begegnet zu sein (S. 36/37), und dass die Kritik an Israel/Antizionismus nicht mit Antisemitismus gleichzusetzen sei, andererseits erklärt er jedoch in einem anderen Text, dass der Antisemitismus in Deutschland immer dann sichtbar würde, wenn Israel seine Interessen gegen die Deutschen anmeldet (Stichwort: Wiedergutmachung etc.), und sich eine Art Philosemitismus bemerkbar machte, wenn Israel für die Deutschen agierte (S. 254). Im Großen und Ganzen bekommt man besonders in seinen Beiträgen den Eindruck, dass historische Daten nach persönlichem Gusto in den Texten verarbeitet, und sogar geschichtlich relevante Fakten bewusst verschwiegen werden (zum Beispiel in Der Nahost-Konflikt).
Ein ebenso außerordentliches Negativbeispiel für dieses Buch ist der Artikel von Jonas Robbin, Sind Sie Antisemit? – Ich? Ich lese Kishon, in dem der Autor den deutschen LeserInnen vorwirft, die Werke von Ephraim Kishon nur deshalb zu lesen, weil sie ihnen ermöglichen, ihrem Antisemitismus eine schiefe philosemitische Maske überzustülpen. Auch hier gibt es natürlich keine einzige Quellenangabe, zum Beispiel eine statistisch verwertbare Umfrage, auf der diese Behauptung eine Legitimation finden würde.
AVIVA-Fazit: Semit Times – Das jüdische Magazin hält bei Weitem nicht das, was es verspricht. Die angestrebte kritische Auseinandersetzung mit der Politik Israels, dem Nahostkonflikt oder mit dem Antisemitismus mündet in größtenteils einseitigen, subjektiven, dogmatischen, fanatischen und daher fruchtlosen Diskussionsbeiträgen, hinter denen die gelungenen Artikel zu überwiegend anderen jüdischen Themen völlig zurücktreten.
Semit Times
Das jüdische Magazin
Oswald Le Winter, Abraham Melzer (Hg.)
Abraham Melzer Verlag, März 2005
ISBN 3-937389-34-2
528 Seiten, Paperback
19,95 Euro90008115&artiId=2775592&nav=5081"