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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 11.06.2003


Emma McLaughlin und Nicola Kraus. Die Tagebücher einer Nanny
Gaby Miericke-Rubbert

Eine Satire über Upper-Class-Park-Avenue-Familien und das Überleben von verwöhnten kleinen Kindern und ihren Nannies zwischen Wellness, Yves Saint Laurent und zweisprachigen Mahlzeiten




Die beiden amerikanischen Autorinnen Emma McLaughlin und Nicola Kraus plaudern in ihrer modernen Mary- Poppins-Variante aus dem Nähkästchen ihrer jahrelangen Erfahrungen als Kindermädchen der New Yorker High Society. Schonungslos, aber mit Witz und Heiterkeit schildern sie die Welt der schnöseligen Wohlstandsfamilien, nichts wird beschönigt, jedes Klischee als maßlose Untertreibung enttarnt und bis kurz vor der Ekelschwelle karikiert.

Die Hauptakteure: Der Herr des Hauses, nein, besser des Büros, Mr. X, der ausschließlich Zeit für Business und seine Sekretärin hat. Mrs. X, zwischen Hysterie und Sadismus angesiedelt, hat ein exzessives Verhältnis mit sämtlichen sündhaft exklusiven Designermarken. Und Sohnemann Grayer ist mit seinen 4 Jahren schon gut gedrillt, nicht in die lückenlose und kinderfreie Terminplanung seiner Eltern hineinzuplatzen und wenn, dann nur in Notfällen - und da eigentlich auch bitte nicht. Und um ihn davor zu bewahren, zwischen all den Gucci-, Chanel- und Hermès- Artikeln im Schrank seiner Mutter cellophanverpackt und gut beschriftet sein Leben zu fristen, gibt es ein Kommen und Gehen von Kindermädchen, die sich rund um die Uhr um die Versorgung und Erziehung des Jungen kümmern sollen.

Und nun hetzt das neue Kindermädchen, das unglücklicherweise von Geburt an mit dem Namen "Nanny" geschlagen ist und somit zu dieser Berufung auserkoren zu sein scheint, mit Taxis und Grayer quer durch New York, um die sekundengenaue, von Mrs. X entworfene Zeit- und Lebensplanung für ihren Sohn und damit auch für dessen Betreuerin einzuhalten. Da steht ein ganzes Heer von weiteren Helfershelfern für Erziehung, Bildung und körperlicher Ertüchtigung auf dem Plan, als da sind: Physio- und Entwicklungstherapeuten, ayurvedische Heilpraktiker, Karate- und Fremdsprachenlehrer. Alle in dem Bestreben, Grayers "Aktivposten zu mobilisieren und sein Leistungsvermögen zu steigern".

Um auch das letzte Quentchen von Freizeit auszunutzen, sollen sich Grayer und Nanny im Guggenheim Museum, im schwedischen Konsulat oder im französischen Feinschmecker-Institut amüsieren, als Lektüre für Vierjährige empfiehlt die Lerntherapeutin das Wall Street Journal und zur effektiven Nutzung der Essenszeiten zweisprachige Mahlzeiten.

Neben all den Dinnerparties, Trüffel-, Hummer- und Floristenterminen managt Nanny sogar noch ihr Pädagogik-Studium, eine neue Liebe und ihre sympathisch, erfrischend geerdete Herkunftsfamilie. "An Tagen, wo die Welt ihr die Zunge rauszustrecken scheint", findet sie bei ihrer vitalen und lebensweisen Großmutter stets Trost und Rat, wie z. B. dem Jungen (gemeint ist Grayer), nicht mehr Bedeutung als einem sprechenden Toaster beizumessen.

Da ist die Gefühlsfalle allerdings schon längst zugeschnappt und so sehr sie die Rücksichtslosigkeit und Degeneriertheit dieser schnöseligen Upper Class Society auch verachtet, dem kleinen Grayer zuliebe lässt sich Nanny wie eine rechtlose Sklavin herumkommandieren und unterwirft sich widerspruchslos der teils schikanösen, teils sadistischen Behandlung ihrer Arbeitgeberin.

Als Leserinnen dieser heiteren Satire hoffen wir bis zum Schluß inständig darauf, dass der Arroganz und Dekadenz irgendwann ein Ende gesetzt wird und man ist kurz davor, wieder klassenkämpferische Gedanken zu reaktivieren. Nanny ist eine wunderbare Identifikationsfigur und wir würden sie gern zu einer Schadenersatzklage wegen Demütigung, Ausbeutung und schreiender Ungerechtigkeit ermuntern.

Sehr zu empfehlen als lockere Gute-Laune-Lektüre auf der sommerlichen Strandmatte zum Ärgern, Schmunzeln und Lachen.




Emma McLaughlin & Nicola Kraus
Die Tagebücher einer Nanny

Roman
Wilhelm Goldmann Verlag, Februar 2003
ISBN: 3-442-54553-6
345 Seiten
€ 21,90200540949775"


Literatur

Beitrag vom 11.06.2003

AVIVA-Redaktion