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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 05.04.2003


In den Fängen von Schneewittchen
Hilde Meier

"Im Herzen des Tataros". Das neue Buch der bekannten spanischen Autorin Rosa Montero spielt im Drogenmilieu, dem die Protagonistin Zarza entkommt - nachdem sie sich ihrer Vergangenheit stellt




Das Unheil meldet sich nicht an, sondern kann jederzeit über einen hereinbrechen, meint die bekannte spanische Autorin Rosa Montero.
Der Lektorin Zarza passierte genau das eines Morgens. Der Anruf ihres Zwillingsbruders Nico zerstört ihre Ruhe. Nico saß für lange Zeit im Gefängnis, woran Zarza Schuld war. Sie hatte ihn an die Polizei verraten.

Dafür will Nico sich nun an ihr rächen. Diese Information läßt er seiner Schwester Zarza über ihren geistig behinderten Bruder Miguel zukommen. Sie kümmert sich aufopfernd um Miguel, besucht ihn täglich im Pflegeheim, im Gegensatz zur ihrer Schwester, die sich von ihren Geschwistern abschirmt.

Die Familienverhältnisse sind krass. Beide Mädchen erleben sexuelle Gewalt durch den despotischen Vater, der später spurlos verschwindet. Die Mutter liegt schwer depressiv darnieder und kümmert sich bis zu ihrem Tod nicht mehr um die Kinder. Der jüngste Sohn Miguel ist geistig behindert.

Das Leben kann eine wahre Hölle sein, doch man kann ihr entkommen, vermittelt die 51-jährige Autorin. Zarza und ihr Zwilling Nico verfallen dem Heroin, das Rosa Montero prosaisch "Schneewittchen", oder "die Königin", nennt. Das Geschwisterpaar durchläuft den ganzen Weg der Verelendung Drogensüchtiger bis hin zur Prostitution.

Ein gutmütiger, einfältiger Schreiner fischt Zarza aus der Gosse, nimmt sie mit nach Hause und peppelt sie auf. Sie werden ein Paar und nehmen Miguel zu sich. Mit dem Happy End könnte diese Geschichte zu Ende sein. Ist sie aber nicht.

Zarza wird rückfällig und zieht dem Schreiner erst viel Geld aus der Tasche und dann noch eins über die Rübe. Ein Banküberfall zur Geldbeschaffung mißlückt dem Geschwisterpaar. Zarza stellt sich der Polizei, wird verurteilt und verrät ihren Bruder. Im Knast wird sie clean und bleibt es auch. Sie findet Arbeit in einem Verlag, mietet ein Appartement und lebt, zwar ohne Freude und Gefühle. Doch sie lebt. Bis der böse Bruder auf den Plan tritt.

Nach langer Verfolgung durch Nico landet Zarza wieder bei dem Schreiner. Er verzeiht ihr und die unglaubliche Liebesgeschichte beginnt erneut. Relativ mager kommen die Schilderungen des Drogenmilieus daher, "Im Herzen des Tartaros" wird jedoch super spannend, wenn die Autorin ihrer wahren Leidenschaft nachgeht, und als Lektorin Zarza Geschichten aus dem Mittelalter, wie zum Beispiel des "Rosenritters" erzählt und andere Überlieferungen aus der mittelalterlichen Literaturgeschichte.
So wird die düstere, durchgehend unerfreuliche Geschichte stimmig, unterhaltsam und dadurch lesenswert.



Rosa Montero
Im Herzen des Tataros

Deutscher Taschenbuchverlag, München, Januar 2003
Dtv premium 273 Seiten
15 €200919532775"


Literatur

Beitrag vom 05.04.2003

AVIVA-Redaktion