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Beitrag vom 18.09.2006
Irène Némirovsky
Karin Effing
Sie war mit ihrem nach 60 Jahren veröffentlichten Roman "Suite francaise" die Sensation des literarischen Herbstes 2004 in Frankreich. Auch "Jesabel" und "Der Ball" beeindrucken.
IHR ZUSCHAUENDEN
Unter deren Blicken getötet wurde.
Wie man auch einen Blick im Rücken fühlt,
So fühlt ihr an euerm Leibe
Die Blicke der Toten. [...]
Manch einer hätte Sterne herunterholen können,
Nun muß es der alte Brunnen für ihn tun!
Nelly Sachs
Irène Némirovsky gehörte sicherlich zu denen, die die leuchtenden Himmelskörper vom Firmament hätten holen können. Einzelne Strahlen hat sie schon in den Händen gehalten bevor sie 1942 in Auschwitz umgebracht wurde. Einer davon ist der sechzig Jahre lang in einem Koffer verborgene Roman
Suite francaise, ein Sittengemälde aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Nur einem Zufall ist die späte Veröffentlichung des an
Krieg und Frieden erinnernden Werkes zu verdanken, das die fast vergessene Autorin mit einem Schlag ins Zentrum des literarischen Interesses rückte.
Suite francaise schildert das Schicksal einer Hand voll Flüchtlinge im Sommer 1940, als die deutsche Armee vor Paris steht. Die Menschen verlassen die Stadt, lassen Hab und Gut, ihr gesamtes bisheriges Leben, hinter sich und begeben sich in eine ungewisse Zukunft. Auf der Flucht müssen sie feststellen, dass sich nicht nur ihre Mitmenschen unter den miserablen Lebensumständen verändern, sondern auch sie selbst. Bisherige Gewissheiten verlieren ihre Bedeutung.
Der Roman war in Anlehnung an eine musikalische Suite als Abfolge von fünf Teilen angelegt. Irène Némirovsky konnte jedoch nur die beiden ersten Teile beenden bevor sie deportiert wurde.
Das schwierige Verhältnis der Autorin zu ihrer Mutter spiegelt sich in der Novelle
Der Ball und dem Roman
Jesabel. Ersterer schildert die Rache eines jungen Mädchens an ihrer Mutter.
Jesabel konzentriert sich auf die boshaften und hartherzigen Machenschaften einer alternden Frau, deren Gedanken nur um eines kreisen - ihre Schönheit und Jugend. Für diese ist sie bereit, ihre Tochter zu opfern.
Zur Autorin:
Irène Némirovsky wurde 1903 als Tochter eines der reichsten Bankiers Russlands in Kiew geboren. Vor der Oktoberrevolution flieht die Familie nach Frankreich, wo Irène Némirovsky ihren ersten Roman veröffentlicht und zum Star der Pariser Literaturszene avanciert. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, flieht sie mit ihrem Mann und den zwei Töchtern von Paris in die Provinz. Sie wird dennoch deportiert und kommt am 17. August 1942 in Auschwitz zu Tode. Ihre Töchter überleben, fliehen von einem Versteck ins andere, immer das dicke Manuskript von
Suite francaise im Koffer, an dem ihre Mutter fieberhaft bis zuletzt arbeitete. Erst über sechzig Jahre nach dem Tod der Autorin wurde es wiederentdeckt und veröffentlicht.
(Verlagsinformation)
AVIVA-Tipp: Irène Némirovskys Bücher zu lesen ist eine wahre Freude. Wer sich einmal in den klaren und genauen Ton der Autorin eingelesen hat, wird sofort zum nächsten Werk greifen wollen.
Suite francaise ist eine der wenigen literarischen Verarbeitungen des Zweiten Weltkrieges direkt aus dem Geschehen heraus.
Der Ball schildert die Sicht eines jungen Mädchens,
Jesabel die Sicht einer "bösen" Mutter.
Irène Némirovsky
Suite francaise
Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer
Knaus Albrecht, September 2005
Gebunden, 544 Seiten
ISBN: 3813502600
22,90 Euro90008115&artiId=3554975&nav=5081"