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Beitrag vom 08.02.2006
Scham - Karin Alvtegen
Tatjana Zilg
Drei Unfälle, ein Mordfall. Verlust und Schmerz. Vier Frauen verlieren die ihnen wichtigsten Menschen. Für drei bedeutet dies auch Schuld und Scham, Flucht in ein inneres Gefängnis. Psychothriller
Monika Lundvall scheint ein Leben zu führen, wie es sich viele Frauen wünschen würden. Zwar hat sie keinen Partner, aber sie ist sehr erfolgreich in ihrem Beruf als Ärztin an einem Krankenhaus und bewohnt eine Eigentumswohnung in einer der begehrtesten Gegenden der Kleinstadt. Mit 38 Jahren begegnet sie Thomas, der Gefühle in ihr zum Schwingen bringen kann, die sie tief in sich verborgen hatte, denn sie glaubt kein Recht darauf zu haben, glücklich zu sein.
Sie trägt seit ihrem siebzehnten Lebensjahr ein Geheimnis mit sich herum, das sie bisher niemanden anvertrauen konnte. Ihr Bruder starb bei einem Feuer, das nach einer Party im Haus einer Freundin ausbrach. Monika überlebte.
Ihre Mutter, seitdem in tiefer Trauer um ihren Sohn, ist für die Tochter kaum noch emotional vorhanden. Sie gehen zwar regelmäßig auf dem Friedhof, aber sprechen nie über ihre wahren Gedanken zu dem Unfall.
Innerlich wird Monika gequält von einem Strudel aus Schuldgefühlen.
Als das Haus brannte, hat sie an nichts anderes gedacht, nur daran, wie sie schnellstmöglichst aus der Todesfalle herauskommt. Sie wirft sich vor, den Bruder nicht geweckt zu haben. Allein gelassen mit dem seelischen Konflikt versuchte sie, eine Zuflucht im Studium und später in der Arbeit zu finden. Jedes gerettete Menschenleben hilft ihr kurzzeitig, sich weniger schuldig zu fühlen, doch nach der Arbeit kehren die dunklen Gedanken zurück.
Als sie Thomas trifft und sich innerhalb kürzester Zeit eine intensive Liebesbeziehung voller Nähe entwickelt, erlaubt sie sich zum ersten Mal, die Chance auf eine glückliche Partnerschaft zu ergreifen.
Dann geschieht ein weiterer Unfall. Auf der Rückfahrt von einem Seminar verunglückt der Wagen einer Teilnehmerin, der Beifahrer stirbt. Durch eine ungünstige Verquickung der Umstände fühlt sich Monika erneut schuldig. Und diesmal wird es ihr nicht gelingen, den Gefühlsstrudel gesellschaftlich adäquat zu kompensieren. Um der Witwe Pernilla beizustehen, riskiert sie ihre berufliche Existenz und verlässt Thomas.
In derselben Kleinstadt lebt Maj-Britt, die seit 32 Jahren ihre Wohnung nicht verlassen hat. Sie ist extrem fettleibig und vertreibt mit ihrer sarkastischen Gemeinheit einen Hauspflegedienst-Angestellten nach dem anderen. Auch in ihrer Vergangenheit liegen dunkle Geheimnisse verborgen, die sie aber zutiefst verdrängt hat. Im Gegensatz zu Monika hat sie die Ereignisse, die zur Ablehnung des eigenen Körpers geführt haben, aus ihrer Gedankenwelt verbannt. Ein Brief von ihrer ehemaligen Jugendfreundin Vanja, die wegen Mordes zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, verändert dies. Erst versucht sie mit den bewährten Verhaltensmustern, die Existenz der gemeinsamen Vergangenheit zu verdrängen. Aber sie kann sich nicht gegen die Flut der Erinnerung wehren. Ellinor, eine junge Pflegediensthelferin, lässt sich nicht vertreiben und wird Maj-Britt die notwendige Unterstützung geben, um den Schritt aus dem Labyrinth der Schamgefühle hinaus zu wagen.
Die Begegnung der vier Frauen untereinander ist zunächst von Unverständnis geprägt. Zunächst werden sie nicht viel voneinander erfahren und dennoch brechen sie gegenseitig die eingefahrenen Verhaltensmustern auf.
Der Roman ist äußerst vielschichtig angelegt, was der Autorin meisterhaft gelingt. Die einzelnen Handlungsstränge werden in sehr eindringlicher und dichter Weise geschildert. Obwohl die traumatischen Erlebnisse alles andere als einfach strukturiert sind, gelingt ein tiefbewegender Einblick in die Komplexität der gesellschaftlich tabuisierten Gefühle der Schuld und Scham. Das Umfeld der Frauen ist zum größten Teil eher desinteressiert an den Motiven ihrer außergewöhnlichen Lebensmuster. Es wird sehr deutlich, dass Thomas und Ellinor Ausnahmen sind, die erkannt haben, welche Dramen im Schicksal von Monika und Maj-Britt verborgen sind und wie wichtig es ist, ihnen Halt und Unterstützung zu bieten, auch wenn beide Frauen sich lange Zeit nicht überwinden können, die Hilfe anzunehmen.
AVIVA-Tipp: Die Ereignisse der Vergangenheit, die nur so schwer ausgesprochen werden können, sorgen für eine mysteriös-rätselhafte Atmosphäre, die den Roman auf hohem Thriller-Level hält. Sehr lesenswert. Es erfolgt keine Verurteilung, aber auch keine sentimentale Freisprechung. Aber Vorsicht, wenn das Buch als Bettlektüre gelesen wird, kann eine schlaflose Nacht die Folge sein: Zum einen sind die Konflikte so vielschichtig, dass es schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen, ohne die nächsten Puzzlesteine geliefert zu bekommen. Zum anderen könnten die Schicksale zu Alpträumen führen, denn was die Leserin über die Frauen erfahren wird, geht tief unter die Haut und wurde selten in so genialer Weise zu einem Roman verarbeitet.
Zur Autorin:
Karin Alvtegen wurde 1965 geboren. Sie ist die Großnichte von Astrid Lindgren und lebt mit ihrer Familie in Stockholm. Sie schrieb bereits drei Romane ("Schuld", "Die Flüchtige", "Der Seitensprung"), die sie in die Spitzenriege schwedischer KriminalautorInnen aufsteigen ließen.
Karin Alvtegen im Netz: www.karinalvtegen.com
AVIVA-Berlin verlost 3x "Scham" aus dem Wunderlich Verlag. Bitte nennen Sie uns einen weiteren Buchtitel der Autorin Karin Alvtegen und senden Sie bis zum 20.04.2006 eine eMail an folgende Adresse: gewinnspiel@aviva-berlin.de
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Scham
Karin Alvtegen
Originaltitel: Skam
Ãœbersetzt von Dagmar Lendt
Wunderlich Verlag, erschienen Januar 2006
ISBN: 380520809X
Gebunden, 350 Seiten
19,90 Euro90008115&artiId=3563831"