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Beitrag vom 03.02.2006
Elfriede Jelinek - ein Porträt
Rukshana Adrus-Wenner
Ein gelungener Lesegenuß über die Literatur-Nobelpreisträgerin. Das AutorInnenpaar Mayer / Koberg beleuchtet die Prosa-Provokatorin, die keine politische Polemik scheut
Sie ist bis heute die große Unbekannte, trotz ihres immensen literarischen Werks. Ebenso ist Elfriede Jelineks Leben vielfältig und faszinierend. Eine Biografie über die Schriftstellerin und Dramatikerin gab es bislang nicht. Jetzt haben sich die Journalistin Verena Mayer und der Dramatiker Roland Koberg mit einem Porträt dieser Aufgabe angenommen, ausgehend von persönlichen Begegnungen mit der Literatur-Nobelpreisträgerin sowie durch Gespräche mit Bekannten und unveröffentlichte Materialien.
Auf ihrem Werdegang des musikalischen Wunderkindes zur scharfzüngigen Sprachvirtuosin lernen wir eine Frau kennen, die ein Leben voller Widersprüche und Gegensätze hatte und bis heute führt. Zwischen der problematischen Familienkonstellation und eigener psychischer Erkrankung, hin- und hergerissen zwischen Klein- und Grossbürgertum. Einerseits der stille, geliebte Vater, der als Halbjude die Kriegswirren überlebt hat und später an Alzheimer erkrankte.
Andererseits die dominante und ehrgeizige Mutter, mit der die Tochter eine neurotisch-symbiotische Beziehung verband, bis die hochbetagte Mutter starb.
In ihrem autobiographischen Roman "Die Klavierspielerin", die als Film mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle zur Welterfolg wurde, hat Elfriede Jelinek dies verarbeitet. Schreiben ist neben Musik die künstlerische Doppelbegabung, die sie im Laufe der Jahre zur Perfektion verfeinert hat. Trotzdem hat ihr eigenes biografisches Schreiben nichts Therapeutisches. Vielmehr hat sie mit Sprache den Ton gefunden, mit dem sie ihr Inneres hörbar ausdrückt.
Sehr früh hatte sie Kontakt zur Kulturszene und eine Freundeskreis aus KünstlerInnen, MusikerInnen, SchriftstellerInnen. Ihr Bedürfnis nach Gesellschaft, die sie zu hause nicht fand. Die Aufenthalte in Berlin und Rom zählen zu den glücklichsten Zeiten.
Auch politisch war sie engagiert - als jahrelanges Mitglied der KPÖ. In den 90er Jahren war sie eine der prominentesten Intellektuellen, die der polemischen Verfolgung durch den rechtsgerichteten Jörg Haider ausgesetzt waren. Sie hat sich vehement für die künstlerische Autonomie eingesetzt und gegen die politische Vereinnahmung protestiert.
Sowohl in ihrem Leben als auch in ihrem Werk ist sie immer unkonventionelle Wege gegangen. So ist sie seit über 30 Jahren mit einem Münchener Musiker und Informatiker verheiratet, und führt noch heute eine Fernbeziehung zwischen zwei Städten.
Elfriede Jelinek hat Alice Schwarzer später erzählt, sie hätte aus "Kuriosität geheiratet, um bewusst ein anderes Modell der Ehe auszuprobieren". Auch haben die Arbeiten der Sprachavantgardistin haben immer wieder Skandale provoziert.
Andererseits hat Elfriede Jelinek schon fast alle Literaturpreise während ihres 40jährigen Schaffens erhalten, darunter so renommierte wie den "Georg Büchner Preis" (1998), den "Heinrich-Heine-Preis" (2002). Sie hat mehrere Romane, Theaterstücke, Gedichte, Drehbücher, Hörspiele, Libretti, Übersetzungen, journalistische Texte sowie zahlreiche Essays vorgelegt.
Für die Bandbreite ihrer Themen, die von der schwierigen Geschlechterbeziehungen, Familie, Politik Heimat und Sport reichen, wurde sie 2004 zum Nobelpreisträgerin gekürt. Da sie an Flugangst leidet, ist sie für das Preisempfang nicht persönlich erschienen, sondern, hat ihre Dankesrede - "Nobel Lecture" - als Video geschickt.
AVIVA-Tipp: Dieses Porträt-Buch zieht eine zwar subjektive aber einen gelungenen Bogen von der Ballettschülerin bis zum berühmten Sprachartistin. Ergänzend zum Text sind die diversen schwarzweiß Fotos lobenswert. Wir erleben Jelinek in mehreren Posen - von der Volkschülerin mit Zöpfen bis zum modischen Girlielook, von der femme fatale in Leder mit Zigarillo bis zur extravagant geschminkten, streng schauenden Dramatikerin.
Die umstrittene Schriftstellerin feiert in Oktober 2006 ihren 60. Geburtstag.
Wir dürfen gespannt sein, welche aufregenden Werke in der Schublade bzw. auf der Festplatte schlummern.
Mehr zu Elfriede Jelinek auf:
www.elfriedejelinek.com
Zu den AutorInnen
Verena Mayer, geboren 1972 in Wien. Arbeitet als Journalistin und Literaturkritikerin u.a. für FAZ, Frankfurter Rundschau und Tagesspiegel. Sie lebt in Berlin und Wien.
Roland Koberg, geboren 1967 in Linz, Kulturredakteur, Autor. Seit 2001 ist er Dramaturg am Deutschen Theater Berlin.
Die AutorInnen lesen am 4. Februar 2006 um 21 Uhr in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, Schumannstr. 13a, Berlin
Verena Mayer / Roland Koberg
Elfriede Jelinek - Ein Porträt
Rowohlt Verlag, Hamburg, erschienen Januar 2006
302 Seiten, geb.,mit s. - w. Fotos
ISBN 3-498-03529-0
19,90 Euro90008115&artiId=3564645"