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Beitrag vom 01.09.2005
Schlaf mit mir - Joanna Briscoe
Christiane Müller
Richard und Lelia sind ein glückliches Londoner Paar, bis ihnen die geheimnisvolle Sylvie begegnet. Sie dringt allmählich in ihr Leben ein und erweist sich als erotische und gefährliche Verführerin.
Der attraktive Richard lernt die eher unscheinbare Sylvie flüchtig auf einer Weihnachtsfeier kennen und denkt: "Ich nahm das Gespenst kaum war. Sie war irgendein Gesicht in einer Gruppe von zehn Personen. Ich tat sie als langweilig ab, ohne mir auch nur eine bewusste Meinung zu bilden. (...) Man hüte sich vor grauen Mäusen." Nur wenige Wochen später dreht Richard vor Sehnsucht nach Sylvie fast durch, fleht sie an, mit ihm zu schlafen und gefährdet seine bis dahin glückliche Beziehung zu Lelia.
Wie es zu dieser pikanten Sinneswandlung eines glücklich liierten Mannes kommt, beschreibt Joanna Briscoe mal subtil, mal deftig aus dessen Sicht in der Ich-Perspektive. Diese wechselt sich spannend und virtuos ab mit der Sichtweise seiner Partnerin Lelia, einer schönen Halbinderin, die in der Nacht, als er die geheimnisvolle Sylvie zum ersten Mal sieht, von ihm schwanger wird.
Darin liegt die Stärke dieses aufregenden Romans: Wie Joanna Briscoe sich als Frau abwechselnd in die gequälte Psyche eines sexuell hörigen Mannes versetzt, der gleichzeitig vor Scham erstickt und dann wieder die Gedankenwelt einer Schwangeren beschreibt, die sich im Stich gelassen fühlt - großartig.
Briscoe scheut, um die zwanghafte Besessenheit Richards zu beschreiben, auch vor Sex-Szenen und unmissverständlichen Worten nicht zurück. Doch es wirkt hier keineswegs pornografisch, sondern authentisch. Wenn jemand vor Leidenschaft nicht mehr klar denken kann, wird eben auch die Wortwahl plakativer.
Interessant gezeichnet ist vor allem der Charakter der intriganten Sylvie, die - wie sich später herausstellt - nicht nur in Richard ein williges Opfer findet. Was zunächst als ganz und gar harmlose Person daherkommt, entpuppt sich allmählich als femme fatale, unter deren Hülle sich wiederum eine verstörend kranke Persönlichkeit verbirgt. Das ahnt der Leser/die Leserin zwar schon zu Beginn, die Story ist trotzdem so spannend wie ein Psychothriller.
Auch die schwangere Lelia gerät in den Bann der bisexuellen Verführerin, und es entsteht eine unheilvolle "menage á trois", wobei weder Richard noch Lelia wissen, dass sie dieselbe Geliebte haben. Dies ist ein wenig dick aufgetragen, die Hörigkeit Richards hätte für die Geschichte ausgereicht. Sie wird dadurch nicht erotischer, sondern eher unglaubwürdiger.
Ein wirklich guter Roman hat immer eine starke Prämisse, eine zentrale Idee, die die Geschichte vorantreibt. So hat sich Flaubert in "Madame Bovary" den Leitgedanken "Verbotene Liebe führt zum Tod" ausgewählt. Joanna Briscoes Leitidee kann nur eine gewesen sein: "Stille Wasser sind tief!".
AVIVA-Tipp: Ein Muss für Fans erotischer Literatur. Wer schon immer mal wissen wollte, warum Menschen fremdgehen, die "eigentlich" in einer glücklichen Beziehung leben, bekommt in diesem Psychoroman eine mögliche plausible Antwort.
Zur Autorin: Die britische Star-Journalistin Joanna Briscoe arbeitet vor allem für die Times und den Guardian. "Schlaf mit mir" ist ihr dritter Roman.
Schlaf mit mir
Joanna Briscoe
Bloomsbury Verlag Berlin, erschienen Februar 2005
19,90 Euro
ISBN: 3-8270-0591-4
373 Seiten200748117975"