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Beitrag vom 09.03.2005
Ararat - Eine waghalsige Reise durch Kurdistan
Christiane Sanaa
Bettina Selby fährt mit dem Fahrrad zum Zentrum der Welt, dem Berg Ararat, wo einst Noah mit seiner Arche vor Anker ging. Ein packender Reisebericht von einer mutigen und besonnenen Frau.
Bettina Selby reist 1993 von Istanbul aus an der Schwarzmeerküste entlang durch das pontische Gebirge zum Berg Ararat und durch die ostanatolischen Kurdengebiete.
Sie reist alleine durch eine von Männern dominierte Gesellschaft und das auch noch mit dem Fahrrad, was nicht nur aufgrund der Gebirge eine echte Herausforderung ist, sondern auch das Aufsehen der Bevölkerung auf sich zieht. Und sie reist in einer Zeit, in der der Guerilliakrieg der PKK in vollem Gang ist und zahlreiche Touristengruppen entführt werden.
Sie durchquert vollgestopfte Städte ebenso wie atemberaubende Landschaften, die sich über mehrere Klimazonen erstrecken. Sie macht Halt an den zahlreichen historischen Zeugnissen eines Gebiets, das seit Jahrtausenden von verschiedenen Völkern bewohnt und erobert wurde. Ihr Bericht ist mit historischen Fakten durchsetzt und macht auch vor den dunklen Seiten der Geschichte keinen Halt. Das Massaker an der ArmenierInnen Anfang des letzten Jahrhunderts ist immer noch ein Tabu in der Türkei. Es darf öffentlich nicht diskutiert werden und für die kommenden Generationen wird die Geschichtsfälschung in den Schulen eifrig weiter betrieben.
Sie reist mit offenen Augen und Ohren, sie beschreibt, ohne zu werten. Sie erzählt von der Schönheit des Landes, aber auch von dem Müll, der weite Teile des Gebiets übersät. Sie beschreibt die außergewöhnliche Architektur das Altstädte, aber auch deren Verfall und derenVerdrängung durch moderne kahle Betonbauten. Und sie erzählt von den Menschen, denen sie begegnet, von der unglaublichen Gastfreundschaft der Bevölkerung, aber auch von kurdischen Kindern, die sie mit Steinen bewerfen und Hunde auf sie hetzen.
Während ihrer Diskussionen mit den Kurden kann sie die Feindseligkeit der Kinder bald nachvollziehen. Sie erfährt von Tötungskommandos, die die kurdischen Gebiete durchstreifen und Massaker an der Bevölkerung ausrichten, von willkürlichen Verhaftungen auf der Straße, wenn jemand Kurdisch spricht, von Gefängnissen, in denen die Überlebenschance bei 5 Prozent liegt, von Deportationen und zwangsweiser Seßhaftmachung kurdischer NomadInnen und von der allgemeinen Diskriminierung der KurdInnen innerhalb der Türkei, sei es auf dem Arbeitsmarkt oder im Alltag. Sie schildert die Hoffnungslosigkeit der Jugend, die kaum Chancen auf eine gute Ausbildung oder eine Zukunft mit minimalen Wohlstand haben. Im Gegenzug dazu berichtet sie aber auch von dem kurdischen Nationalismus, der in Verschwörungstheorien mündet, in denen die westliche Welt sich mit den TürkInnen gegen die KurdInnen verbunden habe und deren Ausrottung anstrebe.
AVIVA-Tipp: Bettinas Buch ist spannend und rasant geschrieben. Sie quält die Leserin nicht mit langatmigen Landschaftbeschreibungen, nervtötenden Detailbeschreibungen historischer Gebäude und egoverwaltenden, persönlichen Empfindlichkeiten. Sie bettet ihren Reisebericht so in den historischen, politischen und persönlichen Kontext ein, dass die Leserin nicht nur etwas über dieses Gebiet und seine Vergangenheit lernt, sondern am liebsten gleich selbst dorthin reisen will, wenn auch nicht unbedingt mit dem Fahrrad.
Zur Autorin: Bettina Selby wurde 1934 in London geboren. Mit fünfzehn Jahren ging sie zur britischen Armee. Später arbeitete sie als Fotografin und studierte Religionswissenschaften. Nachdem ihre drei Kinder erwachsen waren, ging Selby mit dem Fahrrad auf Reisen. Sie reiste durch Pakistan zum Himalay, von der Mündung des Nils bis zu den Nilquellen und nach Timbuktu. Heute wohnt sie mit ihren zwei Katzen in Brecon Beacons.
Bettina Selby
Ararat! Mit dem Fahrrad durch Kurdistan
Aus dem Englischen von Jürgen Wahlen
Piper Verlag GmbH, März 2004
ISBN 3-492-23835-1
9,90 Euro
281 Seiten, kartoniert
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