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Beitrag vom 08.03.2005
So sind wir
Danielle Daum
Gila Lustigers dritter Roman ist ein Roman der autobiografischen Suche. Inspiriert von Fotos und Gegenständen erinnert sie sich an Eltern, Großeltern, Verwandte und deren Geheimnisse.
Gila Lustiger erzählt in ihrem Buch von den Gründungsmythen des Staates Israel, der Zeit der Einwanderung und der Unabhängigkeitserklärung, ihrer eigenen Kindheit zwischen Deutschland und Israel und von ihrem Vater, Arno Lustiger, dem Intellektuellen und Ausschwitz-Überlebenden, der dennoch in Deutschland blieb. Doch nicht nur in den Familien der Täter herrschen bis heute tiefe Tabus, sondern auch in den Familien der Opfer.
"Nicht auf die Umbringer war ich wütend, auf die Mitläufer, Feiglinge, Zuseher, Diebe, Quäler, Verräter, sondern auf meine im Krieg und durch die Deutschen kaputt gemachte Familie. Genau das mußt du sein, habe ich gedacht, gerade das, was dich anödet: Sprößling einer kaputtgemachten Familie."
Davon handelt Gila Lustigers Familienroman. Und davon, daß schon das Wort vom "Opfer", vom "Auschwitzüberlebenden" zutiefst verletzend sein kann. Anhand von Fotos, Zeitungen, einem Briefbeschwerer oder einer Puppe versucht sie Licht in die Familiengeschichte zu bringen und aus den Opfern lebendige Menschen zu machen. Sie verwebt ihre Gegenwart mit Erinnerung, um ein Bild zusammenzufügen.
"So sind wir" ist eine berührende Hommage an die Eltern und Großeltern von Gila Lustiger und zugleich erfrischend aktuell. Ein Grossteil ihrer Erinnerungen ist eingebettet in ein nächtliches Partygespräch mit einer Freundin. Ihre Sprache ist feinfühlig bis derb und bis zum Leichtsinn deutsch: Etwa wenn auch sie das Naziwort "Sonderbehandlung" benutzt und eigentlich "Bevorzugung" meint. Vor allem gelingt es ihr immer wieder eindrucksvoll darzustellen, daß die enge Bindung zwischen Deutschen und Juden durch das, wofür der Begriff "Holocaust" steht, keineswegs geringer geworden ist.
AVIVA-Tipp: Gila Lustiger schrieb in "So sind wir" nicht einfach nur ihre Familiengeschichte nieder, sondern konfrontiert die Leserin mit der Erinnerungsarbeit selbst. Mit Hilfe von Fakten, Legenden und Fantasie zeichnet sie ein lebendiges, buntes Porträt ihrer Familie. Ihr Roman vermittelt intensiv und zärtlich, anhand vieler Details und persönlicher Erinnerungen, die generationsübergreifenden Nachwirkungen des Holocaust.
Zur Autorin:
Gila Lustiger wird 1963 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Vater kommt aus Oberschlesien, ihre Mutter aus Israel, wo sich ihre Eltern auch kennenlernen. Nach ihrem Abitur studiert sie bis 1986 an der Hebräischen Universität in Jerusalem und arbeitet danach als Lektorin in Tel Aviv. Seit 1987 lebt sie mit ihrem Mann, dem französischen Dichter Emmanuel Moses und ihren zwei Kindern in Paris, wo sie als Journalistin, Verlagslektorin und Übersetzerin tätig ist. 1995 erscheint das erste und vielbeachtete Buch von Gila Lustiger "Die Bestandsaufnahme". Sie erzählt Episoden aus dem Alltag, die zwischen der Weimarer Republik und dem Ende des zweiten Weltkrieges spielen. Zwei Jahre später veröffentlicht sie "Aus einer schönen Welt", das in einer beliebigen Großstadt im Deutschland dieser Tage spielt. Es übt eine satirische, ironische Kritik an dem schönen Leben in einer schönen Welt.
Gila Lustiger
So sind wir
BV Berlin Verlag, Februar 2005
260 Seiten, Hardcover m. Umschlag
ISBN/EAN: 3827005574
18,- Euro
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