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Beitrag vom 19.12.2004
Witwe im Wahn
Julia Richter
Der Historiker Oliver Hilmes hat eine bemerkenswerte Biographie über Alma Mahler-Werfel geschrieben. Das Portrait einer umstrittenen Person.
"Dies ist die erste umfassende Biografie über Alma Mahler-Werfel jenseits der Retuschen ihrer Selbststilisierung und der Mythisierung durch andere."
Oliver Hilmes recherchierte ausführlich in der Van-Pelt-Library in Philadelphia sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Er konnte wichtige Dokumente auswerten, die anderen Biographen der prominenten Witwe nicht zugänglich waren und entdeckte eine Abschrift ihrer Tagebücher von 1902 - 1944.
Die zahlreichen Briefe, Postkarten, Fotos und Aufzeichnungen geben den Blick frei auf eine streitbare und umstrittene Frau und zeugen von Almas nüchterner, manchmal schockierender Selbstanalyse. Ihr lange verschollen geglaubter Nachlass, der Oliver Hilmes bei seinen Recherchen zur Verfügung stand, enthält zahlreiche Details aus dem Leben ihrer ZeitgenossInnen, Ehemänner und Geliebten und liefert ein anschauliches Portrait ihrer Zeit.
Die 1879 in Wien als Tochter des Malers Emil Jakob Schindler geborene Alma war mit dem Komponisten Gustav Mahler, dem Architekten Walter Gropius und dem Schriftsteller Franz Werfel verheiratet und hatte mit dem Maler Oskar Kokoschka eine leidenschaftliche Affäre. Ihre Beziehungen verliefen jedoch alles andere als glücklich.
Oliver Hilmes führt dies zurück auf Almas hysterische Veranlagung. Diese sei bereits in ihrem jugendlichen Alter stark ausgeprägt gewesen. Zum Beweis seiner These zitiert der Autor das renommierte "Lexikon der Psychiatrie" sowie die Psychologen Paul Chodoff und Henry Lyons. Er schließt daraus: "Folgt man diesem Ansatz, dann zeigen sich bereits in der jungen Alma Schindler viele Züge der Hysterikerin: das ständige Schwanken zwischen emotionaler Kälte und erotischer Überspanntheit, ein Hang zur Koketterie bei gleichzeitiger Ablehnung körperlicher Nähe, die ausgeprägte Vorliebe für theatralische und häufig unangemessene Posen, die starke Neigung zur Oberflächlichkeit (...) sowie eine weitgehende Unfähigkeit, Kritik zu ertragen."
Ihr Biograph zeigt Alma Mahler-Werfel als eine Frau, die an Minderwertigkeitskomplexen litt und deren Weltbild stark von antisemitischen Ressentiments bestimmt wurde. Um so verwunderlicher mag es auf den ersten Blick scheinen, dass sie mit Gustav Mahler und Franz Werfel, zwei Juden, verheiratet war.
Für Oliver Hilmes liegt darin jedoch kein Widerspruch. Die jüdische Abstammung ihrer beiden Ehemänner habe Alma vielmehr die Möglichkeit geboten, ihre Selbststilisierung als "arisches Vollweib" effektvoll in Szene zu setzen und ihr Bedürfnis zu befriedigen, "etwas Besseres" zu sein. Ihr Antisemitismus machte selbst vor ihren eigenen Kindern nicht Halt. Über ihre Tochter Anna Mahler schrieb sie: "Es ist ein solcher Schmerz für mich, eine 150% Jüdin aus mir geboren zu haben."
AVIVA-Tipp: Lesen! Es liegt keine Biographie vor, die so detailliert und fundiert das Leben der "Circe von Wien" beschreibt. Oliver Hilmes ist mit "Witwe im Wahn" ein informatives und fesselndes Werk gelungen, wenn auch am Ende eine Frage offen bleibt: Was hat die Männer an dieser Frau fasziniert?
Zum Autor:
Oliver Hilmes wurde 1971 in Viersen geboren. Er studierte Geschichte, Politik und Psychologie in Marburg, Paris sowie Potsdam und promovierte mit einer Arbeit über politische Musikgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Oliver Hilmes
Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Wahler-Werfel
Siedler Verlag. Erschienen 2004.
480 Seiten mit ca. 40 Abbildungen
Leinen, 13,5 x 21,5 cm
24,- Euro
ISBN: 3-88680-797-5.200258616975"