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Beitrag vom 28.09.2004
Im Schatten der Sterne
Julia Richter
Regina Scheer folgt den Spuren einer jüdischen Widerstandsgruppe in Berlin, deren Mitglieder gegen das nationalsozialistische Regime kämpften und dabei ihr Leben riskierten
Der Brandanschlag auf die antisowjetische Propagandaausstellung "Das Sowjetparadies" am 18. Mai 1942 im Berliner Lustgarten war eine missglückte Aktion, da die Brandsätze nicht richtig zündeten. Und doch gingen die Mitglieder der Herbert-Baum-Gruppe für ihren Akt des Widerstands in die Geschichtsbücher ein. Kaum einer von ihnen sollte den Anschlag lange überleben. Die im Lauf des Jahres 1942 von der Gestapo verhafteten Angehörigen der kommunistischen Widerstandsgruppe wurden fast ausnahmslos vom Volksgerichtshof verurteilt und zwischen 1942 und 1943 hingerichtet. Zum Zeitpunkt ihres Todes waren die ältesten gerade dreißig Jahre alt und die jüngsten Anfang zwanzig.
In den Mittelpunkt ihrer Spurensuche stellt Regina Scheer jedoch nicht Herbert Baum, den Gründer der Widerstandsgruppe, sondern Edith Fraenkel, ein zweiundzwanzigjährige Frau, die, wie die meisten ihrer GenossInnen, aus einer jüdischen Familie stammte. Da sie an dem Anschlag nicht beteiligt war, wurde sie nicht sofort hingerichtet, sondern zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, im Oktober 1943 nach Theresienstadt und ein Jahr später nach Auschwitz deportiert, wo sich ihre Spur verliert.
Ein Photo der jungen Frau mit ihrer Familie ist der Ausgangspunkt der Recherche, die sich nicht nur auf Edith Fraenkel, sondern sich auf alle Mitglieder der unter der Bezeichnung Herbert-Baum-Gruppe zusammengefassten politisch aktiven Freundeskreise erstreckt. Die LeserInnen können verfolgen, wie Regina Scheer Aktennotizen der Gestapo, Briefe und Gespräche mit Überlebenden und Angehörigen wie ein Puzzle zusammensetzt, und dabei ein sehr eindrückliches Bild dieser jungen Menschen, ihrer Lebenssituationen, Gedanken, Hoffnungen und politischen Überzeugungen entstehen lässt.
Einfühlsam und sehr ergreifend schildert die Autorin die kurzen Lebensgeschichten. Dabei gelingt es ihr, den LeserInnen eine lebendige Vorstellung dieser Zeit zu vermitteln.
Ausführlich, aber nie langweilig beschreibt Regina Scheer ihre Suche nach Informationen, die sie Stück für Stück zusammenträgt. Es ist ein sehr lesenswertes Buch, an dessen Ende die Autorin einer erschütternden Wahrheit auf die Spur kommt.
Zur Autorin:
Regina Scheer wurde 1950 in Berlin geboren. Sie studierte Theater- und Kulturwissenschaften an der Humboldt-Universität und war von 1972-1976 als Redakteurin der Studenten-Zeitschrift FORUM tätig. Von 1980-1990 war sie freie Redakteurin bei der Literaturzeitschrift TEMPERAMENTE. Im AtV liegen von der in Berlin lebenden Journalistin und Historikerin außerdem "AHAWA. Das vergessene Haus" und "Es gingen Wasser wild über unsere Seele. Ein Frauenleben" vor.
Regina Scheer
Im Schatten der Sterne. Eine jüdische Widerstandsgruppe
Aufbau-Verlag, erschienen August 2004
ISBN 3-351-02581-5
24,90 Euro
478 Seiten, gebunden200473675375"