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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 04.04.2003


Judith Hermann: Nichts als Gespenster
Meike Bölts

Der zweite Erzählband der Berliner Autorin überrascht nicht wirklich und lässt die Leserinnen und Leser mit einem eigenartig unentschlossenen Gefühl zurück...




250. 000 verkaufte Exemplare, Übersetzungen in 17 Sprachen, der "Sound einer neuen Generation": 1998 hat sich Judith Hermann mit dem Erscheinen ihres ersten Erzählbandes Sommerhaus, später direkt in die Herzen der Literaturkritik und der Leserinnen und Leser katapultiert.

Nun ist es mehr als vier Jahre später und Hermann legt den Nachfolger ihres Überraschungserfolges vor: Nichts als Gespenster. Und noch einmal findet sie sich an der Spitze der Bestsellerlisten wieder.

Doch diesmal fällt der Beifall etwas verhaltener aus: Die "frappierende Erfahrungsarmut" der Figuren wird mokiert. Auch der Hinweis, man müsse über "manches Knacken" hinweghören, ist zu finden. Und was 1998 noch als inspirierend und richtungsweisend galt, wird nun als "Dekadenzbewusstsein" der "ewigen Literaturjugendlichen" abgehandelt.
Warum ist Hermann bloß so in der Gunst der Literaturkritik gesunken?

Hermann legt mit Nichts als Gespenster sieben Erzählungen vor, in denen, allesamt aus der Sicht einer Frau um die Dreißig, der Lauf der Welt - der, der natürlich nicht aufzuhalten ist - betrachtet wird. Das Personal besteht meistens aus drei oder vier Personen: Paare, die sich einander entfremdet haben - Freundinnen, die die beste Zeit ihrer Freundschaft hinter sich gelassen haben - Freunde, die zu Paaren werden - eine Tochter, die wehrlos ihren harmlosen Eltern ausgeliefert ist. Alltägliches also, und doch so ergreifend.

Die Erzählungen sind ausnahmslos tiefschürfend und beschreiben das ausweglose Gefangensein der Figuren - in ihrer Distanz zu ihrer Umwelt und ihrer eigenen Dekadenz. Hermann hat es in der ersten Erzählung wahrlich verstanden zu fesseln. Ich als Leserin begreife das Dilemma und die Ratlosigkeit der Protagonistin und sehe mit ihr dem unausweichlichem Ende entgegen.
Nach der zweiten Erzählung ahne ich allerdings bereits, was kommen mag - muss jedoch zugeben, dass Geschichte und Szenerie wunderschön sind und unbedingt Wort für Wort genossen werden sollten.
Die dritte und vierte habe ich prophylaktisch erst einmal übersprungen um gleich bei der titelgebende Erzählung weiterzumachen. Doch hier sind wir wieder beim Leitthema: Entfremdung und Isolation, noch Austin, einer Stadt in Nevada, die aus dem Nichts zu kommen schien: Das kann ermüdend sein, sollte der eigene Wagemut dazu geführt haben alle Erzählungen direkt nacheinander zu lesen.

Nichtsdestotrotz: Das Buch ist ein Erfolg, gerade einmal zwei Wochen auf dem Markt, waren schon fast 80.000 Exemplare verkauft. Was ganz sicher nicht unberechtigt ist. Denn Nichts als Gespenster ist ein würdiger Nachfolger von Sommerhaus, später. Aber der Eindruck, der schon beim Erstling an manchen Stellen aufschien, ist auch jetzt nicht von der Hand zu weisen:
Einer der wichtigsten Grundzüge von Literatur ist, dass sie sich immer wieder neu erfindet, aber dies ist der Autorin leider nicht gelungen.
Also muss das Urteil unentschlossen ausfallen: Auch wenn Hermann schmerzhaft schön erzählen kann, ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, dass ihr die Themen ausgehen.



Judith Hermann
Nichts als Gespenster

S. Fischer, 2003
ISBN: 3-10-033180-x
Preis: 17,90 EUR84cea4fa200a259e17dba9745942f60c" .


Literatur

Beitrag vom 04.04.2003

AVIVA-Redaktion