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Beitrag vom 31.07.2003
Eine Brille für das Krokodil
Jana Scheerer
Die Geschichte eines Krokodils, das keine Brillenschlange werden will: Daniela Friedrich und Eva Möhle erzählen von Eitelkeit, Angst und Verständnis. Ein Buch, das dem Kontaktlinsenhandel schaden wird
Als Kind dachte ich, Gretel, das Krokodil, der Wachtmeister und die Anderen im Kaspertheater wären Handpuppen. Jetzt weiß ich es besser: Sie sind Schauspieler. Und Schauspieler leben gefährlich. Sie können sich mitten in der Vorstellung im Vorhang verheddern oder aus Versehen den Kasper statt der Großmutter fressen.
Die Theaterbranche ist schnelllebig: Wer ein paar Mal versagt hat, wird ersetzt. Das muss auch das Krokodil feststellen, als es nach dem oben beschriebenen Fauxpas in den Ruhestand geschickt werden soll. Besonders der eitle Kasperl kann die Blamage durch das ungeschickte Krokodil nicht tolerieren.
Also muss Ersatz gefunden werden. Doch zum schnell einberufenen Casting kommen nur Krokodile in rosa Blusen und weißen Tüllröckchen - und dass die eine ganze Großmutter runterkriegen, ist zu bezweifeln.
Auch Kasperls Vorschlag, das Krokodil einfach ganz herauszuschreiben, stößt auf Kritik: Will er etwa demnächst selbst die Großmutter fressen? Nein, das dann doch nicht. Ein Krokodil ist eben unersetzlich.
Als das Krokodil ihn auch hinter der Bühne mit "Großmutter" anspricht, kommt dem Wachtmeister die rettende Idee: Das Krokodil braucht eine Brille. Auf geht´s zum Augenarzt. Dort hockt das Krokodil zitternd vor Angst im Wartezimmer und bemerkt gar nicht, dass die anderen Patienten auch vor Angst schlottern: Da sitzt ein Krokodil in der Praxis!
Es sind diese Details, die "Eine Brille für das Krokodil" so liebenswert machen. Der sparsame Text lässt viel Raum für eigene Entdeckungen in den großflächigen bunten Illustrationen. So wird das Entsetzen der anderen Patienten im Wartezimmer gar nicht im Text verbalisiert - er beschäftigt sich nur mit der Angst des Krokodils. Der furchtsame Furchteinflößer - ein Grundmuster der Kinderliteratur - muss so von der LeserIn selbst erschlossen werden.
Zurück ins Theater kehrt das Krokodil mit einer schicken roten Brille, für die es von allen bewundert wird. Nur Kasperl zeigt sich weiter als Spalter, wird aber von Gretel in seine Schranken verwiesen. Und der Wachtmeister rettet die Stimmung mit einem Scherz: "Ich bin jedenfalls froh, dass wir nicht das Krokodil mit der rosa Bluse genommen haben."
Das Buch behandelt Themen wie Eitelkeit, Hilfsbereitschaft und der Angst vor Versagen in der bekannt-gemütlichen Kulisse des Kasperletheaters. Natürlich werden auch hier holzschnittartige Charaktere erzeugt, die bekannten Stereotype werden jedoch bei diesem "Blick hinter die Kulissen" zugleich um eine Schattierung erweitert - und das Kasper eigentlich ein ganz schön eitler Kerl ist, haben wir uns doch alle schon gedacht.
Die Autorin Daniela Friedrich wurde 1978 geboren und lebt in Herne, wo sie ein Anerkennungsjahr zur Erzieherin macht. Dem Krokodil ein Gesicht gegeben hat Eva Möhle, Jahrgang 1964, die Grafik Design studierte und heute als freie Grafikerin Illustratorin arbeitet.
So können die Beiden vielleicht kleine angehende Brillenschlangen von der Brillenangst befreien und es fließen ein paar echte Krokodilstränen weniger. Bleibt nur noch die Frage, wer denn jetzt das Krokodil in der rosa Bluse tröstet?!
Eine Brille für das Krokodil
Daniela Friedrich
Eva Möhle
Thienemann, 2003
ISBN 3 522 43449 8
11,90 Euro
32 Seiten, Hardcover mit farbigen Illustrationen
Ab 3 Jahren
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