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Beitrag vom 04.11.2008
Nicci French - Bis zum bitteren Ende
Tatjana Zilg
Eine Fahrradkurierin gerät in einen Alptraum aus Mord, Intrigen, Hass und Habgier. Dabei dachte Astrid eigentlich, sie führe eine einigermaßen angenehme Nischen-Existenz. Ihren Arbeitstag ...
... verbringt sie damit, kreuz und quer durch London zu radeln und Kurierpost von einem Kunden zum anderen zu bringen. Wohnhaft ist sie in einem riesigen, gemütlichen, wenn auch etwas abgewohnten Haus, zusammen mit einer kunterbunten Ansammlung junger Leute, die alle trotz ihrer Macken und Quertreibereien liebenswert und normal zu sein scheinen.
Hausbesitzer ist Miles, der im Gegensatz zu den meisten anderen WG-BewohnerInnen einen gutbezahlten festen Job hat und mit der eleganten Architektin Leah liiert ist. Einige Zeit zuvor war er mit Astrid verbandelt, doch die resolute, sehr ansehnliche Fahrradkurierin gab der Sache keine Chance und kündigte ihrem Vermieter die Liebesbeziehung. Dennoch schworen sie sich, auf jeden Fall gute FreundInnen zu bleiben. Eine gute Freundschaft, so hoffen alle, verbindet die WG-BewohnerInnen ohnehin miteinander. Im Alltag sieht das ein wenig anders aus: Dario kifft und dealt zum Entsetzen von Miles im Haus, Mike soll im Austausch zum mietfreien Wohnen das Haus renovieren, führt dies aber nur sehr nachlässig aus, der mysteriöse, schöne Owen interessiert sich vor allem für seine bizarren Fotografien und die Anwältin Pippa macht es zu ihrem Freizeitsport, jeden Mann in ihr Bett zu lotsen. Nur der frisch eingezogene Davy scheint der ideale Mitbewohner zu sein: Freundlich, zuvorkommend und stets hilfsbereit. Zudem bringt er bald seine neue Freundin Mel mit ins Haus, ein liebes Mädchen mit unschuldigem Flair. Die beiden sorgen in dem turbulenten Geschehen für einen Ruhepol.
Ein Serienmörder zerstört die letzten Tage der gemeinsamen Lässigkeit
Von einem Tag auf den anderen verändert sich für die sorglose Truppe alles: Astrid, die im Haus eine Art inoffizielle Anführerin ist, hat knapp vor der Haustür einen Unfall, den eine Nachbarin mit ihrem Auto verursachte. Am nächsten Morgen wird die Dame im mittleren Lebensalter tot zwischen den Mülltonnen aufgefunden. Die WG-BewohnerInnen sind beunruhigt, würden sich aber recht schnell wieder ihrem eigenen Lebensradius zu wenden, wenn nicht Miles mit der Ankündigung, das Haus ganz für sich und Leah haben zu wollen, für Aufruhr sorgen würde. Alle anderen sollen so schnell wie möglich ausziehen. Enttäuschung macht sich breit und Angst vor der Zukunft nistet sich in den Köpfen ein. Astrid versucht, Distanz zu wahren und die Dinge im Griff zu behalten, doch der Tod hält Einzug in ihr Leben: Erst findet sie eine Kundin ermordet auf, dann wird auch Leah Opfer des Serienmörders, der die Gesichter seiner Opfer grausam zerschneidet.
Etliche Verhöre auf der Polizeiwache folgen, gegenseitige Verdächtigungen und Misstrauen verändern den Umgang miteinander, kleine Streitereien gewinnen immens an Bedeutung, schließlich siegen die Fluchtmechanismen und jedeR versucht, sich mit den größtmöglichen persönlichen Vorteilen aus der Affäre zu ziehen.
Das AutorInnen-Duo Nicci Gerrard und Sean French entschied sich dafür, den Handlungsablauf aus zwei verschiedenen Blickwinkeln zu erzählen: Erst werden die Vorgänge aus der Sichtweise von Astrid geschildert, und die klassische Krimi-Frage: "Wer ist der/die MörderIn" prägt den Lesereiz. Hinein schleichen sich Studien über die Beziehungskonstellationen in einer Out Of Age - WG, die sich vor dem Erwachsenenwerden sträubt, sich im Laissez-Faire aber auch nicht mehr so recht wohl fühlt, was an mancher Stelle den kriminalistischen Spannungsfaden leider etwas zerreißt. Im zweiten Teil erhält die LeserInnenschaft vom Mörder ein ausführliches Geständnis, in denen er seine psychologischen Motive gut nachvollziehbar offenbart.
AVIVA-Tipp: Wer "Kleine Morde unter Freunden" zu seinen Favoriten zählt, wird in "Bis zum bitteren Ende" eine interessante Variante der Thematik finden, die hier nicht ganz so dunkel und bitterböse präsentiert wird wie im Kultthriller. Vielmehr wird Wert darauf legt, das WG-Soziogramm und dessen Wahrnehmung durch das beliebteste Gruppenmitglied und den Mörder sorgfältig nachzukonstruieren. In den Augen von Astrid ist der Mörder zunächst nur eine unauffällige Nebenperson am Rande. In der zweiten Hälfte des Romans reißt dann plötzlich der Abgrund auf, der hinter dem scheinbar naiven Gehabe steht. Originell, dass so manche Vermutung der Kriminal-SpezialistInnen dabei ins Gegenteil verkehrt wird und die anscheinend psychopathischen Muster dabei als eine Mischung aus bloßem Zufall und rational taktischem Kalkül enttarnt werden.
Zu den AutorInnen: Hinter dem Namen Nicci French verbirgt sich das Ehepaar Nicci Gerrard und Sean French. Seit langem sorgen sie mit ihren höchst erfolgreichen Psychothrillern für Furore. Seit den Romanen "Höhenangst" und "Der Sommermörder" haben sie auch in Deutschland die Bestsellerlisten erobert. Sie leben mit ihren Kindern im Süden Englands. (Quelle Verlagsinfo)
Nicci French
Bis zum bitteren Ende
Originaltitel: Until it´s over
Aus dem Englischen von Birgit Moosmüller
C. Bertelsmann Verlag, erschienen August 2008
Gebundenes Buch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-570-00939-0
19,95 Euro