Alexis Schwarzenbach - Auf der Schwelle des Fremden - Das Leben der Annemarie Schwarzenbach - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 27.09.2008


Alexis Schwarzenbach - Auf der Schwelle des Fremden - Das Leben der Annemarie Schwarzenbach
Silvy Pommerenke

Dem Großneffen Annemarie Schwarzenbachs ist ein berührendes und eindringliches Portrait dieser faszinierenden Frau gelungen, die als Journalistin, Fotoreporterin, Literatin, Antifaschistin...




...und vor allem als unglaublich beeindruckende Gestalt auf ihre Umwelt eingewirkt hat.

Annemarie Schwarzenbach war von Geburt aus außerordentlich privilegiert: 1908 hineingeboren in eine Schweizer Familie, die sich durch Militär, Adel und vor allem Reichtum auszeichnete, waren ihr von Anfang an die Wege in die Upper-Class geebnet. Aber sie ruhte sich auf diesen Lorbeeren nicht aus, sondern sperrte sich ganz im Gegenteil dem ihr vorgeplanten Lebensweg von Heirat und Luxusleben. Es war zwar nicht so, dass sie sich dem Luxus per se abgewandt hätte, und später heiratete sie auch den homosexuellen französischen Diplomaten Claude Clarac, aber sie teilte nicht die politische Einstellung ihrer nazi-begeisterten Familie. Früh schon fand sie ihre Vorliebe im Androgynen und ihre Ablehnung gegen die Faschisten. Ersteres wurde durchaus von ihrer Mutter gutgeheißen, war sie doch selbst eine herbe und männlich wirkende Frau, die trotz der Ehe mit ihrem Mann jahrzehntelang eine Liebesbeziehung zu einer anderen Frau hatte. Aber die politische Einstellung ihrer Tochter behagte ihr gar nicht. Schließlich führte die Freundschaft Annemaries zu Klaus und Erika Mann zum unversöhnlichen Bruch mit dem Elternhaus. Zwar bemühte sich die Tochter aus gutem Hause immer wieder um die Zuneigung ihrer Mutter, aber die strafte sie meist mit Ablehnung. Dies wird einer der Gründe gewesen sein, weswegen Annemarie Schwarzenbach zu einer Morphiumsüchtigen wurde. Sie kämpfte – ebenfalls wie Klaus Mann – gegen diese Droge an, versuchte mehrfach in Entziehungsanstalten und durch Reisen sich davon zu befreien, aber letztendlich sollte es ihr nicht glücken. Ironischerweise trat Schwarzenbach vielfach Reisen in gefährliche Länder an, trotzte manch einer brenzligen Situation und fand ihren Tod in Folge eines `banalen` Fahrradunfalls und der fehlerhaften Behandlung von Ärzten in der heimischen Schweiz.

Alexis Schwarzenbach, Großneffe Annemaries, wurde von seinen Verwandten nur dahin gehend aufgeklärt, dass sie "lesbisch gewesen sei und morphiumsüchtig". Als er 1987, kurz vor der Wiederentdeckung der Autorin, in der Bibliothek seiner Großeltern auf das Buch "Lyrische Novelle" von Annemarie stieß, war seine Verwunderung und Faszination groß. Zwanzig Jahre später ist diese Faszination in jeder Textzeile seiner Bild-Biographie über Annemarie Schwarzenbach immer noch anzumerken, die sich unweigerlich auf die LeserIn überträgt. Liebevoll blättert er die Lebens- und Liebesstationen seiner Großtante auf, vermittelt ein faszinierendes Portrait dieser unvergleichlichen Frau, ohne dass er dabei Dinge beschönigt oder sensationslüstern aus- oder verpackt. Im Gegenteil, denn er deckt familiäre Umstände auf, die einen Erklärungsversuch für das Scheitern dieser begabten und schönen Frau abgeben. Weder verschweigt er ihr unstetes Wesen, das sich immer wieder in den häufigen Reisen und wechselnden Liebesbeziehungen zu Frauen äußert, noch verharmlost er ihre Alkohol-, Tabletten- und Morphiumsucht. Gleichzeitig zeichnet er das Bild einer nach Liebe suchenden Frau nach, die vor allem im Schreiben einen Halt im Leben fand, den ihr Menschen offensichtlich nicht geben konnten. Annemarie Schwarzenbach war eine ambivalente Frau, die durchaus Beständigkeit suchte, und viele ihrer Freundschaften über Jahre pflegte. Sie suchte den Austausch mit Gleichgesinnten, unter anderem mit Erika und Klaus Mann, die wie sie gegen den Faschismus kämpften und die Literatur zu ihrer Religion machten.

Letztendlich war ihr Aussehen ihr Kapital, gleichzeitig auch ihre Bürde, denn es gab wohl kaum einen Raum, den sie betrat, kaum einen Menschen, dem sie begegnete, den sie nicht verzauberte. Aber Annemarie Schwarzenbach hatte auch ihre dunklen Seiten, die sich in Form von Aggressionen, Depressionen und ihren diversen Süchten äußerten, die sie schließlich auch zu Suizidversuchen führten. Gerade als sie sich von ihrer Morphiumsucht befreit hatte und dem Leben wieder einen Sinn abgewinnen konnte, passierte der tragische Fahrradunfall, aufgrund dessen sie nur kurze Zeit später starb. Zu diesem Zeitpunkt, Oktober 1943, galt sie als bekannteste schweizerische Reiseschriftstellerin, und eine Vielzahl anrührender Nachrufe zeigen die Erschütterung, die ihr verfrühter Tod in der Öffentlichkeit hervorrief.

Dass sie ungewöhnlich schnell aus dem öffentlichen Bewusstsein entschwand, lag unter anderem an den familiären Streitigkeiten um ihr schriftstellerisches Erbe. Erst Ende der achtziger Jahre wurde Schwarzenbach `rehabilitert`und fast alle ihrer Bücher neu publiziert. Alexis Schwarzenbach wird mit seiner Bild-Biopgraphie einen weiteren Schritt dazu tun, dass das Andenken an diese ungewöhnliche Frau auch in Zukunft wachgehalten und ihre Bücher nicht mehr aus den Bibliotheken wegzudenken sein werden.

Weiterlesen: Annemarie Schwarzenbach zum 100. Geburtstag und Annemarie Schwarzenbach – Eine Frau zu sehen

Annemarie Schwarzenbach wurde am 23. Mai 1908 als Kind einer Zürcher Industriellenfamilie geboren. Nach dem Studium in Zürich und in Paris, das sie mit einer Promotion im Fach Geschichte abschloss, veröffentlichte sie mit 23 Jahren ihren ersten Roman, Freunde um Bernhard. Von 1933 an unternahm die rastlose Schriftstellerin und Journalistin, die eine enge Freundschaft mit Klaus und Erika Mann verband, zahlreiche Reisen in ferne Länder. Sie starb 1942, geschwächt durch lange Jahre der Drogensucht, an den Folgen eines Fahrradunfalls. (Quelle: Verlagsinformationen)

Zum Autor: Alexis Schwarzenbach, 1971 in Zürich geboren, studierte Geschichte am Balliol College in Oxford und promovierte am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz. Zuletzt veröffentlichte er "Die Geborene" über Renée Schwarzenbach-Wille und ihre Familie, sowie "Das verschmähte Genie" über Albert Einstein und die Schweiz. Er lebt in Zürich und gärtnert im Glarnerland. (Quelle: Verlagsinformationen)

AVIVA-Tipp: Der Großneffe Annemarie Schwarzenbachs hat ein sehr intimes, fesselndes und äußerst berührendes Andenken an diese einmalige Frau geschaffen, indem er zum Teil unveröffentlichte Photographien, Briefe, Faksimiles und familieninterne Geheimnisse lüftet, ohne dabei Einzelnen zu nahe zu treten. In akribischer Feinarbeit hat er das Leben von Annemarie Schwarzenbach nachgezeichnet - sowohl in seiner dunklen als auch in seiner hellen Seite - und dies äußerst spannend niedergeschrieben, so dass die LeserIn vom ersten Moment an in einen Sog gerät, der das Weglegen des Buches schier unmöglich macht.

Alexis Schwarzenbach
Auf der Schwelle des Fremden - Das Leben der Annemarie Schwarzenbach

Collection Rolf Heyne, erschienen März 2008
Gebunden, 420 Seiten
23 x 29 cm
Gebunden mit Schutzumschlag, mit zahlreichen Abbildungen, Duotone auf Kunstdruckpapier
Mit Hörbuch-CD "Eine Frau zu sehen", gelesen von Bibiana Beglau
ISBN: 978-3899103687
58,00 Euro


Literatur

Beitrag vom 27.09.2008

Silvy Pommerenke