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Beitrag vom 09.09.2008
Herzzeit - Ingeborg Bachmann - Paul Celan – Der Briefwechsel
Silvy Pommerenke
In erster Linie gibt der Briefwechsel eine tragische Liebesgeschichte zwei der bedeutendsten LyrikerInnen der Gegenwartsliteratur nach 1945 wieder, die miteinander nicht konnten, es dennoch...
...immer wieder versuchten – auch auf Kosten ihrer damaligen LebenspartnerInnen, Gisèle Celan-Lestrange und Max Frisch.
Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan lässt sich in sechs Zeitabschnitte einteilen, denn die Liebesgeschichte der beiden LyrikerInnen begann im Jahr 1948 und endete etwa 1967, als Paul Celan einen letzten Brief an Ingeborg Bachmann absandte. Dazwischen lagen neunzehn Jahre, die durch persönliche Schicksalsschläge, Beziehungen, Missverständnisse und vor allem dem "Gestern" geprägt waren. Das "Gestern" meint die Shoa, die Vernichtung der Juden zwischen 1933 und 1945, die in anderer Form auch nach 45 immer präsent war und ist. Für Celan ein unlösbarer Bewältigungsversuch – er verlor seine Familie in deutschen Vernichtungslagern - und für Bachmann eine andere Form der Bewältigung, da sie sich – als Nichtjüdin - auf Seiten der Täter sah und mit dieser Schuld kaum leben konnte. Trotz alle dem kamen diese beiden großen lyrischen Geister zusammen und versuchten ihren Weg miteinander zu gehen. Es hat nicht funktioniert, so weiß man aus der Literatur, spätestens aus diesem Briefwechsel.
In diesen neunzehn Jahren gab es aber auch die traumatische Erfahrung bei der Gruppe 47, die Paul Celan verhöhnt hatte und Ingeborg Bachmann einen Preis zusprach, dann kamen die Plagiatsvorwürfe Claire Golls gegenüber Paul Celan, zum einen 1953, dann erneut 1960, außerdem die wohl schmerzendste Wunde im Oktober 1959, als der Journalist Günter Blöcker für den Tagespiegel eine Rezension zu Celans "Sprachgitter" schrieb, die voller antisemitischer Anspielungen war. Celan zerbrach daran, mit ihm seine mittelbare und unmittelbare Umwelt. Ingeborg Bachmann hat vieles versucht, um den Geliebten von ihrer Liebe, ihrer Loyalität, ihrem Empfinden zu überzeugen. Aber für beide schien die Liebe kein wirklicher Ausweg aus dem Diesseits zu sein, denn sowohl miteinander als auch mit anderen versuchten sie Liebesbeziehungen, die in Tragödien endeten.
Trotzdem haben sie es immer wieder versucht, sich zu lieben und konnten anfangs wohl nur zueinander kommen, weil Ingeborg Bachmann sich früh gegen die nationalsozialistische Ideologie stellte und Zeit ihres Lebens gegen das Vergessen angeschrieben hat. Dennoch kam es immer wieder zu Konflikten zwischen den beiden, da Paul Celan sich – gerade in der Plagiatsaffaire und den antisemitischen Provokationen – nicht richtig von ihr verstanden fühlte. Sie hingegen versuchte beständig, diese Konflikte und oft auch Missverständnisse in den Briefen zu beseitigen. Ein Großteil des Briefwechsels besteht somit aus Versuchen der Konfliktbewältigung zwischen den beiden, die aber - weil man nur diese sporadisch abgeschickten Briefe lesen kann, zwischen denen oftmals Monate liegen - selten in ihrer Komplexität nachvollzogen werden können. Vieles bleibt somit im Geheimen und lässt sich nur ansatzweise rekonstruieren, wenn dazu auch die Nachworte der HerausgeberInnen und die Stellenkommentare mitgelesen werden.
Die Nachworte - geschrieben von Barbara Wiedemann, Bertrand Badiou, Hans Höller und Andrea Stoll - geben einen dezidierten Querverweis vom Bachmann'schen zum Celan'schen Werk, woraus erkenntlich wird, wie sehr vor allem Bachmann immer wieder Zitate Celans aufgenommen hat, um sich durch seine Worte zu spiegeln, für ihn zu spiegeln. Er hingegen hat kaum Bezug auf ihr Schaffen genommen, war zu sehr im Verarbeiten des "Gestern" gefangen, als dass er je im "Heute" angekommen wäre. Letztendlich ist er daran zugrunde gegangen, konnte die Stimmen seiner Ahnen nicht ertragen, nicht die Schuld, die an ihnen – und auch an ihm – begangen wurde, aushalten. Paul Celan stürzte sich – nach diversen Aufenthalten in der Psychiatrie und zwei Mordversuchen an seiner Ehefrau Gisèle Lestrange – 1970 in die Seine. Einen namenloseren und einsameren Tod hätte er nicht finden können.
Aber auch hier spiegeln sich die beiden verwandten Seelen Ingeborg Bachmann und Paul Celan wider, denn die Österreicherin litt ebenfalls zeitlebens am "Gestern", von dem so viel im "Jetzt" war. Sie versuchte sich von der "Zumutung der Schuld" freizuschreiben, was ihr ebenso wenig gelang, wie Paul Celan. Ingeborg Bachmann, nachdem sie gleichfalls mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte und des Öfteren in Klinken war, starb am 17. Oktober 1973 an den Folgen eines Wohnungsbrandes in Rom.
Es scheint mehr als angebracht, da sowohl Gisèle Lestrange und Max Frisch in beider Leben eine große Rolle spielten, dass dem Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan auch Briefe von Lestrange und Frisch angegliedert sind. Dadurch wird ein Mosaik ergänzt, durch das dennoch viele Leerstellen bestehen bleiben.
Zur besseren Handhabbarkeit der Briefe und des Verständnisses hätte es sich angeboten, die Worte/ Begriffe/Zusammenhänge, die im Anhang näher ausgeführt sind, in den Briefen kenntlich zu machen. So ist es ein oft mühseliges Blättern nach Erläuterungen, die unbedingt notwendig für das Briefverständnis sind, da sie sich gerade wegen der oftmals großen zeitlichen Abstände nicht von selbst erklären. Warum beispielsweise auch die mehr als 20 Abbildungen keine Bildunterschriften aufweisen, sondern erst 180 Seiten später erläutert werden, ist editorisch nicht nachvollziehbar und für die Leserin äußerst unbequem zu handhaben.
Ingeborg Bachmann, 1926-1973, wurde für ihre Lyrik u.a. mit dem Georg-Büchner-Preis 1957 und dem Großen Österreichischen Staatspreis 1968 ausgezeichnet. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Psychologie. 1950 promovierte sie über Heidegger. 1953 ging Ingeborg Bachmann als freie Schriftstellerin nach Italien, wurde zwei Jahre darauf Dramaturgin in München und lehrte ab 1960 Poetik an der Universität Frankfurt. 1965 kehrte "die Bachmann", zum letzten Mal, nach Italien zurück. Werk und Wirken der Ingeborg Bachmann widerfuhren zahlreiche Ehrungen. Zu den wichtigsten Auszeichnungen gehören der Bremer Literaturpreis 1957, der Büchner-Preis 1964 und der Große Österreichische Staatspreis 1968 (Quelle: Verlagsinformation).
Paul Celan: geboren am 23. November 1920 in Czernowitz, gestorben ungefähr am 20. April 1970 in Paris, hieß eigentlich Paul Antschel. Seine Eltern wurden deportiert und ermordet, während Paul Celan Arbeitslager und Zwangsarbeit überlebte. Er siedelte 1948 nach Paris über und veröffentlichte im gleichen Jahr seinen ersten Gedichtband "Der Sand aus den Urnen". Sein Gedicht "Die Todesfuge" schrieb er 1947, und es trug ihm einerseits antisemitische Vorwürfe ein – unter anderem von der Gruppe 47 – als auch unsterblichen Ruhm. Es ist wohl eines der berührendsten und meistgelesenen Gedichte, die sich mit dem Holocaust auseinandersetzen. Er wurde unter anderem 1960 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.
Weiterlesen: "Briefe einer Freundschaft" von Ingeborg Bachmann und Hans Werner Henze und "Briefwechsel" von Paul Celan und Gisèle Celan-Lestrange
AVIVA-Tipp: Der Briefwechsel zwischen diesen beiden großen LyrikerInnen ist sehr bewegend und gibt neben den tiefen Einblicken in das private Leben der beiden auch eine besseres Textverständnisse für deren Lyrik und Prosa. Auch wenn in jedem ersten Semester der Literaturwissenschaften permanent darauf hingewiesen wird, dass das Werk von dem/der Autor/in zu trennen sei, so wird durch diese Briefe etwas anderes deutlich: Sowohl Bachmann als auch Celan haben subtile autobiografische Lyrik und Prosa geschrieben, die nach der Lektüre dieses Briefwechsels um so beeindruckender – und auch verständlicher - sein wird.
Herzzeit
Ingeborg Bachmann - Paul Celan
Der Briefwechsel
Suhrkamp Verlag, erschienen August 2008
Gebundene Ausgabe, 399 Seiten
Mit 23 Schwarz-Weiß Abbildungen
ISBN: 978-3518420331
24,80 Euro