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Beitrag vom 19.01.2012
Barbara Honigmann - Bilder von A.
Lisa Scheibner
Wie gelingt es, sich von einer tiefen, poetischen Leidenschaft zu befreien? In einem autofiktionalen Rückblick erzählt die Autorin von der schmerzlichen Trennung eines ungleichen KünstlerInnenpaares
"A. ist jetzt tot." ist ein Satz, der sich als roter Faden durch Barbara Honigmanns Roman zieht. Der Tod von A. ist das Ende einer fast dreißig Jahre währenden Liebe, die nach Abschluss der relativ kurzen Affäre nie wirklich eine Freundschaft geworden ist. Gleichzeitig ist A.s Tod aber auch ein Neuanfang für die Erzählerin. Sie hat lange gebraucht, um auch gedanklich dem übermächtigen Schatten des nicht zuletzt von ihr bewunderten Theaterregisseurs zu entkommen.
Kritik mit Kleist
Als die beiden sich damals im Ostberlin Mitte der 1970er Jahre kennenlernen, ist der Idealismus in der Kunst sehr lebendig und die Theaterszene ein Sammelbecken für Gesellschaftskritische und ZweiflerInnen. Die Erzählerin, eine theaterbegeisterte junge Frau, malt Bilder und liebt Kleist. Und dieser in jedem Sinne dramatische Dichter wird dann auch der Schutzheilige der Beziehung zu dem fünfzehn Jahre älteren A.: beide verehren ihn gleichermaßen, als Künstler, der sein Leiden an der Welt empfindsam wie überwältigend beschrieben hatte und dem "auf Erden nicht zu helfen war". Sie identifizieren sich glühend mit seiner Poesie und finden darin ihr Leiden am Staatssystem der DDR wieder.
Für eine Kleist-Inszenierung am "Berliner Theater" sucht der erfolgreiche Regisseur eine Dramaturgieassistentin, die ihn versteht und auf die er sich verlassen kann. Der Funke springt sofort über: schon beim ersten Treffen mit der jungen Theaterwissenschaftlerin entfaltet sich eine Leidenschaft der beiden füreinander, die lange anhalten wird - getragen von Zitaten verehrter DichterInnen und heißer Diskussionen über deren Werk.
"Ich war toll in A. verliebt und toll vor Poesie, und er war es wohl auch, wegen Kleist und wegen Else-Lasker Schüler und wegen des dummen leeren Platzes, wo wir uns umarmt und der Laster uns im ersten Morgenlicht zugehupt hatte, und wegen all der Bücher und Werke und Verse, über die wir gesprochen hatten und von deren Energie wir verstrahlt zu sein meinten."
Barbara Honigmann beschreibt autofiktional, wie sie die Geliebte des charismatischen A. geworden ist, und wie es den beiden gelingt, den Alltag von ihrer Beziehung fern zu halten. Ihre intensiven Zusammenkünfte finden halb versteckt statt, was der jungen Frau nicht unbedingt unrecht ist, da sie darin eine poetische Position zu erkennen meint. Die offiziellen Gefährtinnen A.s lernt sie lange nicht einmal kennen.
Ansichten von A.
Sie beginnt, A. zu malen: Während der Dauer ihrer Affäre entsteht eine ganze Reihe von Bildern, die diese dokumentieren und anhand derer Honigmann Jahrzehnte später die gemeinsame Geschichte zu rekonstruieren versucht. Auf Brettern, die sie aus ihren Regalen nimmt (und dabei gleichzeitig mehr Platz für großformatige Bildbände schafft) hält die junge Frau fest, wie sie A. sieht: auf dem Fahrrad mit Kopfweh, als "Nichtraucher" mit brennender Zigarette im Mundwinkel oder auch in einem Doppelportrait mit sich selbst, auf dem Nähe und Distanz in der Beziehung zu sehen sind.
Die Leserin bekommt nur eins dieser Gemälde zu Gesicht: Auf dem Titelbild des Buches radelt er, der große, blonde, deutsche "Gewittergoi", wie die jüdische Mutter der Erzählerin A. nennt. Außerdem hat er auch noch diesen Vornamen, der bei zurückgekehrten ExilantInnen wie ihr immer ein Schaudern hervorrufen muss.
Dann verlässt A. plötzlich die DDR, wie viele KünstlerInnen damals, und aus der gelebten Liebe wird eine postalische. Die Trennung löst bei der jungen Intellektuellen Traurigkeit und Wut aus, sie beginnt im Laufe dieser Krise ihre Abhängigkeit von dem Verehrten zu hinterfragen und neue, eigene Wege zu gehen. Die EmigrantInnentochter wendet sich erstmals dem Judentum zu, was für sie der "Erforschung [eines] (...) neuen Planeten" gleichkommt, und heiratet wenig später nach jüdischem Ritus ihren heutigen Mann.
Als auch sie einige Jahre darauf die DDR verlässt, sind immer wieder Treffen mit A. geplant, kommen aber nur wenige Male zustande. Und so reisen weiter Briefe zwischen "Prinz Jussuf", wie A. sie nennt (in Anlehnung an Else-Lasker Schüler, der sie angeblich ähnelt), und dem Regisseur hin und her.
Offene Wunden
Ihre neue Identifikation mit dem Judentum kann A. nicht begreifen. Er ist Sohn eines gefallenen Wehrmachtssoldaten, über den er nicht sprechen will und hält es mit dem Kommunismus und Antikapitalismus. Vielleicht fühlt er sich auch auf eine Art abgelehnt, als seine Seelenverwandte in religiöse Bereiche verschwindet, an denen er nicht Teil haben kann und die er für rückständig und partikularistisch hält.
Diese wunde Stelle heilt nicht und die Beiden gehen nicht im Frieden auseinander, was zumindest für die Erzählerin ein bleibender Schmerz ist.
Barbara Honigmanns Roman ist autobiografisch und dennoch erdichtet. Er enthält viel Wahres, ist aber nicht der Versuch, endgültige Erklärungen zu finden. In einem Interview, mit ZEIT-ONLINE sagte sie: "An einen therapeutischen Wert des Schreibens glaube ich nicht. Es ist (…) keine Suche nach Wahrheit, kein `Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten`, sondern im Gegenteil: eine Inszenierung, Umdichtung, Zerdichtung von Erlebtem und Erfahrenem."
Zur Autorin: Barbara Honigmann wurde 1949 in Ost-Berlin als Tochter jüdischer Eltern geboren, die nach dem Krieg aus dem englischen Exil nach Deutschland zurückgekehrt waren. Sie arbeitete als Dramaturgin und Regisseurin und seit 1975 als freie Schriftstellerin und Malerin. 1984 verließ sie die DDR und ging nach Straßburg, wo sie noch heute mit ihrer Familie lebt. 2000 erhielt sie den Kleist-Preis, 2011 den Max-Frisch-Preis. Weitere ihrer Werke sind "Damals, dann und danach" (1999), "Alles, alles Liebe!" (2000), "Das Gesicht wiederfinden" (2007) und zuletzt "Das überirdische Licht. Rückkehr nach New York" (2008).
AVIVA-Tipp: Honigmanns Roman ist die Geschichte einer Liebe, die in der kleistschen "Sfäre der Poesie" gedeiht, und zugleich geprägt ist durch die ermüdende Realität der kontrollwütigen DDR der 1970er Jahre. Das Buch lässt die Leserin erleben, wie inmitten eines Kreises widerständlerischer Intellektueller Kleist zur Kampfkunst und Leidenschaft wird. Die Erzählerin beschreibt in einem genauen und schmerzhaften Rückblick ihre Hingabe zu dem älteren Theaterregisseur A., mit dem sie viel verbindet und von dem sie schließlich doch Welten trennen. Kommunismus und Judentum werden zu Antipolen, die die literarische Nähe nicht zu überbrücken vermag. Honigmann erzählt einen Ausschnitt ihrer Biografie in poetischer Sprache und mit feiner Ironie. Das Ich des Buches hat jahrelang nachgedacht über die Beziehung mit A. und doch ist ihr Manches daran unerklärlich geblieben. Der Schmerz nimmt nur langsam ab, "Bilder von A." ist eine Abrechnung und Liebeserklärung zugleich.
Barbara Honigmann
Bilder von A.
Hanser Verlag, erschienen Juli 2011
Fester Einband, 144 Seiten
ISBN 978-3-446-23742-1
16.90 Euro
www.hanser-literaturverlage.de
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Beiträge von Barbara Honigmann in:
Olga Mannheimer und Ellen Presser (Hrsg.): "Nur wenn ich lache - Neue jüdische Prosa". (2002)
"Habitus": A Diaspora Journal. Berlin-Ausgabe. (2011)
"Jüdischer Almanach - Frauen". (2006)
Quellen:
Hanser Verlag/AutorInnen: www.hanser-literaturverlage.de
Interview mit Barbara Honigmann, Stefan Mesch für ZEIT-ONLINE am 27.10.2011