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Beitrag vom 28.08.2008
Marlene Lohner - Plötzlich allein
Franziska Nixdorf
Ihr persönliches Schicksal, den geliebten Ehemann durch den Tod für immer verloren zu haben, verarbeitete die Autorin mit Gleichgesinnten und versucht durch ihr Buch auch andere Trauernde zu trösten.
Was für ein Schmerz muss es sein, den Menschen, den man liebt und mit dem man zahlreiche gemeinsame Jahre verlebt hat, zu verlieren? Besteht überhaupt eine Möglichkeit, darüber hinwegzukommen?
Die Autorin Marlene Lohner musste 1975 erfahren, wie es sich anfühlt, mit dem Tod des Ehemanns und dem plötzlichen Alleinsein konfrontiert zu werden. Nur schwer gelang es ihr, die Kraft in das eigene Weiterleben nicht zu verlieren. Denn auch wenn es für die Zurückbleibenden unbegreiflich ist, so dreht sich die Welt doch weiter und das Umfeld scheint zu erwarten, dass aus den stetigen Gedanken an den Verstorbenen ein erinnerndes Gedenken wird. Das Unverständnis, das Marlene Lohner von vielen Außenstehenden erfuhr, nachdem sie auch Jahre später schwer über den Tod ihres Mannes hinwegkam, ließ sie Hilfe in Gesprächen mit Frauen suchen, die ein ähnliches Schicksal erlebt hatten.
In ihrem Buch "Plötzlich allein" fasste Marlene Lohner acht Interviews zusammen und ergänzte das Werk durch ihren Erfahrungsbericht sowie einen anschließenden Kommentar zu der Auswahl ihrer Interviewpartnerinnen und den gesellschaftlichen Einfluss auf den Umgang mit dem Tod.
In den aufgezeichneten Gesprächen erzählen Frauen unterschiedlicher Altersgruppen und Herkunft von ihren Erfahrungen und davon, wie sie den Tod ihrer Männer, die an verschiedenen Krankheiten oder durch Unfälle starben, mehr oder weniger gut verkrafteten. Trotz der individuellen Lebensgeschichten werden immer wieder Gemeinsamkeiten zwischen den Gedanken und Empfindungen der Trauernden deutlich. Jede der Frauen empfand den Verlust als Verlust eines Teiles von sich selbst und häufig waren Minderwertigkeitskomplexe die Folge. Lediglich der äußere Umgang mit der neu entstandenen Lebenssituation variierte.
Während die einen durch innere und äußere Isolation versuchten, das Gefühl ihrer Einsamkeit in den Griff zu bekommen, merkten andere schnell, dass sie nur durch ständige Beschäftigung und Ablenkung sowie ausführliche Gespräche ihr Leben weiterführen konnten. Auch Suizidgedanken spielten eine Rolle, und vielfach waren die Kinder der Antrieb zum Weiterleben und Durchhalten.
Marlene Lohner verdeutlicht durch ihre Sammlung an Interviews und ihre eigenen Kommentare, dass niemand auch in einer derart endgültigen Situation allein ist. Jedes einfühlsame Wort kann Trost für Betroffene spenden und gibt gleichermaßen Kraft, ein Leben ohne den geliebten Menschen zu führen. Ebenso können Außenstehende mit Hilfe dieses Buches lernen, geschickter und feinfühliger auf die Trauernden zuzugehen. Für niemanden ist bereits die Vorstellung leicht, dass ein geliebter Mensch stirbt. Doch auch wenn die Wunden wohl niemals vollständig heilen werden, so kann zumindest der Schmerz durch Anteilnahme und Unterstützung gelindert werden.
Zur Autorin: Marlene Lohner - Nach ihrem Germanistik-Studium in Erlangen unterrichtete Marlene Lohner deutsche Sprache und Literatur an der New Yorker Universität. 1962 zog sie mit ihrem Mann, dem Literaturwissenschaftler Edgar Lohner, und ihren beiden Söhnen nach Kalifornien. In der darauf folgenden Zeit widmete sie sich unter anderem der Übersetzung von zahlreichen literaturtheoretischen Arbeiten aus dem Englischen ins Deutsche. 1973 kehrte die Familie zurück in die damalige Bundesrepublik Deutschland, doch bereits zwei Jahre später starb Edgar Lohner mit 56 Jahren an Herzversagen. 1977 wurde Marlene Lohner als Dozentin für Literatur an der Volkshochschule Wiesbaden tätig.
Weitere Veröffentlichungen: Im Fischer Taschenbuch Verlag erschien von Marlene Lohner das Buch "Was willst du, du lebst. Trauer und Selbstfindung in Texten von Marie Luise Kaschnitz".
AVIVA-Tipp: Auch wenn sich Marlene Lohners Werk vorrangig an die Menschen richtet, die sich in ähnlicher Situation wie die von ihr befragten Frauen befinden, so können auch diejenigen dem Buch Ratschläge entnehmen, die den Betroffenen helfen möchten. Es wird deutlich, dass der Todesfall kaum vollständig überwunden werden kann und vielleicht auch nicht überwunden werden sollte. Denn jede/r Verstorbene lebt in der Erinnerung der Hinterbliebenen weiter. Zusätzlich weist die Autorin darauf hin, dass den Frauen die Zeit gegeben werden muss, die sie brauchen, um mit dem Verlust fertig zu werden. Ihnen sollte das Gefühl genommen werden, sich "falsch" zu verhalten, wenn sie öffentlich zu sehr oder zu wenig zu trauern scheinen. Marlene Lohners Auswahl von Interviews lässt die LeserInnen aber nicht nur über den Tod und das Alleinsein, sondern vor allem auch über jedes noch so alltäglich gewordene Leben im Kreise der Lieben nachdenken und hilft Menschen dabei, auch die manchmal als langweilig erscheinende Routine schätzen zu lernen.
Marlene Lohner
Plötzlich allein
Fischer Taschenbuch Verlag
6. Auflage: Januar 2007
142 Seiten, Maße: 19 cm
ISBN 978-3-596-13838-8
Preis: 7,95 Euro