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AVIVA-BERLIN.de im Mai 2024 - Beitrag vom 15.03.2011


Kathrin Friederike Müller - Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen
Kristina Auer

Die Rezeption von "Brigitte" im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender. Die Wissenschaftlerin untersuchte in einer der ersten empirischen Studien zum Leseverhalten von ...




... "Brigitte"-Leserinnen, warum Frauen zur Frauenzeitschrift greifen und unter welchen Gesichtspunkten sie diese nutzen.

Klassische Frauenzeitschriften werden im Allgemeinen nicht gerade besonders wertgeschätzt. Auch von Seiten vieler Feministinnen, insbesondere der zweiten Frauenbewegung, wurden sie scharf kritisiert. Grund für diese Kritik war oft die Vermutung, Frauenzeitschriften seien eine Art "Manipulationsinstrument des patriarchalen Herrschaftssystems", das altmodische und unterdrückerische Frauenbilder propagiere, die von den Leserinnen passiv verinnerlicht würden.

Kathrin Friederike Müller kommt in "Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen" zu ganz anderen Ergebnissen. Während vorangegangene Studien sich meist entweder mit der Wirkung des Mediums auf die Leserin oder einer Analyse seiner Inhalte auseinander setzten, legt Müller den Fokus auf die Leserin selbst, indem sie das Rezeptionsverhalten und die Beweggründe für das Lesen analysiert. Ihr Erkenntnisinteresse liegt also darauf, wann und aus welchen Gründen Leserinnen zur Frauenzeitschrift greifen und wie dieser Vorgang genau vonstatten geht.

Aufbau der Studie

Die Studie basiert auf qualitativen Interviews, welche Kathrin Friederike Müller zwischen Oktober 2005 und Januar 2006 mit 19 Leserinnen der Frauenzeitschrift Brigitte führte. Müller wählte für ihre Untersuchungen die Zeitschrift Brigitte aufgrund ihrer MarktführerInnenschaft im Segment der klassischen Frauenzeitschriften aus. Ein weiterer Grund war die Tatsache, dass Brigitte die traditionsreichste deutsche Frauenzeitschrift ist, da sie bereits seit 1954 unter demselben Namen existiert.
Die befragten Leserinnen entstammten der Mittelschicht, waren jedoch unterschiedlichen Alters und wiesen verschiedene Bildungsabschlüsse wie Berufstätigkeiten auf. Einige der befragten Frauen waren Abonnentinnen der Frauenzeitschrift, andere lediglich Gelegenheitsleserinnen.
Im Anschluss an die Interviews analysierte Müller die Aussagen der Befragten unter den drei von ihr gewählten Gesichtspunkten des Einflusses auf die Biografie, den Alltag und das Doing Gender, also die Herstellung weiblicher Geschlechtsidentitäten.

Biografie

Für alle Befragten fiel der Beginn der Leserinnenschaft von Brigitte in den Zeitraum des Ausbildungsbeginns und des Auszugs aus der elterlichen Wohnung, was Müller mit der neu gewonnen finanziellen Unabhängigkeit einerseits und einer einschneidenden Veränderung der Lebenssituation andererseits erklärt, in welcher die Beschäftigung mit vertrauten, frauentypischen Themen als angenehm empfunden wird.
Weiter stellte Müller fest, dass die Rezeption von Frauenzeitschriften oft durch die Phase der Familiengründung beeinflusst wird. Hier kann sowohl eine Erhöhung als auch eine Verringerung der Leseaktivität eintreten. Parallel erhöht sich mit der Geburt des ersten Kindes das Interesse an familienbezogenen Themen, welches sich schließlich nach dem Auszug der Kinder aus dem Elternhaus wieder verringert.
Abgesehen von diesen zwei Lebensphasen konnten im Laufe der Studie keine großen Einflüsse der Biografie auf das Rezeptionsverhalten der Leserinnen ermittelt werden, da sowohl die Häufigkeit der Nutzung als auch die Themeninteressen über das Leben hinweg relativ unverändert blieben.

Alltag

Das Lesen von Frauenzeitschriften stellt im Alltag der Befragten ein strukturierendes Element dar. Müller kommt hier zu dem Schluss, dass das Lesen der Brigitte für Frauen einen "Signalcharakter" hat, der sowohl für sie selbst als auch für ihr Umfeld wirksam ist. Frauen symbolisieren mithilfe der Brigitte entweder das Ende eines Arbeitstages oder trennen mit ihr die Erwerbs- von der Reproduktionsarbeit. Das Lesen der Frauenzeitschrift stellt außerdem einen Moment des Selbstbezugs dar, da die Frauen beim Lesen der Brigitte etwas ausschließlich für sich tun.
Des Weiteren fand Müller heraus, dass über die Rezeption von Frauenzeitschriften eine sowohl virtuelle als auch reale Gemeinschaft von Frauen erzeugt wird. Einerseits identifizieren sich die Frauen mit der Leserinnenschaft ihrer präferierten Zeitschrift, welcher sie, ebenso wie sich selbst, bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zuschreiben. Auf der anderen Seite teilen die Leserinnen ihre Gedanken über die Inhalte der Zeitschrift mit Frauen aus dem nahen Bekanntinnenkreis. Die Zeitschrift gibt somit Anstöße für Gespräche, die nicht ausschließlich oberflächlicher Natur sein müssen, sondern auch tiefergehende Themen betreffen können.
Ein weiterer interessanter Gesichtspunkt ist, dass die befragten Leserinnen die Brigitte gegenüber ihren männlichen Partnern gewissermaßen als "Sprachrohr" verwenden, welches ihnen helfen kann, ihre weibliche Perspektive besser verständlich zu machen.

Doing Gender

In Bezug auf das Verhältnis von Geschlechtsidentitäten und Frauenzeitschriften kommt Müller zu folgendem Schluss: Da Brigitte von den Leserinnen als Frauenmedium wahrgenommen wird, bedeutet die Rezeption der Zeitschrift eine aktive Zuordnung zum weiblichen Geschlecht und stellt damit bereits eine Form des Doing Gender dar. Über das Lesen von Brigitte versichern sich die Frauen also ihrer eigenen Geschlechtsidentität oder fühlen sich in ihr bestätigt.

Damit eine Frau regelmäßig eine bestimmte Frauenzeitschrift liest, muss sie sich nach den Ergebnissen der Interviews mit dem in der Zeitschrift dargestellten Frauenbild identifizieren. Dieses Frauenbild muss Müller zufolge möglichst vielschichtig sein, um aus der Sicht der Leserinnen als gelungene Abbildung des weiblichen Lebenszusammenhangs zu gelten.
Allerdings werden die in der Zeitschrift dargestellten weiblichen Rollenentwürfe von den Leserinnen keineswegs unreflektiert übernommen. Wie Müller darstellt, modifizieren die Rezipientinnen die Frauenbilder stattdessen nach ihren eigenen Vorstellungen.
Die Beschäftigung mit der weiblichen Geschlechtsidentität ist Müller zufolge auch ein Hauptgrund für das Lesen von Frauenzeitschriften. Diese schließen eine Lücke in der Medienlandschaft, da frauenspezifische Themen in gängigen Medien meist ausgeklammert werden.
Das Doing Gender während der Rezeption muss als produktiver und individueller Akt angesehen werden, bei dem Rollenzuschreibungen sogar teils bewusst erzeugt werden. Die Leserinnen schaffen somit eigene Interpretationen der abgebildeten Frauenbilder. Die Übernahme des dargestellten Frauenbilds in eigene Performativitäten während des Lesens ist jedoch nur ein kurzzeitiger Akt. Die angenommene Frauenrolle kann bereits von einem Artikel zum nächsten wechseln.

Auffallend ist auch, dass Weiblichkeit im Doing Gender der Frauen stets als Stärke und Qualität angesehen wird, also dass weibliche Identität durchweg als positiv aufgefasst wird. Dies bietet den Frauen zwar eine Statuserhöhung der weiblichen Rolle, manifestiert aber andererseits Zweigeschlechtlichkeit, da Weiblichkeit gerade durch ihre positive Konnotation und stets in Abgrenzung zum Männlichen gefestigt und reproduziert wird.

AVIVA-Tipp: Kathrin Friederike Müller macht in ihrem gut strukturierten Buch deutlich, dass die Inhalte und insbesondere die Rollendarstellungen von Weiblichkeit, die in Frauenzeitschriften zu finden sind, nicht grundsätzlich mit negativen Konsequenzen für die Geschlechtsidentität der Leserinnen in Verbindung gebracht werden müssen. Vielmehr wird offensichtlich, dass das Lesen der Brigitte für viele Frauen mit Wohlbefinden und einer positiven Selbstwahrnehmung verbunden ist. Darüber hinaus werden Frauen als komplexe Medienhandelnde erkennbar, die mit geschlechtsgebundenen Inhalten produktiv und kritisch umgehen. Die Ergebnisse der Studie ermöglichen somit einen neuen Blickwinkel auf Frauenzeitschriften und den Umgang der Leserinnen mit ihren Inhalten.

Zur Autorin: Kathrin Friederike Müller (Dr. phil.) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Verbundprojekt "Spitzenfrauen im Fokus der Medien. Die mediale Repräsentation von weiblichen und männlichen Führungskräften in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft" an der Leuphana Universität Lüneburg.

Kathrin Friederike Müller
Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen
Die Rezeption von "Brigitte" im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender

Transcript Verlag, erschienen April 2010
Broschiert, 456 Seiten
ISBN 978-3-8376-1286-8
34,80 Euro
www.transcript-verlag.de

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Literatur

Beitrag vom 15.03.2011

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