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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 13.03.2011


Jorinde Reznikoff und KP Flügel - Bomb it, Miss.Tic
Kristina Auer

Das spannende Portrait der Pariser Straßenkünstlerin Miss.Tic, die es mit ihren Schablonen-Graffitis weltweit zu großem Ansehen gebracht hat, entstand aus einem Interview mit den Hamburger...




...JournalistInnen Jorinde Reznikoff und KP Flügel in ihrem Pariser Atelier. Das Buch, in dem Miss.Tic. größtenteils selbst zu Wort kommt, liefert Einblicke sowohl in das Leben der kontroversen Künstlerin als auch in ihr faszinierendes Werk.

"Kreieren heißt Widerstand leisten" lautet einer der vielen Slogans der 1956 geborenen Miss.Tic. Durch einen von Schicksalsschlägen und Härte geprägten Lebenslauf ist die Kunst für sie zu einer existenziellen Notwendigkeit geworden.
Als Tochter eines Tunesiers und einer Normannin wuchs Miss.Tic in einer Pariser Banlieue auf. Durch einen Autounfall verlor sie im Alter von zehn Jahren ihren Bruder, ihre Mutter und ihre Großmutter. Ihr Vater starb überraschend an einem Herzinfarkt, als sie 16 Jahre alt war.
Fortan auf sich allein gestellt, schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch, wurde Mitglied einer Straßentheater-Gruppe, verbrachte dann zwei Jahre in den USA und entschloss schließlich bei ihrer Rückkehr nach Paris, sich in der Bildenden Kunst zu verwirklichen.

Im Jahr 1985 besprühte Miss.Tic in Paris zum ersten Mal eine Mauer. Schon damals war ihr einzigartiger Stil erkennbar: Miss.Tics Werke bestehen stets aus vieldeutigen Wortspielen, die sie mit Frauendarstellungen ergänzt, um "der Sprache einen Körper zurückzugeben", wie sie selbst sagt.
Zu Beginn waren es SelbstPortraits, welche die Künstlerin an die Wände malte, schon bald entschloss sie sich dafür, Frauendarstellungen aus Zeitschriften abzuzeichnen und zu verfremden. Dabei reproduziert sie das stereotype Frauenbild nach eigener Aussage "nicht, um es zu bewerben, sondern um es zu befragen."

Miss.Tic provoziert und polarisiert. Für ihr Schaffen wurde sie von vielen Feministinnen angegriffen, zeigen ihre Werke neben vielen pornographischen Szenen doch das von den Medien propagierte Bild der dünnen, sexuell attraktiven und stets willigen Frau. Andere werten ihre Darstellungen dagegen als Statement für die Wahrnehmung von Frauen als freien, begehrenden, sexuellen Wesen und gegen unterdrückende Strukturen und die vermeintlich "verklemmten" Feministinnen. Wieder andere sehen in Ihr eine feministische Kämpferin, die mit ihrer Arbeit weibliche Subjektivitäten ehrt und zelebriert.

Miss.Tic bezeichnet sich selbst nicht als Feministin, denn ihrer Meinung nach sind Weiblichkeit und Männlichkeit sowie viele Unterschiede zwischen Männern und Frauen oft etwas Schönes. Außerdem hält die Künstlerin teilweise auch die Frauen selbst verantwortlich für geschlechtliche Diskriminierung. Eine Frau, die sich beruflich verwirklichen will, soll eben keine Kinder kriegen, meint sie.

Die Frage, ob Miss.Tic mit ihrer Kunst zu den Errungenschaften des Feminismus beiträgt oder dessen Ziele gar unterminiert, ist nicht eindeutig zu beantworten. Auch weil Miss.Tic das Interpretieren ihrer Werke lieber anderen überlässt. Beim Betrachten ihrer Bilder wird jedenfalls klar, dass diese unvermeidlich zum Nachdenken und der kontroversen, polarisierenden Disskussion, anregen. Und letztlich sieht Miss.Tic, wie viele andere KünstlerInnen und Kunstliebende, in diesem Nachdenken den übergeordneten Sinn von Kunst im Allgemeinen: "Ich möchte die Seelen der Leute berühren, sie treffen und betroffen machen."

AVIVA-Tipp: "Bomb it, Miss.Tic!" stellt die Persönlichkeit einer ebenso kontroversen wie faszinierenden Künstlerin in den Mittelpunkt. Da sich das Buch größtenteils aus O-Tönen der Malerin zusammensetzt, ist Reznikoff und Flügel ein besonders persönliches Portrait gelungen. Miss.Tics Kommentare haben die AutorInnen zudem um einige Zitate anderer KünstlerInnen ergänzt, welche die Aussagen der Malerin teils konterkarieren und teils unterstreichen und somit einen pointierteren Blick erlauben. Die 30 abgebildeten Werke geben desweiteren einen spannenden Überblick über das Schaffen der Künstlerin.

Zu den AutorInnen: Jorinde Reznikoff und KP Flügel leben und arbeiten in Hamburg, wenn sie nicht gerade in Paris sind. Journalistisch aktiv für die "neopostdadasurrealpunkshow" auf Radio FSK, Hamburg, und als KorrespondentInnen für "Chroniques Rebelles", Radio Libertaire, Paris. Mit ihren Klang-Lyrik-Performances traten sie im Rahmen von Festivals u. a. in Berlin und Toulouse auf. (Quelle: Edition Nautilus)

Jorinde Reznikoff, HP Flügel (Hg.)
Bomb it, Miss.Tic!

Edition Nautilus, erschienen März 2011
Klappenbroschur, 96 Seiten
ISBN: 978-3-89401-738-5
12,00 Euro
www.edition-nautilus.de

Weitere Infos zu Miss.Tic finden Sie unter:

www.missticinparis.com


Literatur

Beitrag vom 13.03.2011

AVIVA-Redaktion