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Beitrag vom 14.04.2011
Annette Kerckhoff - Heilende Frauen. Ärztinnen, Apothekerinnen, Krankenschwestern, Hebammen und Pionierinnen der Naturheilkunde
Ricarda Ameling
Frauen haben in der Heilkunde, der Krankenpflege, der modernen Medizin und der Wissenschaft tiefe Spuren hinterlassen, obwohl sie auf ihrem Weg zahlreiche und oft ungeahnte Hürden überwinden...
... mussten.
Im 21. Jahrhundert sind rund 60% der Medizinstudenten weiblich. Es ist völlig selbstverständlich, eine Ärztin aufzusuchen, niemand würde ihre Kompetenz auf Grund ihres Geschlechts anprangern. Die Krankenpflege wird sogar als Frauendomäne betrachtet, männliche Pfleger haben es hier oft schwer. Doch das war nicht immer so: Die Fachjournalistin, Autorin, Heilpraktikerin und Gesundheitswissenschaftlerin Annette Kerckhoff zeigt, beginnend bei Pionierinnen wie Hildegard von Bingen, oder Teresa von Ávila, wie sich Frauen Stück für Stück ihren Platz in der Medizin eroberten.
"Heilende Frauen" stellt in 48 prägnanten und liebevoll gestalteten Portraits Frauen vor, welche vom 14. bis hinein ins 20. Jahrhundert Großes für die Medizin erreicht haben. Übersichtlich gegliedert werden Frauen bekannt gemacht, die entweder als Ärztin, als Wissenschaftlerin und/oder Forscherin, als Ordensfrau oder Krankenschwester, als Hebamme, Apothekerin oder Heilerin für die Ausübung ihrer Berufung kämpften. Ein eigenes Kapitel ist ausschließlich Pionierinnen gewidmet, welche neuartige Therapieformen und Naturheilverfahren etablierten.
Anschaulich und mit Hilfe von Illustrationen wird an die Frauen von damals erinnert. Geschichten von Nächstenliebe und Erfinderinnengeist, Glauben und Risikofreude, Leistungen und der Bereitschaft, alles dafür zu geben um die gleichen Bildungschancen wie Männer zu erlangen werden hier lebendig: So wird unter anderem die Geschichte von James Barry erzählt (1795 – 1865). Nur als Mann getarnt konnte diese intelligente Frau unter falschem Namen und Geschlecht als Militärarzt Karriere machen und durch die Welt reisen – zu einem Zeitpunkt, als das Universitätsstudium und somit auch die Medizin für Frauen noch undenkbar war. Anerkennung erlangte sie im wohl rauesten Bereich der Medizin, der Feldchirurgie - doch um welchen Preis?
Rahel Hirsch, geboren 1870, dagegen schaffte es, als erste Frau in der Geschichte ihre Forschungsergebnisse vor der Gesellschaft der Charité-Ärzte zu präsentieren. Ihre Ergebnisse wurden erst belächelt, später zwar bestätigt, gerieten aber in Vergessenheit und sie wurde erst nach 50 Jahren rehabilitiert, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse als "Hirsch-Effekt" bekannt. Die erste Medizinerin Preußens, die 1913 den Professorentitel verliehen bekam, leitete von 1914 bis 1918 die Charité-Kliniken in Berlin und arbeitete später in ihrer eigenen Praxis. 1938 konnte Rahel Hirsch zu einer Schwester nach England emigrieren. Ihr Leben endete tragisch, sie verkraftete die Verfolgung, den Verzicht auf ihren Beruf und den Tod zwei ihrer Schwestern in Konzentrationslagern nicht und litt den Rest ihres Lebens an Depressionen, Wahnvorstellungen und Verfolgungsängsten, bis sie in einer Londoner Nervenheilanstalt 1953 starb. Doch ihr Wirken blieb nicht ohne Folgen: Israel nahm Rahel Hirsch vier Jahre nach ihrem Tod in die "Galerie berühmter jüdischer Wissenschaftler" in Jerusalem auf, die Charité ehrte sie 1995 mit einer Bronzeplastik und seit 1999 können junge Wissenschaftlerinnen im Rahmen des Rahel-Hirsch-Stipendiums habilitieren.
Auch heute zu großen Teilen vergessene Frauen finden hier einen Platz und die ihnen zustehende Anerkennung. Eine dieser bewundernswerten Persönlichkeiten ist Angela Autsch (1900-1944), welche wegen "Führerbeleidigung und Wehrkraftzersetzung" während der Zeit des Nationalsozialismus ins Konzentrationslager deportiert wurde und dort unter Lebensgefahr unzähligen Häftlingen Trost und Hilfe war. Die Nonne war für ihre Hilfsbereitschaft bekannt und geschätzt, genauso wie für ihr besonderes Lächeln, welches selbst auf dem Foto zu sehen ist, welches am Tag ihrer Ankunft in Auschwitz aufgenommen wurde und heute im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau hängt. "Angela war eine Heilige in der Hölle des KZ", so erinnert sich eine Augenzeugin. Am 23. Dezember 1944 starb Angela Autsch bei einem Bombenangriff in Birkenau, im Jahr 1990 wurde ihre Seligsprechung von der katholischen Kirche eingeleitet.
Verkleidet Als Männer, als Hexen verfolgt – und offiziell bis 1904 nicht befugt, Ärztin zu werden…
Am 13. April 2011 stellte Annette Kerckhoff in der Charité ihr ihm Elisabeth Sandmann Verlag erschienenes Buch vor, im darauf folgenden Publikumsgespräch mit Medizinerinnen wurde über die Bedeutung von Frauen in der Medizin und Heilkunde sowohl in der Vergangenheit als auch heute diskutiert. Unter der Moderation von Stefanie Winde (Leitung Unternehmenskommunikation, Charité Berlin) kamen Prof. Dr. med. Claudia Witt (Stellv. Direktorin des Instituts für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité Berlin), Dr. rer. medic. Anna Paul (Leitung Ordnungstherapie, Mind/Body Medicine, Arbeitsgruppe Prävention & Gesundheitsförderung Innere Medizin, Naturheilkunde und Integrative Medizin, Kliniken Essen-Mitte), Dr. Anett Unbehaun (Rahel-Hirsch-Stipendiatin), Dr. med. Astrid Bühren (Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Ehrenpräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes) zu Wort. Besonders interessant war in diesem Gespräch die Fragestellung, wie sich die Medizin wohl entwickelt hätte, wenn sie nicht über Jahrhunderte hinweg Männern überlassen worden wäre. Was wäre heute in der Medizin anders, wenn Frauen mehr Einfluss gehabt hätten? Die allgemeine Antwort darauf lautete, dass die Medizin lebendiger und näher am Patienten wäre. Weitere Argumente waren, dass sich Dinge oft erst ändern würden, wenn Frauen in Führungspositionen gelangen, und Frauen außerdem anders als Männer behandeln würden (kommunikativer, ganzheitliche Betrachtung des Patienten und seiner Lebensumstände um eine gute Diagnose stellen zu können, weibliche Lebenserfahrungen…). Auch die stärkere Belastbarkeit von Frauen wurde betont, zum Beispiel in Bezug auf Nachtschichten.
Selbst wenn einige dieser Punkte stimmen mögen, war es doch schade, dass bei dieser Podiumsdiskussion generelle Verallgemeinerungen die Überhand nahmen. Hinsichtlich der Debatte, ob der medizinische Beruf (Klinik, Praxis, Forschung etc.) mit einem Familienleben kombinierbar, und wie diese Gratwanderung realisierbar ist, wurde die Diskussion dann allerdings sehr viel detaillierter und persönlicher. Dies führte allerdings vom eigentlichen Thema des Abends weg und enttäuschte einige Gäste, die sich wohl eine fundiertere Erläuterung über den weiblichen Einfluss in der Medizin gewünscht hätten.
AVIVA-Tipp: Annette Kerkhoff stellt in "Heilende Frauen" faszinierende Frauen vor, die mit Energie, Tatkraft und voller Optimismus allen Schwierigkeiten, die in einer von Männern und gesellschaftlichen Zwängen dominierten Welt auf sie warteten, ihnen trotzten und ihre Überzeugung in die Realität umsetzten. Dr. Marianne Koch schreibt in ihrem Vorwort, die Berichte seien "nicht nur als eine spannende Chronik der Emanzipation" zu verstehen, "sondern fast mehr als eine Hommage an den menschlichen Geist, an die intensive Kraft, die denen zufliegt, die ihr Leben einer großen Idee widmen." Die portraitierten Frauen machen Mut und sind Vorbilder, da sie mit Courage die Welt verbessert haben. Das durch Fotografien, Dokumente und Gemälde bereicherte Buch eignet sich auch als Geschenk hervorragend, und ist nicht nur eine Empfehlung für MedizinkennerInnen.
Zur Herausgeberin: Annette Kerckhof:, Jahrgang 1965, ist nach einer Heilpraktikerausbildung und dem Abschluss Master of Science in Gesundheitswissenschaften heute in der PatientInnenaufklärung bei Natur und Medizin e.V. tätig, bietet für die CHAMP-Ambulanz (Charité Ambulanz für Prävention und Integrative Medizin) Kurse über Hausmittel und Heilpflanzen an und unterrichtet Medizingeschichte, Pflanzenheilkunde und naturheilkundliche Selbsthilfe an verschiedenen Hochschulen. Sie lebt in Berlin-Kreuzberg. (Quelle: Elisabeth Sandmann Verlag)
Annette Kerckhoff auf den Seiten der Charité Ambulanz für Prävention und Integrative Medizin.
Dr. med. Marianne Koch, geboren 1931, machte zunächst als Schauspielerin Karriere und unterbrach hierfür auch ihr Medizinstudium. 1971 nahm sie dieses wieder auf, promovierte und arbeitete sowohl als Internistin als auch als Fernsehmoderatorin. Heute ist sie erfolgreiche Autorin zahlreicher Gesundheitsbücher, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga und eine der beliebtesten und erfahrensten Ärztinnen, die in Rundfunk und Fernsehen auftreten.
Das Kurzportrait "Mit 40 noch zum Studium" über Marianne Koch finden Sie auf WDR5.
Weitere Informationen zum Buch unter: www.elisabeth-sandmann.de
Annette Kerckhoff
Heilende Frauen
Ärztinnen, Apothekerinnen, Krankenschwestern, Hebammen und Pionierinnen der Naturheilkunde
Mit einem Vorwort von Marianne Koch
Elisabeth Sandmann Verlag, München, erschienen 2010
Gebunden mit Schutzumschlag, 160 Seiten
100 Abbildungen
ISBN-13: 978-3-938045-47-3
24,95 Euro