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Beitrag vom 23.03.2011
Ron Leshem - Der geheime Basar
Claire Horst
"Ich erinnere mich an die Stadt des Regens und an Herrn Ali Samimi, der uns immer ermunterte fortzugehen." Leise und poetisch wie der erste Satz klingt der gesamte Roman des israelischen Autors ...
... Ron Leshem, der sich in die Lebenswelt junger TeheranerInnen einzufühlen versucht.
Kami kommt aus der Provinz Gilan, aus der "Stadt des Regens", in die iranische Hauptstadt. Seit frühester Kindheit war das sein Plan, mit seinem besten Freund Amir will er dort ein neues, spannenderes Leben beginnen. "Beim Blick aus dem Fenster würden weiße, dichtgedrängte Türme zu sehen sein. Zehnspurige Straßen würden darum betteln, dass wir uns ein Mofa anschafften. Flugzeuge würden aufsteigen. Mädchen mit gefährlichem Lächeln würden sich zu uns in die Studentenwohnheime in Kargar schmuggeln."
Aus diesem gemeinsamen Traum wird nichts, denn Amir wählt kurz vor dem Umzug ein "religiöses Leben". Der Sündenpfuhl Teheran spricht ihn nicht mehr an. Schon auf den ersten Seiten zeigt Leshem so ein sehr differenziertes Bild Irans: Konträrer könnten Kamis und Amirs Lebensentwürfe kaum sein. Statt plakativer Gegenüberstellungen entscheidet sich der Autor jedoch für vielschichtige Charaktere. Er lässt sie langsam heranreifen und eine Persönlichkeit entwickeln. Anhand seines Protagonisten Kami setzt er sich mit den verwickelten politischen Zusammenhängen Irans auseinander und tastet sich an diese Teheraner Welt heran.
Von der ist Kami anfangs vollkommen überwältigt. Kaum etwas ist so, wie er es sich vorgestellt hat. Seine Tante Zahra, bei der er leben wird, ist nicht die verrückte Alte, von der seine Eltern gesprochen haben. Der ehemalige Filmstar ist immer noch eine faszinierende Persönlichkeit, auch wenn sie fast in Vergessenheit geraten ist. Und von ihrem schillernden Freundeskreis profitiert auch Kami. Beinahe noch mehr als Zahras NachbarInnen Frau Safureh, eine Anhängerin des Schah-Regimes, und Babak, der wegen seiner Homosexualität in Lebensgefahr schwebt, fasziniert ihn aber seine Kommilitonin Nilufar.
Die ist landesweit bekannt als Tochter eines hochrangigen Politikers und waghalsige Rennfahrerin. Dass sie ausgerechnet mit ihm eine Affäre beginnt, kann der unerfahrene Kami kaum glauben. Mit Nilufar steigt er in die iranische Subkultur ein, erlebt Drogenpartys und freie Sexualität beinahe unter den Augen der gefürchteten Sittenwächter.
Die unangepasste Lebensweise seiner Geliebten, ihr Mut und auch ihre Zugehörigkeit zu einer anderen Gesellschaftsschicht überfordern Kami ebenso wie die politischen Konflikte, mit denen er sich bald auseinandersetzen muss. Mit illegalen politischen Gruppen und verbotener Literatur hatte er bisher nichts zu tun. Dass er sich vor diesen Herausforderungen ins Internet flüchtet, eröffnet ihm seinen neuen NachbarInnen ungeahnte Welten. Vor den brutalen Repressionen des Regimes kann sie das jedoch nicht retten.
Seine literarische Beschäftigung mit einem Land, das er nicht aus eigener Anschauung kennt, erläutert Leshem im Nachwort: "Wenn ich (im Internet) Freundschaft mit Palästinensern suchte, willigten die wenigsten ein. Bei Ägyptern ist die Offenheit gegenüber Israelis gleich null. Die Syrer haben keinen wirklichen Zugang zum Internet. Aber als ich es bei Iranern versuchte, reagierten sie ausnahmslos positiv."
Aus diesen Freundschaften entstand das Bedürfnis, alles über die Welt, in der diese Menschen leben, zu lernen: "Sprache und Slang, Musik, Straßennamen, Parks und Restaurants. Und Gesetze." Leshem schreibt, um ein Leben zu leben, das er sonst nicht haben könnte - und genau diese Möglichkeit bietet er auch seinen LeserInnen. Sein Roman drückt ein tiefes Interesse an seinen Figuren aus, das über exotisierende Neugier hinausgeht. Diese Charaktere sind keine Fremden, sie sind vielschichtige und glaubwürdige Persönlichkeiten. Ihr teils dramatisches Schicksal geht daher wirklich nahe.
AVIVA-Tipp: "Der geheime Basar" lebt von seiner Sprache. Sie zeigt ein sehr präzises Empfinden für Stimmungen. So gelingt es Leshem, Atmosphären aufzubauen, die die LeserInnen schnell in ihren Bann ziehen.
Zum Autor: Ron Leshem, 1976 in der Nähe von Tel Aviv geboren, war stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung "Maariv" und gehört seit 2006 zur Programmdirektion von "Channel Two". "Der geheime Basar" stand wie schon Leshems Debütroman "Wenn es ein Paradies gibt" (dt. 2008) in Israel monatelang auf der Bestsellerliste. Für "Wenn es ein Paradies gibt" erhielt Ron Leshem 2006 den Sapir-Preis, den bedeutendsten Literaturpreis des Landes. Die Verfilmung des Buches unter dem Titel "Beaufort" wurde auf der Berlinale 2007 mit dem Silbernen Bären prämiert. (Verlagsinformationen)
Ron Leshem
Der geheime Basar
Rowohlt Berlin, erschienen am 11. März 2011
Hardcover, 448 Seiten
ISBN: 978-3-87134-693-4
22,95 Euro
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