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Beitrag vom 28.12.2010
Rose-Anne Clermont - Buschgirl. Wie ich unter die Deutschen geriet
Claire Horst
Multikulti ist gescheitert? Dieses Buch beweist, dass etwas dran ist an Angela Merkels Satz. Allerdings in anderem Sinne, als die Kanzlerin es gemeint hat. Gescheitert sind nämlich die ...
... Mehrheitsdeutschen und nicht die Minderheiten.
Wenn eine schwarze Frau sich beim Zahnarzt fragen lassen muss, ob sie denn auch schwitze bei über 40 Grad, wenn der deutsche Freund kein Verständnis hat für die junge Amerikanerin, die nach ganzen drei Monaten in Deutschland immer noch nicht perfekt Deutsch spricht, dann stellt sich schon die Frage, was "deutsche Kultur" überhaupt sein soll. Die Kultur der Ignoranz wahrscheinlich.
Rose-Anne Clermont, in Amerika aufgewachsene Journalistin, beschreibt ihre eigene Migrationsgeschichte nach Deutschland und ihre Erfahrungen mit den EinwohnerInnen dieses merkwürdigen Landes. Zu einer Minderheit gehörte sie auch in den USA, wo sie die einzige Schwarze in ihrem Wohnviertel und eine unter wenigen an ihrer Schule war. Dass ihr Vater als Arzt zu einer sonst meist Weißen vorbehaltenen Schicht gehörte, hinderte dessen Kollegen nicht daran, ihn bei einem Kongress für den Kofferträger zu halten.
Rose-Annes Liebesbeziehung zu einem deutschen Austauschschüler führt an ihrer Highschool zu großem Erstaunen - Liebschaften gibt es sonst nur unter SchülerInnen mit der gleichen Hautfarbe. Als sie aber Jahre später nach Deutschland geht, um sich mit demselben Mann wiederzutreffen, funktioniert die Beziehung nicht mehr so reibungslos. Aus dem aufgeschlossenen Schüler ist ein gestresster Arzt geworden, der über seine türkischen PatientInnen schimpft, die kein Deutsch sprächen, und dem das Aussehen seiner Freundin plötzlich peinlich ist. "Da Jens kapiert hatte, dass ich schon aus rein physischen Gründen niemals unauffällig werden würde, sorgte er dafür, dass ich nicht für die falsche Berühmtheit gehalten wurde: nicht für Miriam Makeeba, sondern für Tina Turner."
Den Alltagsrassismus in Deutschland beschreibt Clermont ebenso anschaulich und bei allem Entsetzen zugleich humorvoll, wie sie ihre Familiengeschichte erzählt. Die Handlung springt zwischen den Jahrzehnten und Kontinenten hin und her - so berichtet Clermont auch von der Migration ihrer Eltern aus Haiti in die USA und erklärt ganz nebenbei die Unterschiede zwischen amerikanischem Patriotismus, der auch Menschen unterschiedlicher Herkunft einschließe, und dem deutschen Nationalismus, der sich verschämter äußert und ausschließend ist.
Man muss nicht mit allen Einstellungen der Autorin übereinstimmen, um das Buch mit Gewinn zu lesen. Verkäuferinnen, die sie nicht grüßen, vermeintlich aufgeschlossene Menschen, die mit ihrem Wissen über Afrika prahlen und Vergleiche von Clermonts Aussehen mit wahlweise Condoleezza Rice oder Michelle Obama, die als Kompliment gemeint sind, gehören zum Alltag einer schwarzen Frau in Deutschland. Insofern ist es ein wichtiges Buch, das sich mit einer Mischung aus Wut und fassungsloser Belustigung liest.
Clermonts richtige Ablehnung eines einheitlichen Kulturbegriffs zeigt sich am besten an ihrer Hochzeit mit Georg, einem deutschen Kulturmanager. Ein Yoruba-Priester, jüdische und haitianische New YorkerInnen, SchwarzwälderInnen und KreuzbergerInnen, Schwule und Heteros, AnthroposophInnen und KatholikInnen - hier vertritt jeder Gast seine eigene Kultur. Hinterzarten hat so etwas noch nie gesehen. "Wenigstens waren in letzter Minute die Mohrenfiguren, die sonst den Eingang zum Hotel zierten, entfernt worden."
Schade, dass Clermont dennoch nicht frei ist vom Integrationsgestus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Patriotismus hat für sie eine positive Bedeutung, und Integration ist die Aufgabe der MigrantInnen. Im Gegensatz zu den türkischen Jugendlichen, denen sie in Berlin Englisch beibringt, haben ihre eigenen Eltern sich in den USA angepasst: "Selbst wenn wir ungerecht behandelt wurden, wenn man uns verspottete oder sich vor uns fürchtete, sprachen wir die Gewöhnlichensprache und passten uns an die herrschenden Sitten an. Meine Geschwister und ich sagten immer Dankeschön. Wir benutzten Parfüm. Wir bügelten unsere Kleider, auch wenn wir nur zu einem Barbecue gingen. Wir schafften es an die Elite-Universitäten, damit man uns ernst nahm. Wir assi-migrierten uns jeden Morgen von Neuem und atmeten einmal tief durch, wenn wir abends die Haustür schlossen."
Dass diese Überanpassung nicht die Lösung sein kann für die Integrationsverweigerung der Deutschen, weiß Clermont allerdings selbst. Selbst als Autorin und Journalistin erlebt sie immer noch Diskriminierung in Deutschland. Ihr Buch endet dennoch hoffnungsvoll - mit dem Verweis darauf, was ihre Kinder heute in der Schule lernen: dass der deutsche Bundeskanzler eine Frau und der amerikanische Präsident das Kind einer weißen Amerikanerin und eines Migranten ist. "Wer hätte es je geglaubt?" Es dauert zwar lange, doch es besteht Hoffnung, so ihr Fazit.
AVIVA-Tipp: Trotz ihrer stellenweise etwas konservativen Haltung ist Clermonts sehr persönliches Buch eine Bereicherung der einseitig geführten Integrationsdebatte. Hier meldet sich eine Autorin zu Wort, die weiß, wovon sie spricht, und auch den Vergleich mit anderen Migrationsgesellschaften nicht scheut. "Buschgirl" ist unterhaltsam und regt zum Nachdenken an - das ist viel mehr, als von den meisten Büchern zum Thema behauptet werden kann.
Zur Autorin: Rose-Anne Clermont wurde 1971 als Tochter haitianischer Einwanderer in New York City geboren. Sie kam nach dem Journalismus-Studium an der Columbia University 1998 als Fulbright Fellow nach Berlin und hat u.a. für Spiegel Online, Die Zeit und International Herald Tribune über Integration und Bildung geschrieben. Die Autorin lebt heute mit ihrem deutschen Mann und ihren Kindern in Berlin. (Verlagsinformationen)
Rose-Anne Clermont
Buschgirl. Wie ich unter die Deutschen geriet
Ãœbersetzt von Sigrid Ruschmeier
Paperback, 224 Seiten
ISBN: 978-3-570-10042-4
14,99 Euro
Verlag: C. Bertelsmann
Erscheinungstermin: 20. September 2010
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