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Beitrag vom 24.11.2010
Janne Teller. Nichts. Was im Leben wichtig ist
Britta Leudolph
Was kann aus Jugendlichen werden, wenn ihnen täglich gesagt wird, dass sie bedeutungslos sind? Janne Teller entwirft in ihrem Roman ein Schreckensszenario: Harmlose TeenagerInnen entwickeln...
... sich in der Gruppe zu grausamen Monstern, die vor nichts mehr zurückschrecken.
Agnes lebt im dänischen Taering, einem Vorort einer mittelgroßen Provinzstadt. Sie geht in die siebte Klasse, gemeinsam mit ihren FreundInnen, die fast ausnahmslos alle in der gleichen Straße leben, im Taeringvej. Alles ist normal. Doch das ändert sich nach den großen Sommerferien.
Pierre Anthon war bisher in der Klasse nicht sonderlich aufgefallen. Alle wissen, dass er mit seinen Eltern in einer Hippiekommune auf einem ehemaligen Bauernhof aufwächst. Agnes und ihre FreundInnen können damit nicht viel anfangen. Doch dann, am ersten Schultag, geschieht etwas Denkwürdiges: Pierre Anthon springt von seinem Stuhl auf und sagt: "Nichts bedeutet irgendetwas. Das weiß ich schon lange. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden." Er packt seine Sachen und geht. Pierre Anthon wird nie wieder zurückkehren.
Vor Pierre Anthons Haus steht ein alter knorriger Pflaumenbaum. Darin sitzt der Junge nun Tag für Tag, wirft mit Pflaumen und schreit seinen ehemaligen KlassenkameradInnen seine Erkenntnisse entgegen, etwa: "Alles ist egal. Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist es mit allem.", oder "Die Erde ist vier Milliarden sechshundert Millionen Jahre alt, aber ihr werdet nur hundert! Das Leben ist die Mühe überhaupt nicht wert."
Anfangs versuchen die TeenagerInnen sich noch mit Steinen gegen Pierre Anthon zu wehren, doch das macht ihm nichts aus. Er sitzt wieder und wieder im Pflaumenbaum, schreit den Vorbeigehenden deren Bedeutungslosigkeit entgegen. Damit wühlt der Junge alle anderen auf. Es muss etwas geben, was Bedeutung hat.
Die Jugendlichen wollen sich nicht geschlagen geben und hecken einen Plan aus. Jede/r soll etwas geben, was eine große Bedeutung hat, ein Berg aus Bedeutung soll entstehen. Wer etwas Bedeutendes hergegeben hat, darf bestimmen, wer als nächste/s dran ist und was sie/er Bedeutendes abzugeben hat. Was harmlos beginnt, läuft schnell aus dem Ruder, die Forderungen werden immer skrupelloser, keine/r wagt es, zu widersprechen. Am Ende wird nichts mehr so sein, wie es einmal war.
Janne Tellers Roman beginnt harmlos, nahezu humorvoll. Doch schnell nimmt die Geschichte eine unerwartete Wendung, aus normalen TeenagerInnen werden herzlose kleine TyrannInnen, die sich nichts mehr schenken. Aus Angst, vor der Gruppe zu versagen, schrecken sie vor nichts mehr zurück, auch nicht vor Gewalt gegeneinander.
Das Buch war nach seinem Erscheinen in Skandinavien hoch umstritten, immer wieder wurde von Behörden versucht, es aus dem Schulunterricht fern zu halten.
Zur Autorin: Janne Teller, 1964 in Kopenhagen geboren, arbeitete als ökonomisch-politische Ratgeberin der EU und der UN. Seit 1995 ist sie hauptberuflich Schriftstellerin. "Nichts" wurde 2001 mit dem Kinderbuchpreis des dänischen Kulturministeriums und 2008 in Frankreich mit dem Prix Libbylit als bester Jugendroman ausgezeichnet. Janne Teller lebt heute in Kopenhagen, Paris und New York.
Weitere Infos und Kontakt unter: www.janneteller.com
Zur Übersetzerin: Dr. Sigrid Engeler, 1950 in Wolfenbüttel geboren, studierte altgermanische und altnordische Philologie. Seit 1996 arbeitet sie als Lektorin und Übersetzerin aus dem Dänischen, Norwegischen und Schwedischen. Sie lebt in Kiel.
Weitere Infos und Kontakt unter: www.sigrid-engeler.de
AVIVA-Tipp: "Nichts" ist ein verstörendes Buch, das seinen LeserInnen mehr Fragen als Antworten liefert. Möchte nicht jede/r eine Bedeutung haben? Und was ist, wenn es diese nicht gibt? Janne Teller geht in ihrem Roman noch einen Schritt weiter: Sie beschreibt, was aus jungen Menschen auf der Suche nach Identität und Bedeutung werden kann, wenn sie mit ihren Fragen allein bleiben und niemand eingreift: Ein brutaler Haufen skrupelloser EgomanInnen, die nicht in der Lage sind, der Gruppendynamik zu entfliehen.
Tellers Schreibstil ist durchgehend unbeteiligt, ohne Emotionen, als würde sie über ganz Alltägliches schreiben, was diesen Roman umso erschütternder wirken lässt.
Janne Teller
Nichts. Was im Leben wichtig ist.
Aus dem Dänischen von Sigrid Engeler
Originaltitel: Intet, erschienen 2000
Hanser Verlag, erschienen August 2010
Klappenbroschur, 144 Seiten
ISBN 978-3-446-23596-0
12,90 Euro