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Beitrag vom 30.08.2010
Wangechi Mutu - My Dirty Little Heaven
Undine Zimmer
Die Künstlerin aus New York erhielt die Auszeichnung "Künstlerin des Jahres" der Deutschen Guggenheim. Ihre Collagen bestehen aus Zeitungsschnipseln, Perlen, Federn, Tierformen, ausgeschnitten...
... aus Hochglanzmagazinen wie National Geographic und aus Porno- und Technikmagazinen.
Wangechi Mutus Bilder und Collagen sind verspielt und bunt wie Illustrationen aus einem Kinderbuch. Mit dem Gefühl Kinderschätze zu entdecken, findet man schillernde Perlen, Tiere, Urwaldpflanzen in allen Farben, verschlungen und verwachsen mit Teilen von Motorrädern. Und dann fällt einem auf, dass man auf eine Gebärmutter schaut.
Das Spiel mit der Anatomie treibt Mutu auf verschiedenen Terrains. Einmal stellte sie in einem Projekt gegen Gebärmutterkrebs den Uterus mit großer Afrokrause dar und mit großen roten Lippen, an die sich die Organe anschließen. Dann erfindet sie Figuren, die nur aus Brüsten zu bestehen scheinen. In der Bildserie "Epiglotus" werden Eierstöcke zu weißen Federn und Vaginen zu exotischen Blüten und Fabelwesen. Das Spiel mit dem Voyeurismus ist auch eines mit der Natur und der Lust.
Wangechi Mutus Bilder sind hinter dieser Fassade mitunter auch so drastisch wie Kriegsbilder. Abgerissene Köpfe, die noch an einem Pflanzenfaden hängen, Blut, Kriegerinnen mit implantierten Teilen von Motorrädern. Bilder, die in ihrer faszinierenden Buntheit über die Klischees, die Unterdrückung und die Kolonialisierung von afrikanischen Frauen hämisch zu lachen scheinen. Gleichzeitig das wechselseitige Auffressen und Einverleiben der Figuren im Kampf, um Anerkennung und Leidenschaft. Wangechi Mutus Bilder haben es in sich. Tod und Leben, Ausbeutung und Symbiose und vor allem Körper mit ihrem ganzen Spektrum an Empfindungen sind darin zu finden. Mutus Figuren winden sich, tanzen, und exponieren sich, manche sehen aus wie seltsame Menschenvögel.
Dabei haben die Bilder auch eine politische Dimension, wie in ihrer Installation "The Cinderella Curse" besonders deutlich wird. Auf einem Tisch aufgehäufte Kleiderberge unter tropfenden Flaschen, die von der Decke hängen, erinnern an die Körper der Unterdrückten und Kolonialisierten der afrikanischen Geschichte. Ganz zu schweigen von wissenschaftlichen Diskursen über Feminismus, afrikanische Diaspora und Kolonialismus, die Mutu in ihre Bilder hineingearbeitet hat. Die kann man zwar wahrnehmen, wenn man möchte. Man muss ihre Werke jedoch nicht zwingend theoretisieren.
Der Titel der Ausstellung "My dirty little heaven" geht mit vielen Bedeutungen schwanger. Die verschiedenen Facetten von Mutus beeindruckendem Werk sind in dem Katalog zur Ausstellung einfühlsam und übersichtlich dokumentiert. Schritt für Schritt nehmen die AutorInnen die LeserInnen mit in die verschiedene Bewusstseinsschichten von Mutus Werk. Insgesamt ist eine ausgewogene Auswahl von begleitenden Texten gelungen. Wer die Ausstellung in Berlin verpasst hat, kann sich, auch wenn die Bilder auf dem engen Rahmen des Papiers anders wirken als an der Wand, doch einen Eindruck davon machen. Mutus Werke, auch die kleinen, brauchen viel Platz zum atmen. Sogar der Filz, auf dem Mutu ihre Bilder in der Guggenheim anbringen liess, ist im Katalog auf einer Doppelseite hinter dem Bild "Bear" zu sehen. Mutu setzt ihre Bilder immer in einen größeren Zusammenhang zueinander. Dazu gehört für sie auch die Präsentation der Bilder. So erfährt man zum Beispiel, dass die Künstlerin den ganzen Ausstellungsraum der Guggenheim für ihre Ausstellung in Naturmaterialen auskleiden ließ. Dazu gehört eben jener Filz, der hinter "Bear" zu sehen ist.
AVIVA-Tipp: Der Katalog ist eine gelungene Symbiose von Bildern und einführenden Erläuterungen zur Künstlerin. Wangechi Mutus vielfältige Aktivitäten, so für den Wiederaufbau eines Hauses einer alten Dame nach Kathrina, stehen nie isoliert von ihren Bildern. Was zunächst schön erscheint, mag auf den zweiten Blick schockieren. Was jedoch zuerst schockierend erscheint, birgt in sich eine besondere Schönheit. Grausamkeit und Leidenschaft sind auf ihren Bildern vereint und verweisen auf mehr als nur den Kampf der Geschlechter. Aber eben auch. Denn dieser, und da kann Wangechi Mutu noch viele inspirieren, wird schon lange auf vielen Ebenen ausgetragen. Und es bleibt noch viel zu entdecken in der Bilderwelt von Wangechi Mutu.
Wangechi Mutu
My Dirty Little Heaven
Hrsg. Deutsche Bank, Text von Okwui Enwezor, Lauri Firstenberg, Friedhelm Hütte, Courtney Martin, Klaus Ottmann, Gestaltung von Kerstin Riedel
Monographie, gebunden, mit Plakatbeilage, 144 Seiten, 131 farbige Abb.
Deutsch, Englisch
Hatje Cantz Verlag, erschienen 2010
ISBN 978-3-7757-2701-3
35 Euro
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Die Deutsche Bank ehrt Wangechi Mutu zur Künstlerin des Jahres 2010. Ausstellung vom 30. April 2010 - 13. Juni 2010 in der Deutschen Guggenheim in Berlin